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Die Schweiz findet nicht aus der Wohnungskrise – das sind die Gründe

überbauung dübendorf
Schattenwerfende Monster oder Retter in der Wohnungsnot: Wohnhäuser in Dübendorf, Zürich.Bild: keystone

«Hoffnung hat sich zerschlagen» – die Schweiz findet nicht aus der Wohnungskrise

So schlimm ist der Immobilienboom im internationalen Vergleich bisher – und so schlimm geht es weiter
15.09.2025, 06:0315.09.2025, 06:03
Niklaus Vontobel / ch media

Es gab eine leise Hoffnung für Wohnungssuchende, dass es besser werden würde. Es würden wieder mehr Wohnungen entstehen und Eigenheime in einigen Jahren wieder bezahlbarer sein. Doch die Hoffnung hat sich bereits wieder zerschlagen, sagt Fredy Hasenmaile, Chefökonom der Raiffeisenbank.

«Der Bau hatte sich leicht beschleunigt; jetzt geht ihm bereits wieder die Luft aus.»

Hoffnung hatte es gegeben, weil 2024 wieder mehr Baugesuche für Wohnungen eingereicht wurden. Zwar nicht viel mehr, aber immerhin gab es einen Anstieg. Es hätte der Anfang vom Ende der Baukrise sein können.

Aber schon dieses Jahr war es vorbei mit dem hoffnungsvollen Trend. Die Baugesuche sind nicht weiter gestiegen, sondern sogar deutlich gefallen. Obschon die Nachfrage heute grösser ist als durchschnittlich in früheren Jahren, liegt die Zahl der Baugesuche deutlich niedriger. Mehr Nachfrage führt also auf dem Bau weiterhin nicht zu mehr Angebot, wie dies eigentlich sein sollte in einer Marktwirtschaft. Der Bau reagiert nicht – oder zu wenig.

Wer sich von den Baugesuchen nicht entmutigen lassen will, kann sein Glück in der Statistik der bereits bewilligten Wohnungen suchen. Da sieht es zunächst besser aus, denn ihre Zahl ist in den letzten Monaten gestiegen. Doch schaut Chefökonom Hasenmaile genauer hin, erkennt er schnell: Hinter dem Anstieg steht kein landesweiter Trend. Bloss die Stadt Genf, die einige Grossprojekte umsetzt. Keine Wende zum Besseren.

Mit jedem Jahr ohne eine solche Wende wird die Krise indessen grösser. Jedes Jahr kommen neue Haushalte hinzu, die sich eine neue oder grössere Wohnung wünschen. Jedes Jahr bleiben Tausende dieser Wünsche unerfüllt. Damit entfernt sich die Schweiz weiter und weiter von der gewünschten Zahl an Wohnungen. Was Hasenmaile ein Wohnungsdefizit nennt, wird so immer grösser.

Für ihn ist deshalb heute schon klar: Die Knappheit wird zumindest noch zwei Jahre anhalten – und wohl noch weiter zunehmen. Die Folgen sind weiter steigende Mieten und noch mehr Elend für Wohnungssuchende, wie eine kurze Rückblende verdeutlicht.

Bei neu angebotenen Wohnungen hat die Schweiz seit der Jahrtausendwende ein Rauf, Runter und wieder ein steiles Rauf erlebt. Ab dem Jahr 2000 ging es laut Daten des Immobilienberaters Wüest Partner in die Höhe mit den Mieten – bis sie 2015 um 54 Prozent höher lagen.

Danach zog jedoch der Bau stark an, angetrieben von negativen Zinsen. Jedes Jahr kamen mehr leere Wohnungen hinzu, bis die Finanzaufsicht Finma vor einer Geisterstadt so gross wie Bern warnte. 2021 waren die Mieten gegenüber 2015 um 10 Prozent gefallen. Immerhin. Was wohl zeigte: Ein steigendes Angebot würde tatsächlich helfen, die Mieten nach unten zu drücken.

Denkmäler werden geschützt, das Interesse an genügend Wohnraum nicht

Es folgte jedoch bald die nächste Wende und die Mieten stiegen wieder. Heute liegen sie wieder so hoch wie vor 10 Jahren, als hätte es die Jahre mit steigenden Leerständen nicht gegeben. Somit liegen die Mieten wieder 50 Prozent höher als vor 25 Jahren – und belasten die Haushaltsbudgets deutlich stärker. Besser wird es nicht. Laut UBS werden die Mieten bis Ende 2026 nochmals um bis zu 4 Prozent steigen.

Und die Folge der Baukrise sind steigende Eigenheim-Preise. Laut Zahlen der Bank für Zahlungsausgleich (BIZ) liegen sie heute um 22 Prozent höher als vor fünf Jahren, 68 Prozent höher als vor 15 Jahren, und gar 133 Prozent höher als vor 25 Jahren. Die Löhne stiegen weit weniger stark, wie der Lohnindex des Bundesamts für Statistik zeigt: Nur um etwa 30 Prozent.

Hasenmaile ist überzeugt: Die Schweiz muss sich bewegen, es läuft zu vieles schief. Das Kernproblem ist laut seiner Analyse, dass der Bau zu wenig auf die gestiegene Nachfrage reagieren kann – weil die Schweiz anderen Zielen als dem Wohnungsbau den Vorrang gibt, oft ohne sich dessen bewusst zu sein.

So sind historisch wichtige Bauten oder Denkmäler heute besser vor Schaden geschützt als früher, Menschen vor Lärm, Landschaften vor Zersiedlung, Hauseigentümer vor schattenwerfenden Neubauten. Alles wichtig, aber die Folgen für den Bau wurden lange nicht erkannt, sagt Hasenmaile:

«Heute ist das allgemeine Interesse an genügendem Wohnraum deshalb überhaupt nicht geschützt.»

Selbst wenn etwas für den Bau getan wird, dauert oft alles quälend lang, sagt Hasenmaile. So habe man etwa zehn Jahre warten müssen, bis im Frühling 2026 eine neue Lärmgesetzgebung in Kraft treten wird.

«Das Beispiel zeigt: Es gibt keine schnellen Lösungen.»

Die Schweiz ist kein Sonderfall, sondern internationaler Regelfall, wie die BIZ-Zahlen zeigen. In nahezu allen Industriestaaten sind die Preise für Wohneigentum stark gestiegen – weit stärker als jene aller anderen Waren und Dienstleistungen im Durchschnitt. Über alle Industrieländer hinweg war es in den vergangenen 15 Jahren durchschnittlich um 33 Prozent mehr.

Zu den Ländern mit noch höheren inflationsbereinigten Preisanstiegen gehören Österreich (37 Prozent), Luxemburg (48 Prozent) sowie Kanada (54 Prozent). Dann kommen die USA, Neuseeland und die Schweiz mit je fast 60 Prozent. Am schlimmsten hat es die Türkei, Chile und Island erwischt, wo sich die realen Preise mehr als verdoppelt haben.

Bestehende Hausbesitzer verhindern Neubauten

Es ist ein internationales Problem und deshalb sucht man auch international nach den Ursachen. So hat der Harvard-Professor Edward Glaeser in einer Studie festgestellt: auch die USA schaffen es trotz steigender Preise nicht, in ihren Städten genug zu bauen. Selbst in Los Angeles oder Atlanta nicht, wo drei oder zehn Mal weniger Menschen auf der gleichen Fläche leben als in New York. Also selbst da nicht, wo es Platz hat.

Glaeser findet nur eine Erklärung dafür überzeugend:

«Unsere Häusermärkte sind zu Orten geworden, wo bestehende Hausbesitzer zunehmend die Regeln kontrollieren, um ihre Interessen zu schützen.»

Denn dass der Bau immer weniger auf steigende Preise reagiere, sei genau dann zu erwarten, wenn bestehende Hausbesitzer in teuren Gegenden besser darin geworden seien, Neubauten zu verhindern.

Auch der Länderverein OECD ist auf der Suche nach Ursachen und Lösungen für einzelne Länder. In den Niederlanden sei der Wohnungsbau weit hinter der Nachfrage zurückgeblieben und es würden nun 400'000 Wohnungen fehlen. Die OECD verortet die Probleme bei einer überbordenden Regulierung und Land-Spekulation.

Zugleich habe es die Politik mit der steuerlichen Bevorzugung von Wohneigentum übertrieben. Der Abbau dieser Vorteile sei eine wesentliche Voraussetzung, um einen «ausgewogeneren Wohnungsmarkt zu schaffen und das Wohlstandsgefälle zwischen Eigenheimbesitzern und Mietern zu verringern.» (aargauerzeitung.ch)

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217 Kommentare
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Holde Yolle
15.09.2025 07:16registriert März 2025
Ich wohne auf dem Land und hier wird intensiv gebaut. Es werden ältere Häuser abgerissen und grosse, dementsprechend teure Eigentumswohnungen hingebaut. Die spriessen wie Pilze aus dem Boden.
Was zunehmend fehlt sind günstige Mietwohnungen. Meine Kinder wollen langsam flügge werden, finden aber keine Wohnung, die sie bezahlen können.
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Katerchen
15.09.2025 06:14registriert März 2023
Eine Nettozuwanderung von 60'000 bis 80'000 Menschen im Jahr die zusätzlich als neue Nachfrager auf den Markt kommen tragen natürlich nicht zum Sinken der Preise im Wohnbereich bei.
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Dr no
15.09.2025 06:14registriert Mai 2018
Es gibt keine wohnungskrise, es gibt eine Zuwanderungskrise.es kann kein unendliches Wachstum geben
199106
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