Im Waldstück rund um den Stadtsaal in Kloten schleichen Polizisten der Hundestaffel mit ihren Vierbeinern. Über dem Gebäude surrt eine Drohne, vor der Tür parkt ein Wasserwerfer. Es wimmelt von Beamten mit Körperpanzer, Schild und Gummischrot-Gewehr.
In der Flughafen-Stadt Kloten herrscht am Freitagnachmittag Ausnahmezustand. Denn hier spricht gleich der aktuell wohl aussergewöhnlichste Staatschef der Welt: Javier Milei.
Argentiniens Präsident steht einem Konstrukt vor, das er eigentlich verachtet. Zumindest in der Form, in der er den Staatsapparat Argentiniens bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr vorgefunden hat.
Das Land lag wirtschaftlich am Boden, der politische Apparat war durchsetzt von Ineffizienz und Korruption. Die sozialistisch geprägten Peronisten haben Argentinien derart heruntergewirtschaftet, dass die Bürger bei der letzten Wahl das wohl mutigste Experiment der neueren Geschichte wagten: Sie legten ihr Schicksal in die Hand eines Libertären.
Von Tag eins an baute Milei radikal um. Er strich die Hälfte aller Ministerien ersatzlos, um die Staatsausgaben zu drücken. Mit Erfolg: Er hat die unfassbar hohe Inflation im Land von über 200 Prozent praktisch halbiert. Fast durchgängig während der letzten Hundert Jahre hat Argentinien mehr Geld ausgegeben als es eingenommen. Milei führte eine sensationelle Wende herbei. Die Wirtschaft wird laut Prognosen in diesem Jahr um ganze 5 Prozent wachsen.
Der Erfolg hat eine Schattenseite. Milei kürzte bei den Sozialausgaben drastisch. Das trifft die Ärmsten. Die Hälfte der Bevölkerung kann die Grundbedürfnisse nicht decken. Unter Milei hat die Armut so stark zugenommen wie seit 20 Jahren nicht.
Milei streitet das gar nicht ab. Er sagt aber, dass die Wirtschaft zuerst gesunden müsse. Seine eingeleiteten Massnahmen, erklärt er in Kloten, hätten bereits zu einer sichtbaren Verbesserung geführt: Die Armutsrate von 54 Prozent im ersten Quartal sei inzwischen auf 38 Prozent gesunken. «Das Defizit im Staatshaushalt war die Wurzel allen Übels», sagt er. Mit dem «grössten Sparprogramm der Menschheitsgeschichte» sei dieses nun beseitigt. Millionen Argentinier habe er aus der Armut geholt.
Nach Kloten kam Milei, um zwischen seinem weltweit beachteten Auftritt am Weltwirtschaftsforum in Davos und dem Flug in die Heimat noch einen Preis einzusacken. Das Liberale Institut verlieh ihm den Röpke-Preis für Zivilgesellschaft.
Zwei Tage zuvor schockte Milei die Welt noch mit einer knallharten Abrechnung mit dem «woken Zeitgeist» aus «radikalem Feminismus und Genderideologie». Dieser sei wie ein Krebs, den man auslöschen müsse, sagte er.
Wegen Aussagen wie diesen ist der Argentinier zum Feindbild des linken Spektrums geworden. Deshalb die erhöhte Polizeipräsenz in Kloten – und strenge Sicherheitskontrollen.
Rund 600 Menschen sind zur etwas abgelegenen Stadthalle gepilgert, um dem neuen Star der Libertären zu lauschen. Unter ihnen: die deutsche AfD-Chefin Alice Weidel und alt SVP-Bundesrat Ueli Maurer.
Die Schlange vor der Sicherheitskontrolle ist lang, eine emsige Mitarbeiterin fordert «mehr Tempo» am Metalldetektor, sonst dauere es zu lang. «Aber Sicherheit geht vor, seid gründlich», schiebt sie nach. «Ich kann nur schnell oder gründlich machen, beides geht nicht», blafft ein Sicherheitsmann zurück.
Es ging dann doch zügig und sicher, alle fanden ihre Plätze, nach langen Vorreden ging es endlich los. Tosender Applaus, Milei kommt in den Saal und stimmt in die «Freiheit, Freiheit» Sprechchöre des Publikums mit gereckter Faust ein.
In Kloten, ganz unter Seinesgleichen, wirkt er entspannter als am WEF. Dort las er minutenlang vom Blatt ab, ohne die Augen zu heben. Nun reisst er Witze über die riesige Staatsverschuldung in Deutschland, gegen die der Preis-Namensgeber Wilhelm Röpke kämpfte.
Politiker dürfen das Geld der Bürger nicht verschwenden, sagt Milei. Und der Staat darf nicht unendlich Geld drucken, das führe zwangsläufig in die Inflation. «Verkommene Menschen» seien das, die das befürworten.
Ansonsten ist seine Rede eher zahm. Zumindest für seine Verhältnisse. Vom Leder zog er am WEF. Das berichtete er seinen Zuhörern in Kloten auch mit einer Portion stolz: «Wir sprechen die Wahrheit, darum hassen sie uns», sagt Milei. «Sie wollen uns mundtot machen und ins Exil treiben. Dieses Übel müssen wir noch stärker bekämpfen. Das habe ich gestern gemacht, im Haus des Drachens.» Gemeint war Davos.
Danach referiert er über die Erfolge seiner Politik, die ihm notabene auch unabhängige Institute bescheinigen. Mehr als 900 Regulierungen habe seine Regierung bereits aufgehoben. Drei pro Tag seien das. Da die entsprechende Stelle erst vor einem halben Jahr die Arbeit aufnahm, seien es eigentlich sogar sechs.
Die Anzahl der nationalen Steuern werde um 90 Prozent gesenkt. Die Provinzen sollen wieder mehr Zuständigkeit erhalten. «Hier seid ihr in der Schweiz uns um Jahrhunderte voraus», sagt er.
Den grössten Beifall bekommt Milei, als er ankündigt, die Zentralbank zu schliessen, um die Inflation endgültig zu beseitigen. «Wenn ich Populist wäre, hätte ich das genau so geplant», sagt Milei in Anspielung auf die Ovationen.
«Der Staat, egal wie gross, darf nicht mehr ausgeben als er einnimmt. Inflation ist die Folge des Gelddruckens. Das soll er nicht mehr dürfen.»
Inzwischen sind rund die Hälfte der Argentinier mit Mileis Kurs zufrieden – mehr als noch vor einem Jahr. Viele Arme, die während der ersten Monate noch ärmer wurden, sehen das freilich anders. Angesichts der katastrophalen Ausgangslage im Land, ist Mileis Rettungsaktion für Argentiniens Wirtschaft jedoch fast als kleines Wunder zu betrachten.
So sehen das auch Camillo und seine Kollegen, die extra nach Kloten rausgefahren sind, um einen Blick auf Milei zu erhaschen. Ein Ticket für die Veranstaltung hatten sie nicht. Trotzdem hat sich der Argentinier, der in der Schweiz lebt, sein Fussballtrikot übergestreift und sich auf den Weg gemacht.
Er hat den heutigen Präsidenten sogar schon persönlich getroffen, sagt Camillo. Vor etwa zehn Jahren sei das gewesen. Er zückt sein Handy und zeigt ein Bild von ihm mit Milei.
Auch Melina ist gekommen. Die junge Frau stammt aus Rosario. «Wie Lionel Messi», sagt sie. Seit fünf Jahren lebt sie in der Schweiz. Zwar wirkt sie nicht wie der allergrösste Milei-Fan. Aber die Entwicklung ihres Heimatlandes im letzten Jahr macht ihr Mut.
Das allerwichtigste aber, da sind sich die beiden Argentinier vor dem Klotener Stadtsaal einig, sei, dass die Sozialisten weg sind. Jetzt könne es eigentlich nur besser werden. (aargauerzeitung.ch/lyn)
Diese Einleitung würde ich aus aktuellem Anlass überdenken.
schauen wir nochmals in einem Jahr und beurteilen dann nochmals. Ich meine dass man nicht mehr ausgeben sollte als man hat ist kein verkehrter Grundsatz leider aber von den Peronisten nicht beherzigt.