Die Unwetter-Katastrophen im Wallis und im Tessin bewegen die Schweiz. Mindestens acht Menschen sind ums Leben gekommen, mehrere Personen weiterhin vermisst. Die Schäden sind riesig, allein Saas-Grund rechnet mit fünfzig bis hundert Millionen Franken. Doch es gibt einen Lichtblick: die Solidarität der Schweizer Bevölkerung mit den gebeutelten Talschaften.
«Seit dem Start unserer Solidaritätskampagne haben wir bereits mehr als 3,7 Millionen Schweizer Franken für die Betroffenen der Unwetter gesammelt», teilt Fabian Emmenegger, Sprecher der Glückskette, auf Anfrage mit. Lanciert wurde die Sammlung am Montag - seither wurde jeden Tag mehr als eine Million Franken gespendet. «Wir sind von der Anteilnahme und der Solidarität mit den Betroffenen enorm bewegt und möchten uns für diese Unterstützung bedanken», schreibt Emmenegger.
Allerdings stellt sich die Frage: Warum sind im Land der Versicherungen und der Gebäudeversicherungen überhaupt Menschen auf Spenden angewiesen? Sind Schäden durch Elementarereignisse wie die Unwetter der letzten zwei Wochen nicht sowieso gedeckt?
Ein Teil der Gelder werde für lebensnotwendige Anschaffungen und die Deckung jener Kosten eingesetzt, die unmittelbar nach der Katastrophe finanziert werden müssen, schreibt Emmenegger. Diese Soforthilfe können Transportkosten, temporäre Unterkünfte oder höhere Kosten aufgrund von auswärtiger Verpflegung sein. «Oder der Kauf von neuer Kleidung, weil sie alles verloren haben.»
Und auch beim Versicherungsschutz gebe es Lücken, teilt der Sprecher der Glückskette mit. Zum einen ist ausgerechnet in den Kantonen Wallis und Tessin die Gebäudeversicherung nicht obligatorisch. Und selbst wer sein Obdach versichert habe, müsse unter Umständen gewisse Restkosten selber tragen, so Emmenegger: Grundsätzlich werde nur der engste Radius um das Haus abgedeckt, «sprich ein Meter rund um das Haus ist versichert, dazu zählt beispielsweise die Entfernung von Geröll im Garten nicht».
Bei der Vergabe der Gelder arbeitet die Glückskette eng mit den Gemeinden und Kantonsbehörden zusammen. Dies mit dem Ziel, die Spendengelder möglichst zielgerichtet einzusetzen. Die Glückskette ergänze bei Naturkatastrophen in der Schweiz die Hilfe der öffentlichen Hand und die Versicherungsleistungen, erklärt die Glückskette. Keinen Anspruch auf Glückskette-Gelder haben Eigentümer von Zweitliegenschaften.
Sollten jetzt mehr Gelder gespendet werden, als nötig sind, fliesst der Rest in den Fonds Unwetter Schweiz. Dieser steht permanent zur Verfügung und ist derzeit mit rund 600'000 Franken alimentiert.
Zu den Spenderinnen und Spendern zählen nicht nur Privatpersonen und Unternehmen wie die Migros, sondern auch Gemeinden, Städte und Kantone, im aktuellen Fall St.Gallen, Nidwalden und Thurgau.
Der Kanton St.Gallen spendete 30'000 Franken aus dem Lotteriefonds. Der entsprechende Rahmenkredit werde «im Allgemeinen für Ereignisse in Entwicklungs- und Schwellenländer genutzt», teilte der Kanton am Mittwoch mit. Angesichts der besonders schweren Unwetterschäden sei es aber angezeigt, einen Beitrag aus dem Lotteriefonds «zugunsten von inländischen Empfängerinnen und Empfängern» auszurichten.
Ist diese Umbuchung von Spendengeldern, die grundsätzlich für ärmste Länder und Krisenregionen vorgesehen sind, im Sinne der Glückskette?Solidarität sei ein «enorm wichtiger Wert in der Schweiz», antwortet der Glückskette-Sprecher auf diese Frage, «wir sind dankbar über die vielen Solidaritätsbekundungen (...), die wir in den letzten Tagen erhalten».
Doch «leider sehen wir je länger je mehr Schwierigkeiten, den Fokus auf weniger präsente Kontexte wie der humanitären Krise im Sudan (...) zu lenken». Dieser brutale Konflikt habe «zur grössten Vertreibungskrise und einer der schlimmsten Hungerkrisen der Welt geführt». 18 Millionen Menschen stünden am Rande einer Hungersnot. Trotzdem sei das Spendenvolumen «viel kleiner», schreibt Emmeneger.
Die Sammlung läuft seit dem 13. Juni. Bisher wurde weniger als 1 Million Franken gespendet. «Bei den Sammlungen der Glückskette ist die mediale Berichterstattung von entscheidender Bedeutung und diese ist im Falle der Unwetter in der Schweiz bisher viel grösser», hält Emmenegger fest.
Immerhin: Der Kanton St. Gallen hat schon letztes Jahr für den Sudan gespendet - 30'000 Franken ans Rote Kreuz. Gleich viel, wie jetzt für die Unwetter in der Schweiz. (aargauerzeitung.ch)