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SIG Sauer P320: Die Probleme der neuen Schweizer Armeepistole

Pistole, Pistolenlauf zeigt gegen den Boden, Tarnkleidung, Innenraum, Schiessposition, zielen mit ausgestreckten Armen, Indoor Schiessanlage, Kurzdistanz-Box, KD-Box, blaue Bodenfläche, Beleuchtung, P ...
Wehrmänner mit Glock-Dienstpistolen. Die Armeeführung hat sich für ein günstigeres, weniger gutes Konkurrenzprodukt entschieden.Bild: VBS/DDPS
Analyse

Darum könnte die neue Schweizer Armeepistole zum Rohrkrepierer werden

Das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) entscheidet sich bei der neuen Schweizer Armeepistole gegen den besten Bewerber und für den tiefsten Preis. Das Gleiche ist bei den US-Streitkräften passiert – und damit kauft sich auch der Bund ein Risiko ein.
05.12.2025, 09:3805.12.2025, 10:40
«Was ist gefährlicher als eine Waffe, die feuert, wenn man es nicht will? Ein Waffenhersteller, der sich weigert, das Problem zu beheben.»
US-Generalstaatsanwalt Matt Platkin

New Jersey führe «Krieg gegen eine der beliebtesten Handfeuerwaffen Amerikas». So berichtete der TV-Sender CBS im Oktober über das Pistolenmodell P320 des amerikanischen Herstellers SIG Sauer.

An dieser Stelle ist einzuwenden, dass die P320 tatsächlich während Jahren zu den meistverkauften Pistolen in den Vereinigten Staaten gehörte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Mittlerweile ist der ehemalige Platzhirsch auf vielen US-Schiessständen verboten. In der «Gun Community» kursieren fiese Memes.

Meme zur SIG Sauer P320
meme: Reddit

Und damit sind wir beim Grund, warum Generalstaatsanwalt Matt Platkin am 16. Oktober Klage gegen den US-Hersteller SIG Sauer Inc. eingereicht hat.

Ziel der Klage ist es, den Verkauf der P320 zu stoppen und den Hersteller zu einem Rückruf zu zwingen. Die Kläger halten die Pistole für gemeingefährlich oder zumindest unberechenbar, weil sich ungewollt und ohne bewusstes Betätigen des Abzugs Schüsse lösten. Selbst, wenn die Waffe korrekt im Holster steckt.

Es sind bereits zahlreiche Polizeibeamte, Militärangehörige und Zivilisten von ihrer eigenen Pistole angeschossen und zum Teil schwer verletzt worden. Den Allermeisten wurde kein Fehlverhalten nachgewiesen. In wenigen tragischen Fällen verbluteten die Opfer gar.

SIG Sauer bestreitet, dass die P320 technische Schwachstellen oder Produktionsmängel aufweist. Stattdessen schiebt der Hersteller jegliche Schuld auf falsche Handhabung oder fehlerhaftes Zubehör.

Tatsächlich sind die Probleme mit der Pistole wohl nicht auf einen Konstruktionsfehler zurückzuführen, sonst hätten sich viel mehr Unfälle ereignet (dazu unten mehr).

Die Klage des US-Bundesstaates New Jersey reicht über die unerklärlichen Schussabgaben hinaus: Die Richter müssen sich auch mit dem Geschäftsgebaren von SIG Sauer befassen. Den Verantwortlichen wird Täuschung der Käuferschaft und irreführendes Marketing vorgeworfen. Sie haben gemäss Klageschrift von gravierenden technischen Schwächen der P320 gewusst und sie trotzdem als sichere Dienstwaffe vermarktet.

«In dieser Klage geht es darum, dass SIG Sauer den Profit über die Sicherheit der Konsumenten stellt»
Elizabeth M. Harris, oberste staatliche Konsumentenschützerin in New Jersey

SIG Sauer weist auch diese Vorwürfe zurück.

Doch nun nach Bundesbern: Trotz der seit Jahren auftretenden Schiessunfälle mit der P320, ungeklärter Fragen zur Sicherheit der Schlagbolzenpistole sowie vielen Klagen und Gerichtsfällen in den USA hat SIG Sauer hierzulande den Zuschlag als Lieferantin der neuen Schweizer Armeepistole erhalten. Das umstrittene Modell P320 soll die neue Standard-Kurzwaffe werden.

Wichtig zu wissen: Der bei Fachleuten und Schützen hervorragende Ruf der älteren SIG-Waffen wie dem Sturmgewehr 90 (SIG 550), der 1949 eingeführten Armeepistole P49 (SIG P210) oder dem 1975 eingeführten Nachfolgemodell P75 (SIG 220) ist darauf zurückzuführen, dass sie von begnadeten Ingenieuren in der Schweiz und in Deutschland konzipiert, sowie sorgfältig fabriziert und getestet und stetig weiterentwickelt wurden.

Und die P320? Dabei handelt es sich um ein Produkt des US-Waffenherstellers SIG Sauer. Das Unternehmen hat laut Armasuisse zugesichert, «wesentliche Elemente der Produktion» von den USA in die Schweiz zu verlagern, zu SIG Sauer in Neuhausen SH.

Seit dem Jahr 2000 gehört die von der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft (SIG) abgespaltene Firma einer deutschen Unternehmensgruppe namens L & O Holding der norddeutschen Unternehmer Michael Lüke und Thomas Ortmeier. Die beiden setzen mit ihrer Holding, unter deren Dach sich alle nationalen SIG-Sauer-Betriebe befinden, auf eine aggressive Wachstumspolitik.

Grenadiere mit Sturmgewehr 90 (Stgw 90) und 9mm Pistole 75.
Da war die SIG-Welt noch in Ordnung: Zwei Grenadiere im Übungs-Einsatz mit dem «Sturmgewehr 90» (SIG 550) und der «Pistole 75» (SIG P220).Bild: VBS/DDPS, thomas cunz

Die Schweizer Armee kauft sich ein Risiko ein

«Die Versuche zeigten, dass nur die Glock G45 alle Musskriterien erfüllte und als truppentauglich eingestuft wurde.»
Armasuisse

Armasuisse betont bei der Begründung des Beschaffungsbescheids zugunsten von SIG Sauer zwei Dinge: den Preis und die heimische Produktion. Die P320 soll hierzulande gefertigt werden, was perfekt zur rüstungspolitischen Strategie des Bundesrats passt, sicherheitsrelevante Fähigkeiten im Land zu halten.

Wie das Konsumentenschutz-Magazin «Saldo» zuvor enthüllt hatte, verhinderte Rüstungschef Urs Loher persönlich das vorzeitige Ausscheiden von SIG Sauer aus dem Beschaffungsverfahren. Und wir erfuhren, dass die Pistole im Truppentest der Armee durchgefallen ist.

Damit werden böse Erinnerungen an die Beschaffung einer neuen Dienstwaffe durch die US-Streitkräfte wach. Auch die US-Behörden entschieden sich gegen den österreichischen Waffenhersteller Glock, der den Markt für sogenannte Schlagbolzenpistolen dominierte und gemäss den US-Testern die Konkurrenz übertraf.

2017 unterbot SIG Sauer den Konkurrenten und Marktführer massiv, erhielt den Zuschlag der US-Armee und sicherte sich damit nicht nur Milliardeneinnahmen, sondern nutzte den militärischen Grossauftrag auch, um die P320 auf dem zivilen Markt zu bewerben.

«Upgrade» statt Rückruf

Die Probleme begannen allerdings schon während der Testphase des US-Militärs. Die P320 stellte sich als nicht sturzsicher heraus. Wenn man sie in einem bestimmten Winkel zu Boden fallen liess, löste sich ohne (menschliches) Betätigen des Abzugs ein Schuss. SIG Sauer besserte nach – aber zunächst nur bei den Militärmodellen M17 und M18, die auf dem P320-Design basieren und auf Betreiben der US-Armee zusätzlich mit einem externen Sicherungshebel ausgestattet wurden.

June 1, 2023, Ottawa, ON, CAN: An attendee takes in the look and feel of a SIG Sauer P320, also known as the C22, that will be the new pistol for the Canadian Forces, at the CANSEC trade show.
Die P320 besitzt keinen externen Sicherungshebel.Bild: imago-images.de

Später – und erst auf öffentlichen Druck hin – lancierte SIG Sauer USA ein freiwilliges Upgrade-Programm und spielte das Risiko ungewollter Schussabgaben herunter. Auf einen kostspieligen Rückruf wurde verzichtet.

Die US-Streitkräfte beschafften ein SIG-Sauer-Produkt, das im Wettbewerb mit Glock das Nachsehen hatte, dann zeigte sich, dass wichtige Praxistests abgekürzt worden waren, und es tauchten Probleme in Nach-Testungen auf – und trotzdem blieb die Waffe, weil der Zug politisch und vertraglich bereits abgefahren war.

Wenn Armasuisse nun erklärt, die neue Schweizer Dienstpistole sei sicher, zuverlässig und umfassend getestet worden – dann muss man nüchtern festhalten: Genau das haben die US-Behörden damals auch gesagt. Während Berichte, Tests und Zwischenfälle ein anderes, deutlich komplizierteres Bild zeichnen.

Die Schweizer Armee holt sich mit der P320 nicht nur eine moderne, modulare Pistole ins Haus, sondern auch einen internationalen Streitfall. Dass man genau dieses Modell – und nicht eine der zahlreichen Alternativen ohne derartige Vorgeschichte – auswählt und dann als «günstigstes Angebot» feiert, lässt an der Weitsicht der Beschaffungsfachleute in Bern zweifeln.

Interessant: Die Chefplaner der Schweizer Armee haben sich – im Gegensatz zu den Fachleuten bei den US-Streitkräften – gegen eine Pistole mit externem Sicherungshebel entschieden. Gemäss den Anforderungen seitens der Gruppe Verteidigung sei «ein solcher nicht verlangt» worden, bestätigte Armasuisse-Kommunikationschef Kaj-Gunnar Sievert gegenüber watson.

Was es jetzt braucht, ist schonungslose Transparenz

«Die Evaluationsberichte unterliegen dem Geschäftsgeheimnis und werden nicht publiziert.»
Armasuisse

Die Häufigkeit der bisher bekannten Unfälle mit der P320 legt nahe, dass eine Kette von unglücklichen Umständen erforderlich ist, bevor die Pistole ohne bewusstes Betätigen des Abzugs losgeht. Ein Konstruktionsfehler im engeren Sinn ist praktisch auszuschliessen.

Was die Klärung der Probleme ebenfalls erschwert: Seit der Lancierung der P320 hat SIG Sauer abgesehen vom «freiwilligen Upgrade» 2017 diverse kleinere und grössere Änderungen am internen Design, bzw. an wichtigen Bestandteilen der Waffe vorgenommen. Kritiker sprechen diesbezüglich von «Stealth Updates».

Tatsache ist auch: Das Bundesamt für Rüstung informiert sehr zurückhaltend über technische Details zum Pistolen-Auswahlverfahren und zu den festgestellten Schwächen der getesteten Kandidaten. Armasuisse-Sprecherin Lea Ryf erklärte gegenüber watson:

«Transparenz in den Beschaffungen des Bundes wird durch das Öffentlichkeitsgesetz sichergestellt. Nicht jedes Geschäft wird in gleichem Masse durch proaktive Information begleitet, da das Interesse an und der Nutzen einer solchen Berichterstattung unterschiedlich hoch ist.

Während der Evaluation findet aus Wettbewerbsgründen keine Kommunikation zuhanden der Öffentlichkeit statt. Nach Abschluss der Evaluation und Bekanntgabe der Typenwahl finden mit der Industrie entsprechende Debriefings statt.»

Eine «proaktive detaillierte öffentliche Berichterstattung» sei nicht vorgesehen, so die Armasuisse-Sprecherin. Das heisst: Journalistinnen und Journalisten müssen nachhaken, um wichtige Detailinformationen zum Auswahlverfahren und zu den technischen Unzulänglichkeiten der P320 zu erhalten, die sich während der Tests durch Armee und Armasuisse ergeben haben.

In der gestrigen Armasuisse-Medienmitteilung zur Beschaffung der Pistole ist von «technischen Nachbesserungen» die Rede, die «innerhalb realistischer Parameter» liegen würden und durch den Hersteller verbindlich zugesichert worden seien. Mit diesen «Massnahmen» gelte die Waffe offiziell als «beschaffungsreif».

Insider-Informationen?

watson-Redaktor Daniel Schurter ist über die verschlüsselte Messenger-App Threema auch anonym zu erreichen. Seine «Threema ID» lautet: ACYMFHZX. Oder du schreibst an daniel.schurter [at] protonmail.com. Wer sich beim Schweizer Secure-Mail-Anbieter (kostenlos) registriert, kann verschlüsselte E-Mails verschicken.

Quellen

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Waffelnarr
05.12.2025 09:53registriert Juni 2020
Na dann sollte man wohl mal die Kontobewegungen bei den Verantwortlichen betrachten.
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Arabra
05.12.2025 10:03registriert Juni 2015
Ich bin absolut pro Schweizer Armee. Aber ich habe tatsächlich etwas Mühe mit dieser Beschaffungspolitik. Kampfjets bei einem zu kaufen, der die Preise einfach so anpasst und nicht liefert, jetzt eine Pistole, welche einen schlechten Ruf hat. Bdw. ich habe beide Modelle zuhause, beide sind top. Wenn ich aber wählen müsste.... definitiv Glock 45. Die meisten Polizeien im Kt. Zürich und teils auch andere Kantone entschieden sich nach einem Evaluationsprozess ebenfalls für die Glock.
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ch.vogel
05.12.2025 10:22registriert Mai 2014
Also statt dass bloss "wesentliche Elemente der Produktion" in die Schweiz verlegt werden (aber man trotzdem von den USA abhängig bleibt), wäre mir persönlich eine Waffe aus 100% österreichischer Produktion einiges lieber.
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