Kindergeschrei, getönte Limousinen, Anwälte in dunklen Anzügen. Kleinaktionäre, Sika-Mitarbeiter. Ein Mehrzweckbau mit Kraftraum, Kletterwand, Schiesskeller, Gymnastikraum und mehreren Theoriesälen. Draussen riecht es nach Frühsommer in der Agglomeration.
Der Himmel ist wolkenlos über der Waldmannhalle in Baar. In der Ferne die Rigi. Im Innern heller Backstein. Oberlicht mit grünen Vorhängen abgedunkelt. Hier traten auch schon die männlichen Stripper der Chippendales auf. Oder Gotthard.
Gestern wurde die Halle zum Schauplatz eines der grössten Übernahmekämpfe der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Eine Schlammschlacht wird es Urs Burkard, Grossaktionär und Vertreter der Gründerfamilie, später nennen. Es geht um enttäuschtes Vertrauen, aber auch um Gier, sagten danach seine Gegner.
Denn die Burkards wollen ihr Erbe verkaufen, und die Art und Weise, wie das geschieht, sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. «Es ist die wichtigste Generalversammlung in der über 100-jährigen Geschichte der Sika», verkündet deshalb der Verwaltungsratspräsident des Baarer Baustoffherstellers, Paul Hälg, bei der Eröffnung und schwört die Aktionäre im Saal gegen den Deal ein.
Hälg hatte seinen Auftritt am Vorabend noch in der Halle eingeübt. Doch jetzt zittert seine hohe Stimme leicht. Er weiss, es steht auch für ihn viel auf dem Spiel. Er hat sich seit Bekanntgabe des Deals im vergangenen Dezember gegen den Verkauf gestellt. Und hat vor, die Stimmrechte der Gründerfamilie an der Generalversammlung zu beschneiden. Dadurch riskierte er rechtliche Probleme und eine jahrelange Auseinandersetzung.
Die Stimmung im Saal steigt. 1900 Aktionäre haben sich angemeldet. Dreimal so viel wie üblich. In den vergangenen Jahren habe die Lorze-Halle ausgereicht, sagt Herbert Engelbrecht, pensionierter Schreiner aus Baar. Ein Kleinaktionär. Es sei schade, was mit der Firma jetzt geschehe, meint er.
Auch sein Ärger gilt der Familie Burkard, die ihren Aktienanteil an die französische Konkurrentin Saint-Gobain verkaufen möchte. Sich für 2,75 Milliarden von der Firma verabschieden will. «Macht eine halbe Milliarde für jeden der fünf Sika-Erben», rechnet Engelbrecht vor. «So etwas hätte es unter Franziska Burkard-Schenker, die 2013 verstorben ist, nie gegeben», sagt er. Hoffnung, dass die Burkards vom Verkauf zurücktreten, hat er nicht. Andere Kleinaktionäre nehmen die Burkards später in Schutz.
Der Vertreter der Familie, Sika-Verwaltungsrat Urs Burkard, verteidigt den Verkauf. Buhrufe begleiten seine Ausführungen. Er warnt Verwaltungsrat und Management vor den Folgen – droht ihnen mit Klagen, wenn seine Stimmrechte beschnitten werden. Fühlt sich enteignet, falsch verstanden. Er spricht Hälg direkt an: «Es ist ein letzter Appell an deine Vernunft, Paul.» Freunde waren sie wohl nie.
Von draussen dringen kreischende Kinderstimmen in den Saal. Der grosse Fussballplatz ist für die Aktionäre reserviert, die nach der Versammlung dort verköstigt werden. Wer heute Fussball spielen will, muss auf den Hartplatz ausweichen. Andere Kinder spritzen sich mit kühlem Wasser ab. Ein Securitas-Mann schreitet ein. Festzelte sind aufgestellt. Eine hundert Mann grosse Kochbrigade marschiert auf. Sie tragen Schwarz.
In den Zuschauerrängen die prominenten Sika-Familienvertreter, aber auch Politiker – Thomas Minder, Karl Vogler oder Markus Lehmann – sowie Ethos-Direktor Dominique Biedermann. Dieser spricht später von einem gebrochenen Vertrauen in die Familie. Spricht direkt Urs Burkard an: «Ihr Verhalten ist unverantwortlich.» Applaus.
«Wir sehen durch diesen Konflikt die Gefahr einer längerfristigen Schädigung des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Am liebsten wäre uns, dass sich die Streitparteien auf eine gemeinsame Lösung einigen», sagt der sonst schweigsame Engländer Trelawny Williams, eine der wichtigsten Figuren des Vermögensverwalters und Sika-Aktionär Fidelity International. Später tritt zum ersten Mal ein Vertreter von Cascade auf, der auch das Milliardenvermögen der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung verwaltet. Mike Rodden verurteilt die Sika-Gründerfamilie aufs Schärfste. Ihr Verhalten zeuge von «kurzfristigem Opportunismus».
Die Waldmannhalle in Baar. Draussen beginnt der erste richtige Sommerabend in diesem Jahr. Bis vor wenigen Monaten hat kaum jemand von der Industrieperle Sika gehört. Ein Unternehmen mit Tradition und 17'000 Mitarbeitern weltweit. Die Industriegeschichte geschrieben haben: Ohne die Zusatzstoffe von Sika wäre der Gotthardtunnel nicht elektrifiziert worden.
Drinnen sorgt eine technische Panne für Verzögerung. Dann wird gegen die einstigen Firmen-Herrscher abgestimmt. Draussen ist es Nacht geworden. Die Aktionäre haben fast sieben Stunden ausgeharrt.
In den letzten zehn Jahren stieg die Sika-Aktie um 400 Prozent an. Einige im Saal wissen das. Doch nun bleibt die Unsicherheit. Aktionäre und Mitarbeiter wissen noch lange nicht, was mit Sika passieren wird.