Die Konzernverantwortungs-Initiative kommt vermutlich Ende November vors Stimmvolk. Die Einigungskonferenz von National- und Ständerat entschied sich am Donnerstag wie erwartet für den indirekten Gegenvorschlag der kleinen Kammer. Dieser geht für das Initiativkomitee nicht weit genug, weshalb es am Volksbegehren festhält.
Die «schärfere» Variante des Nationalrats hätte den Rückzug ermöglicht. Einen solchen habe der Nahrungsmittelkonzern Nestle mit einem neuen Vorschlag angestrebt, den er am Mittwoch quasi in letzter Minute ins Spiel gebracht hatte, wie das Magazin «Republik» berichtete. Er orientierte sich weitgehend am Konzept des nationalrätlichen Entwurfs.
Nestle wollte sich auf Anfrage nicht zum Bericht der «Republik» äussern. Ein Insider bestätigte jedoch, dass der Vorschlag lanciert worden sei. Kernstück sei der Verzicht auf die automatische Beweislastumkehr. Die Forderung im Initiativtext, wonach vor einem hiesigen Gericht verklagte Firmen faktisch ihre Unschuld beweisen müssten, wäre vom Tisch.
Die Gegner der Initiative wehren sich vehement gegen diese Idee. Sie fürchten eine Prozesswelle. Der Nestle-Vorschlag hätte diesen Stolperstein beseitigt, und die Initianten wären tatsächlich bereit gewesen, die Kröte zu schlucken und die Konzerninitiative zurückzuziehen, wie ein Vertreter gegenüber watson bestätigte.
Die Parlamentarier hatten dafür kein Musikgehör. Sie sind in der Regel wenig empfänglich für «Störmanöver» in letzter Minute. Ausserdem hatten die Bürgerlichen vorgespurt, indem sie Befürwortern des nationalrätlichen Gegenvorschlags wie Hans-Ueli Vogt (SVP) und Christa Markwalder (FDP) laut «Republik» die Teilnahme an der Einigungskonferenz «untersagten».
Durchgesetzt hat sich die vom Walliser CVP-Ständerat Beat Rieder vorgegebene Linie, wonach die Schweiz nachziehen könne, wenn die EU in einigen Jahren ihre Regeln zur Konzernhaftung verschärfen sollte. Entsprechende Pläne stellte EU-Justizkommissar Didier Reynders kürzlich an einem Webinar mit Parlamentariern und Experten vor.
Warum aber wollte Nestle eine Abstimmung unbedingt verhindern? Die Chancen der Initiative haben sich wegen der Corona-Rezession eher verschlechtert, trotz guter Umfragewerte. Doch Nestle fürchtet, dass ein emotionaler Abstimmungskampf zu Themen wie Kinderarbeit und Umweltzerstörung einen Imageschaden verursachen könnte.
Das Ausland schaut häufig hin, wenn die Schweiz über «avantgardistische» Themen abstimmt. Beispiele sind das Grundeinkommen und die Vollgeld-Initiative. Entsprechend besorgt ist man am Nestle-Sitz in Vevey, denn der Nahrungsmittelriese, der auch in «Problemländern» wie Syrien und Venezuela tätig ist, steht besonders in der Kritik.
Nun kommt es doch zur Volksabstimmung, wie das Initiativkomitee in einer Mitteilung ankündigte. Und zwar unabhängig davon, ob der Entscheid der Einigungskonferenz für den «Alibi-Gegenvorschlag» nächste Woche in der Gesamtabstimmung bestätigt oder durch eine «unheilige Allianz» von SVP und Rotgrün im Nationalrat versenkt wird.
Die Initianten jedenfalls stehen bereit. Ihr «Aushängeschild», der frühere Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty, gab sich in der Mitteilung kämpferisch: «Ich bin sehr zuversichtlich, denn unsere Initiative fordert eine Selbstverständlichkeit. Wenn Konzerne das Trinkwasser vergiften oder ganze Landstriche zerstören, sollen sie dafür geradestehen.»
Ein jährliches Hochglanzheftli tuts nicht, "liebe“ Konzerne!