Kameras und Anzeigen gegen Sugus-Mietende: «Bachmann fährt eine Zermürbungstaktik»
Zwei schwarze Klappstühle und ein schwarzes rundes Klapptischchen dazwischen. Sonst steht nichts auf dem Balkon.
Das gleiche Bild auf dem Balkon daneben. Und bei jenem darüber.
Die verlassenen Balkonmöbel zeigen an, wo die ursprünglichen Bewohner der Sugus-Häuser in der Neugasse 81, 83 und 85 ihr langjähriges Zuhause verlassen haben. Und wo sich nun stattdessen Touristinnen und Expats einquartieren: in möblierten Business-Apartments. So, wie sich das Besitzerin Regina Bachmann schon vor einem Jahr vorgestellt hat, als sie allen 105 Mietparteien kurz vor Weihnachten mit der Erklärung kündigte, totalsanieren zu müssen.
Nur ein Jahr später ist ihre Vision für die drei Häuser auf dem besten Weg, Realität zu werden.
Schlüsselboxen und Touris
Neben den Briefkästen des Sugus-Hauses Nummer 83 sind sechs schwarze Kästchen mit Zahlenschloss montiert. Sie sind genauso seltsam angeschrieben wie manche der Briefkästen: «83/n.S 2.2». Oder: «83/n.2B 1.1». Es sind Schlüsselboxen, wie sie viele «Gastgeber» auf Plattformen wie Airbnb verwenden, damit Touristinnen und Touristen jederzeit selbstständig ein- und auschecken können.
Zwei Männer, eine Frau und zwei Mädchen treten aus dem Haus Nummer 83. Alle mit Rucksack bepackt. Chilenische Touristen. Sie haben keine Zeit, zu reden. Vielleicht wollen sie zum Weihnachtsmarkt. Ihre Unterkunft, zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof Zürich entfernt, wäre für diesen Plan perfekt gelegen.
Fast durchgehend fünf Sterne geben die Feriengäste Bachmanns Wohnungen auf Airbnb. Sie schwärmen von ihrer praktischen Lage, dem «charmanten» Viertel, dem vielen Platz, den man für diesen Preis erhalte.
Die chilenische Familie dürfte zwischen 1100 und 2600 Franken für fünf Übernachtungen bezahlt haben. Je nachdem, wie gross ihre von Bachmann gemietete Unterkunft ist. Mit diesen Tarifen könnte Bachmann mit einem einzigen Apartment in einem ausgebuchten Monat zwischen 6600 und 15'600 Franken verdienen.
Zum Vergleich: Eine von den Kündigungen betroffene alleinerziehende Mutter wohnt seit 25 Jahren in den Sugus-Häusern und sagt zu watson: «Meine 5,5-Zimmer-Wohnung kostet im Moment etwas über 2000 Franken.» Leopold Bachmann, der Architekt der Sugus-Häuser, habe die Bestandsmiete immer an den Hypo-Zins angepasst. Sein erklärtes Ziel war es gewesen, mit den neun bunten Blöcken eine durchmischte Siedlung für alle Menschen zu schaffen. Dank fairer Mietzinsen.
Umnutzung ist in vollem Gange
«Hier rollen ständig Köfferchen ein und aus», sagt ein Nachbar, der auf dem Weg nach Hause in eines der Sugus-Häuser ist, das nicht Regina Bachmann geerbt hat, sondern einer ihrer Brüder. Darum hat er keine Kündigung zu befürchten. Missbilligend schaut er zu den Metallstühlen auf den Balkonen hoch und sagt:
Viele, die er seit Jahren gekannt habe, seien weggezogen.
Als würde er den Nachbarn bestätigen wollen, tritt kurz darauf ein Mann auf einen der Balkone, die nur mit Klappstühlen und Tischchen bestückt sind, und zündet sich eine Zigarette an. Auf dem Kopf trägt er ein Headset. Während er raucht, spricht er ins Mikrofon. Auf Englisch.
Solche Szenen beobachtet auch eine ältere Nachbarin aus einem der nicht betroffenen Sugus-Häuser häufig. Das macht sie traurig:
Jetzt, an den kalten, dunklen Abenden, falle ihr besonders auf, wie trist es im Quartier geworden sei. In den meisten Wohnungen brenne kaum je Licht, geschweige denn Weihnachtsbeleuchtung. Stattdessen sehe sie nur leere, grüne oder orange Fassaden. Viele Rollläden sind durchgehend heruntergelassen.
Es ist anzunehmen, dass bereits weit mehr Wohnungen leer sind, als eintönige Gartenmöbelsets auf den Balkonen stehen. Da, wo die Namen der Bewohnenden stehen sollten, klaffen an den Briefkästen Löcher. Mehr Löcher, als es Schlüsselboxen gibt.
Versteckte Überwachungskameras
Noch vor einem Jahr hat sich die ganze Siedlung zusammengetan, um sich gegen die Massenkündigung zu wehren. Mit einer Petition, mit Demonstrationen, mit dem Gang an die Medien.
Auch bei der Schlichtungsbehörde fochten viele Mietparteien die Kündigung als missbräuchlich an. Diese entschied im Sommer: Bachmanns Kündigungen sind ungültig, da sie mehrere, sich widersprechende Kündigungen verschickt hatte. Den Mieterinnen und Mietern sei eine Schonfrist von drei Jahren zu gewähren.
Eins zu null für die Mieterinnen und Mieter. Könnte man meinen. Doch dem ist nicht so.
«Bachmann fährt eine Zermürbungstaktik», sagt Jascha Harke, der in den betroffenen Sugus-Häusern aufgewachsen ist und sich aktiv gegen die Massenkündigung engagiert. Harke berichtet, dass Bachmann ihre Mieterinnen und Mieter mit Abmahnungen, Anzeigen und Überwachung terrorisiert.
Einen Hinweis darauf findet man bereits im Eingangsbereich der drei Häuser: Über jeder Tür ist eine Kamera installiert. Mit einem daneben montierten Aufkleber lässt Bachmann ihre Mieterinnen und Mieter wissen: «Dieser Bereich wird von Kameras überwacht. Zweck: Prävention von Straftaten, Beweissicherung bei Straftaten, Wahrnehmung Hausrecht.»
Gemäss Harke hat die Verwaltung auch im Lift eine Kamera installiert. «Man kann sie fast nicht sehen.» An der Decke des Lifts seien viele Lämpchen eingebaut. Eines davon hätte Bachmann durch eine Kamera ersetzen lassen. Ohne ihre Mieterinnen und Mieter darüber zu informieren. Ein Mieter soll wegen dieser versteckten Kamera Anzeige gegen Unbekannt eingereicht haben, weil er das Datenschutzgesetz verletzt sah. Damit drehte er den Spiess sozosagen um.
Anzeigenflut
In diesem Jahr hat Bachmann verschiedene Mieterinnen und Mieter wegen mutmasslicher Straftaten angezeigt. Wie der Tages-Anzeiger schreibt, erhielt ein Mieter etwa eine Kündigung sowie Anzeige wegen «Sachbeschädigung». Was genau er beschädigt haben soll, wisse er nicht. Die Vorladung bei der Polizei muss er trotzdem wahrnehmen.
In zwei anderen Fällen hat Bachmann einer Mietpartei eine Kündigung wegen «vertragswidriger Hundehaltung» zugestellt, wie Dokumente zeigen, die watson vorliegen. Eine Mietpartei hat eine Abmahnung erhalten, weil sie einen Protest-Aufkleber auf ihren Briefkasten geklebt hatte.
Einer weiteren Mietpartei hat die Verwaltung eine Abmahnung zugestellt, wegen «Störung des Hausfriedens». Der Verwaltung sei zu Ohren gekommen, dass sie einem Neumieter zugerufen habe, er solle auf keinen Fall einziehen, die Miete sei viel zu teuer.
Mit diesem Vorgehen ermüdet Bachmann ihre Mieterinnen und Mieter nicht nur. Sie fährt auch immer wieder Erfolge ein. Wie Jascha Harke sagt: «Sich gegen die ständigen Anzeigen, Abmahnungen und Kündigungen zu wehren, ist extrem aufwändig und mühselig. Besonders für jene, die sich rechtlich nicht gut auskennen. Es gibt Leute, die ausziehen mussten, weil sie eine Frist verpasst haben oder einen formalen Fehler gemacht haben.»
Eine Frist einzuhalten hat auch Regina Bachmann. Bis zum 11. Dezember muss sie Klage gegen den Entscheid der Schlichtungsbehörde, dass ihre Kündigungen vor einem Jahr ungültig waren, einreichen. Ansonsten gilt der Entscheid als rechtskräftig.
Reicht sie Klage ein, wird ein Gericht entscheiden müssen. Dessen Urteil könnte Bachmann jedoch abermals an die nächste Instanz weiterziehen. Der Prozess könnte sich so mehrere Jahre hinziehen. Mit der Konsequenz, dass die Zukunft des Quartiers nicht ein Gericht entscheidet, sondern die Tatsache, wer mehr Rechtsmittel und den längeren Atem hat: die Mietenden oder Besitzerin Regina Bachmann. Und das ganz legal.
