Vor fast fünf Jahren verkündete das amerikanische Justizministerium das Ende des Bankenprogramms. Und zog, nachdem Schweizer Finanzinstitute Hunderte von Millionen Dollar an Bussen bezahlt hatten, einen Schlussstrich unter den transatlantischen Steuerstreit. Doch nun zeigt sich: Die Spezialistinnen und Spezialisten der Steuerabteilung im Department of Justice lassen nicht locker. Vielmehr ermitteln sie weiter gegen den Finanzplatz Schweiz. Nun aber stehen nicht mehr die Institute im Visier, sondern einzelne Akteure.
Einblick in diese Ermittlungen gibt eine Anklageschrift, die am Dienstag mit einiger Verspätung von der New Yorker Staatsanwaltschaft veröffentlicht wurde. Sie dreht sich um die Machenschaften von gleich sechs Bankern, Anwälten und Finanzberatern, die alles daransetzten, das Geld amerikanischer Kunden der Privatbank IHAG Zürich AG vor dem US-Fiskus zu verstecken. Allem Anschein nach gelang dies, dank einer recht kreativen Lösung, die den Beinamen «Singapore Solution» trug. Die Herkunft von gegen 60 Millionen Dollar sollen die Beteiligten, allesamt Männer, verschleiert haben. Möglich wurde dies dank Transaktionen von Zürich nach Hongkong, Singapur und wieder zurück in die Schweiz, wobei immer wieder auch Bargeld floss.
Eine wichtige Rolle spielten dabei drei hochrangige Mitarbeiter der IHAG, und die Zürcher Zweigstelle des Liechtensteiner Finanzberaters Allied Finance Gruppe. Sie organisierten die «Rundfahrten» für das Geld reicher Amerikaner. Und sie stellten sicher, dass alle den Überblick behielten und die Pläne nötigenfalls angepasst wurden. Die IHAG und der Finanzberater Allied Finance kassierten dabei «substantial fees», erhebliche Gebühren. (Gegenüber dem US-Portal Tax Notes sagte ein IHAG-Sprecher, die Zürcher Privatbank, nach dem Zweiten Weltkrieg von der Industriellenfamilie Bührle gegründet, habe aktuell kein «anhängiges Verfahren» mit den amerikanischen Behörden.)
Wer der eigentliche Drahtzieher in diesem Komplott war, lässt sich aus der 35 Seiten zählenden Anklageschrift nicht ablesen. Eine wichtige Rolle spielte aber R. Der heute 61 Jahre alte Banker war bis vor kurzem die Nummer zwei der IHAG. Dann wurde er aber vor einigen Tagen entlassen, nachdem er sich den spanischen Justizbehörden fluchtartig entzogen hatten, wie das Finanzportal «Finews.com» diese Woche berichtete. Die Spanier hatten R. im August am Flughafen von Palma de Mallorca verhaftet, aufgrund eines (geheimen) amerikanischen Haftbefehls. (Mit seiner Flucht in die Schweiz stellte R. sicher, dass er nicht gegen seinen Willen nach Amerika überstellt wird.)
Ebenfalls unter den Angeklagten befindet sich S. Der Schwyzer Steuerberater und Treuhänder hatte vor einigen Jahren öffentlich behauptet, dass die IHAG in ihrem aussergerichtlichen Vergleich mit dem US-Justizministerium nicht die ganze Wahrheit gesagt habe. (Die Bank bezahlte damals eine Busse von fast 7.5 Millionen Dollar.) Er schwärzte die Privatbank im Jahr 2015 auch beim Justizministerium in Washington an, und bezeichnete sich als Whistleblower. Weil S. aber in der Schweiz mit rechtlichen Problemen kämpfte, sorgten seine Vorwürfe nur kurz für Wirbel. Die ungewöhnlich detaillierte Anklageschrift deutet aber nun darauf hin, dass zumindest einige amerikanische Staatsanwälte S. sehr wohl zuhörten.
Das erstaunlichste an der Anklageschrift ist aber, wie alt die Vorwürfe sind. In der Anklage heisst es, dass die Verschwörung von 2008 bis November 2014 angedauert habe. Und eigentlich beträgt die Verjährungsfrist im amerikanischen Strafrecht fünf Jahre. Kann es tatsächlich sein, dass die Anklageschrift zwei Jahre unter Verschluss blieb? Und wenn Ja: Gegen wie viele andere Schweizer Helfershelfer von US-Steuerhinterziehern sind noch Anklagen anhängig?