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Blatten VS: Das Lötschental weint – im Wallis geschah das Undenkbare

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Gletscherabbruch in Blatten VS

Der Fluss Lonza ist vom Geröll vollständig aufgefüllt worden. Das Wasser staut sich nun in einem entstandenen See auf.

quelle: keystone / jean-christophe bott
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Ein Tal weint – im Wallis geschah das Undenkbare

Am Mittwoch kurz vor 15.30 Uhr löst sich der Birchgletscher. Geröll, Eis und Schutt stürzen in die Tiefe und begraben das Dorf Blatten. Seitdem ist das Leben im Lötschental ein anderes. Die Betroffenen fragen sich: Wie soll es jetzt weiter gehen?
29.05.2025, 10:2329.05.2025, 10:35
Rebecca Schüper und Armin Bregy / ch media
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Noch am Mittwochmorgen hatte sich der Himmel im Lötschental bedeckt gezeigt. Später weinte er. Die Tragödie, die über Blatten hereinbrach, sie ist unfassbar.

Bilder zeigen das Ausmass des Gletscherabbruchs in Blatten VS am Mittwochnachmittag.
Blatten vor vs. nach dem Gletscher-Abbruch.Bild: zvg/egalomano

Am Abend, es war kurz nach 19 Uhr, informierten die Behörden, darunter auch Bundesräte und Staatsräte, die Medien. Es war die siebte Medienkonferenz, Journalisten aus allen Landesteilen installierten sich in der kleinen Turnhalle von Ferden. Matthias Bellwald, Gemeindepräsident von Blatten sagte, dass das unvorstellbare eingetroffen sei. Doch er fügte an: «Wir haben das Dorf verloren, nicht aber das Herz.» Blatten habe eine Zukunft. «Helft einander, tröstet einander», so Bellwalds Worte. Sie waren angebracht.

Viele Blattnerinnen und Blattner haben am Mittwoch ihr Zuhause verloren. Ihr Hab und Gut, ihre Haustiere, ihre Fotoalben mit den Bildern, die für unvergessliche Erinnerungen gemacht wurden. Unvorstellbar, wie sich das anfühlen muss. Unvorstellbar, wie so etwas passieren kann.

Das schlimmste Szenario, das sich die Experten ausgemalt hatten, ist in Blatten eingetreten.

Bereits während des gesamten Mittwochs gab es Gletscherabbrüche und Steinschläge. Der Birchgletscher staubte jeweils auf, wenn die Felsbrocken auf ihn einschlugen. Von der Front des Gletschers brachen immer wieder Eismassen ab, teilweise bis hinunter in die Lonza. Gegen 9 Uhr konnte der Schutzdamm zum ersten Mal das Material nicht mehr halten und die Geröllmassen stiessen bis nahe an die Häuser dran.

Dann kam der Bruch.

Bild
bild: alain amherd / pomona media

Um 15.24 Uhr löste sich der Birchgletscher vom Berg und riss tausende Tonnen Schutt und Geröll mit sich.

Grosser Teil des Gletschers in Blatten abgebrochen.Video: youtube/Pomona

Der Gletscherabbruch verursachte ein Erdbeben der Stärke 3.1 auf der Richterskala. Eine Person wird seither vermisst.

epa12141193 An avalanche from the Birch glacier covers buildings in Blatten, Switzerland, 28 May 2025. A number of houses were destroyed in the village of Blatten, but no casualties have been reported ...
Blatten ist verschüttet.Bild: keystone

Der Schuttkegel ist immens. 50 Meter hoch, 200 Meter breit, zwei Kilometer lang, wie Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz an der Medienkonferenz sagte. «Drei Millionen Kubikmeter Geröll, die auf dem Gletscher lagen, sind mit dem Eis ins Tal gedonnert.» Das sei ein seltenes Ereignis – ein sehr seltenes. Majoraz geht davon aus, dass das meiste Material im Tal ist. Aber so ganz sicher ist er sich nicht. Ein Rekoflug am Donnerstag soll Gewissheit bringen.

epa12141628 Raphael Mayoraz, Head of the Natural Hazards Service of the Canton of Valais, speaks during a press conference in Ferden, Switzerland, 28 May 2025. A large part of Blatten village in Valai ...
Raphaël Mayoraz.Bild: keystone

Bundesrat Albert Rösti sprach von einem Jahrtausendunglück – und er versuchte, Trost und Zuversicht zu spenden. «Die Bevölkerung von Blatten», sagte er in der Turnhalle von Ferden, «hat eine Zukunft» – und er rechnete gleichzeitig damit, dass das Ereignis Blatten noch Jahre beschäftigen wird. Und mit dem Dorf das gesamte Tal.

Jan Beutel, Professor an der Universität Innsbruck, sagte gegenüber dem «Walliser Bote», es sei einer der grössten Naturgefahrenprozesse unserer Zeit. Vergleiche zu Bondo etwa mochte Beutel nicht ziehen. Er sagte, das Hauptereignis damals geschah weit hinten in einem Seitental. Erst später sei der Murgang in Richtung Dorf geflossen. «In Blatten sprechen wir von einer ganz anderen Kategorie, weil die Massen direkt in Richtung und auf das Dorf fallen, beziehungsweise gefallen sind.»

Wie gross das Schadensausmass ist, kann derzeit nicht beziffert werden. Nur schon sich in dieser Situation einen Überblick zu verschaffen, ist schwierig – geschweige denn, konkrete Zahle oder Szenarien zu benennen. Sicher ist, der Schaden ist immens. Die Schuttmassen haben sich weit das Tal hinaus in Richtung Wiler gewälzt – verdeckt von der riesigen Staubwolke. Als sich diese lichtete, kehrte Schweigen ein. Menschen bangten um ihre Liebsten, ihre Häuser, ihr Dorf. Und dieses Bangen, es geht weiter. Die Schuttmassen haben die Lonza gestaut. Bereits ist ein See entstanden.

Zwar wurden Bagger und Camions im hinteren Tal stationiert, aber in Anbetracht der gewaltigen Dimensionen des Schuttkegels erscheinen diese wie Miniaturen. Der Kanton Wallis hat die Armee daher um Unterstützung angefragt. Pumpen, Räumungsfahrzeuge und Beleuchtungsmasten wurden angefordert. Doch wie sich der angestaute See verhalten wird, kann heute niemand sagen.

Majoraz sagte, der See könne grösser und grösser werden. Gar ein gewaltiger Murgang sei möglich, sagte er, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, da die Lonza nicht viel Wasser führe.

Blatten
Hinter dem Schuttberg staut sich in Blatten die Lonza. Häuser, die die Lawine standen haben, werden geflutet.Bild: Screenshot Pomoda Media

Trotzdem seien sicherheitshalber Personen, die nahe der Lonza leben, evakuiert worden.

Auch der Krisenstab beim Taleingang von Gampel-Steg sei informiert und in Bereitschaft – für den Fall der Fälle. Doch bestehe für die Gemeinde im Talgrund nur ein «sehr geringes» Risiko für ein Nachfolgeereignis. Der Staudamm von Ferden gibt zusätzliche Sicherheit.

Die Armee machte sich bereits am Mittwochabend auf den Weg nach Blatten. Bundesrat Martin Pfister sagte, dass ein Voraus-Detachement unterwegs sei. Auch weitere Truppen seien angefordert worden. Zu den konkreten Leistungen konnte der VBS-Chef aber noch nichts sagen. Das hänge stark von den Bedürfnissen des Führungsstabes Lötschental ab. Auch Staatsrat Stéphane Ganzer sicherte der Gemeinde jegliche Unterstützung zu. Jetzt seien grosse Anstrengungen nötig.

Ständerat Beat Rieder wohnte der Medienkonferenz am Rande bei. Er sagte, dass es nun extrem wichtig sei, die Strassen zu öffnen und einen Rückstau der Lonza zu verhindern. «Wir müssen zuversichtlich sein. Nicht alles ist zerstört.» Rieder sagte weiter, dass der Absturz des Birchgletschers das Tal prägen und verändern werde. Es sei das grösste Naturereignis in der Geschichte des Lötschentals, «doch Blatten hat eine Zukunft, davon bin ich überzeugt», sagte Rieder.

Die Behörden wollten am Donnerstag an einer weiteren Medienkonferenz über die Entwicklung im Katastrophengebiet orientieren. (aargauerzeitung.ch)

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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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RuediRupf
29.05.2025 11:11registriert November 2023
Die Berge fangen an zu bröckeln und zu Tale zu stürzen. Es tut mir extrem Leid für alle, die ihr Hab und gut verloren haben. Jedoch werden wir in den nächsten Jahren noch mehr solche Ereignisse erleben müssen, nicht nur in der Schweiz. Der Klimawandel zeigt seine Folgen, auch wenn es gewisse Personen immernoch nicht wahrhaben wollen.
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Bynaus
29.05.2025 10:53registriert März 2016
Vielleicht ist es noch etwas früh für diesen Gedanken, aber wenn Blatten (woanders?) wieder aufgebaut wird, sollten wir alles daran setzen, es zum ersten klimaneutralen Dorf der Schweiz zu machen. Um zu zeigen, dass es nicht nur nötig, sondern auch möglich ist.
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Gröipschi
29.05.2025 11:00registriert Februar 2016
Und ich weine mit. Was für eine Katastrophe! Meine Gedanken sind bei der lötschentaler Bevölkerung.
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