Schweiz
Wirtschaft

Wie die Schweiz den steigenden Krankenkassen-Prämien begegnen könnte

THEMENBILD ZU DEN KRANKENKASSENPRAEMIEN --- [Symbolic Image] Different Swiss health insurance cards, photographed in Zurich, Switzerland, on September 9, 2019. (KEYSTONE/Christian Beutler)..[Symbolbil ...
Am 30. November ist Kündigungstermin in der Grundversicherung. Vergleichen lohnt sich.Bild: keystone
Interview

«Mit der Einheitskasse gäbe es einen administrativen Moloch»

Nach zwei ruhigen Jahren steigen die Krankenkassenprämien stark an. Stephan Wirz vom Maklerzentrum Schweiz ordnet ein und sagt, welche Massnahmen wirken. Ein «Allheilmittel» gegen die steigenden Kosten gebe es nicht.
13.11.2022, 13:0014.11.2022, 13:52
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Wie muss man den «Prämienschock» einordnen?
Stephan Wirz:
Der Prämienanstieg von 6,6 Prozent ist ein Mittelwert. Je nach Region und Krankenkasse kann er die Kunden mehr oder weniger stark treffen. Er war notwendig, denn in den letzten zwei Jahren wurden die Prämien auf politischen Druck nur wenig erhöht. Zudem haben die Krankenkassen an den Kapitalmärkten weniger Erträge oder teilweise sogar Verluste erwirtschaftet. Es wird deshalb in den nächsten Jahren weitere Erhöhungen geben. Der aktuelle Anstieg bewegt sich eher am unteren Rand des Notwendigen.

Was raten Sie den Prämienzahlenden?
Man kann innerhalb der Krankenversicherung optimieren und sollte das auch tun. Dazu gehören alternative Versicherungsmodelle ebenso wie eine Anpassung der Franchise. Es gibt zudem attraktive neue Modelle. Bis jetzt kennt man das Hausarzt-, Telefon- oder Apothekenmodell. Jetzt gibt es Mischlösungen etwa von Sanitas (Medbase MultiAccess)und Groupe Mutuel (PrimaFlex), bei denen die Kundschaft die erste Anlaufstelle (Arzt, TelMed oder Apotheke) von Fall zu Fall wählen kann. Und auch die Versicherung an sich muss man genau anschauen, da es grosse Prämienunterschiede zwischen den einzelnen Anbietern gibt. Die Grund- und Zusatzversicherung müssen nicht am gleichen Ort sein.

Stephan Wirz, Maklerzentrum Schweiz AG Basel
Stephan Wirz ist Geschäftsleitungsmitglied der Maklerzentrum Schweiz AG in Basel. Sie bietet Dienstleistungen im Versicherungs- und Vorsorgebereich für Privat- und Firmenkunden und ist nach eigenen Angaben Marktführerin.

Bei der Franchise besteht das Risiko, dass man eine zu hohe wählt, die man im Notfall nicht bezahlen kann. Das kann für die Versicherten gravierende Folgen haben.
Ganz so gross ist das Problem nicht. Gegen Unfälle sind die meisten Leute durch den Arbeitgeber versichert. Da spielt die Franchise keine Rolle. Bei Mutterschaft fällt ebenfalls keine Franchise an. Für krankheitsbedingte Risiken ist eine Spitalkapitalversicherung eine Option. Sie kostet je nach Höhe des Kapitals etwa 20 Franken pro Monat, und im Spitalfall wird eine Entschädigung entrichtet. Mit einer Erhöhung der Franchise von 300 auf 2500 Franken spart man etwa 125 Franken pro Monat. Das ergibt unter dem Strich immer noch eine Einsparung von mehr als 100 Franken pro Monat mit einer besseren Absicherung im Spitalfall. Dann heisst es oft, man könne mit einer hohen Franchise keinen Check-up mehr machen. In einer Zusatzversicherung aber ist er oft enthalten, ohne Franchise. Und Groupe Mutuel bietet auf das neue Jahr mit dem PrimaFlex ein Modell an, das Generika von der Franchise ausnimmt.

«Gleichzeitig versuchen die Versicherungen, die Kundenbindung zu verstärken. Das geschieht dieses Jahr so intensiv wie noch nie.»

Das muss man erst einmal wissen.
Die Leute suchen auf Prämienrechnern von Comparis oder Priminfo das günstigste Angebot. Sie sehen aber nicht, welche Restriktionen das Modell enthält. Darum ist es wichtig, sich von jemandem beraten zu lassen, der den Überblick hat. Unsere Firma hat 160’000 Kunden. Mit denen, die von einer überdurchschnittlichen Erhöhung betroffen sind, suchen wir nach individuellen Lösungen.

Welchen Spielraum haben die Krankenkassen?
Der Spielraum ist stark eingeschränkt. Die Krankenversicherungen weisen vergleichsweise bereits sehr tiefe Verwaltungskosten auf. Es wird teilweise gefordert, den Vertragszwang mit den Ärzten aufzuheben, damit sie jene nicht mehr bezahlen müssen, die überdurchschnittlich hohe Kosten verursachen. Es gibt auch Bestrebungen, einzelne Leistungen nicht mehr aus der Grundversicherung zu übernehmen, da deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist. Gleichzeitig versuchen die Versicherungen, die Kundenbindung zu verstärken. Das geschieht dieses Jahr so intensiv wie noch nie. Man will verhindern, dass die Kundschaft abwandert, indem man Alternativen vorschlägt. Es ist für den Kunden und die Versicherer ein Spiel gegen die Zeit, denn der 30. November ist schnell vorbei.

Was kann die Politik tun?
Es braucht vor allem Lösungen bei den Prämienverbilligungen. Es heisst immer, die Kopfprämien seien unfair. Das ist im Grundsatz richtig, aber für tiefe Einkommen gibt es Verbilligungen. Das Hauptproblem ist, dass sie nicht ausgeschöpft werden. Je nach Kanton muss man sich teilweise aktiv darum bemühen. Das ist ein grosses Problem. Es muss unkompliziert gehen. Über die Steuererklärung kann ermittelt werden, wer Anspruch auf eine Prämienverbilligung hat.

In der Politik gibt es Diskussionen um eine Kostenbremse. Sehen Sie da eine Möglichkeit?
Natürlich kann man punktuell beim Leistungskatalog Abstriche machen. Aber man muss das Übel an der Wurzel packen und bei Bagatellen aufhören, die Leute zum Arzt zu schicken. Das beginnt mit dem Arztzeugnis, das man dem Arbeitgeber nach mehr als drei Tagen Abwesenheit vorlegen muss. Ohne diese Anforderung gäbe es weniger Arztbesuche. Und ein Arztzeugnis kann man auch telefonisch einholen. Ausserdem bin ich ein Befürworter flexibler Modelle. Nach einem Zeckenbiss oder Sonnenbrand kann man sich in der Apotheke behandeln lassen und muss nicht einen Arzt aufsuchen. Oftmals genügt bei Bagatellen auch ein Anruf auf eine telefonische Ärztehotline, um einen aufwendigen, oftmals unnötigen und teuren Gang auf die Notaufnahme zu vermeiden.

«Es gibt leider immer noch einige schwarze Schafe, doch die Werbeaktivitäten der Krankenkassen und der Vermittler haben sich auf das Internet sowie Verkaufsstände beispielsweise in Einkaufszentren verlagert.»

Im geltenden System aber profitiert, wer möglichst viele Leistungen erbringt.
Das ist ein Problem, aber es gibt Spielraum. In der Politik gibt es für mich zwei Ansätze: die Optimierung der Prämienverbilligungen und Managed Care, also eine integrierte Gesundheitsversorgung. Managed-Care-Modelle müssen zum Standard werden.

Was halten Sie von den Telefon-Maklern, die viele Leute verärgern?
Zum Glück gibt es unabhängige Vermittler, denn dadurch besteht die Chance, dass der Kunde auf innovative Versicherungsmodelle und -produkte sowie Prämienunterschiede aufmerksam wird. Die telefonische Kaltakquise ist jedoch ein Ärgernis. Allerdings ist das Problem kleiner geworden, denn die Kaltakquise ist im Bereich der Krankenversicherung nicht mehr erlaubt, und dies wird von den Krankenkassen auch überprüft. Es gibt leider immer noch einige schwarze Schafe, doch die Werbeaktivitäten der Krankenkassen und der Vermittler haben sich auf das Internet sowie Verkaufsstände beispielsweise in Einkaufszentren verlagert. Irgendwie muss man zu neuen Kunden kommen.

Es heisst, die Krankenkassen bräuchten jedes Jahr rund zehn Prozent Neukunden, um jene zu ersetzen, die durch Tod oder Kündigung wegfallen.
Es ist das Ziel jedes Krankenversicherers, die Abgänge zu kompensieren, vor allem wenn eine Kasse die Prämien überdurchschnittlich erhöhen muss. Dann laufen die Kunden davon. Also muss derselbe Versicherer die Werbeaktivitäten erhöhen, um neue Kunden zu finden.

Wie beurteilen Sie eine Einheitskasse?
Ich verstehe die Forderung, aber es gäbe einen administrativen Moloch. Und welche Versicherung wird zur Einheitskasse? Vermutlich jene mit dem grössten Marktanteil in einem Kanton. Das könnte dazu führen, dass ein Krankenversicherer zur Einheitskasse in einem Kanton wird, wo ein anderer Krankenversicherer seinen Sitz hat. Dies wäre unsinnig. Ich bevorzuge andere Massnahmen: Managed Care, Generika-Pflicht, gezielte Prämienverbilligungen zur Entlastung tieferer Einkommen. Aber es gibt keine ideale Lösung. Es braucht eine Summe von vielen kleinen Massnahmen.

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217 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Leider Geil
13.11.2022 13:22registriert Mai 2017
Logisch mag der keine Einheitskasse. Das würde ja sein Geschäftsmodell ruinieren.
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actualscientist
13.11.2022 13:12registriert Januar 2019
Also ein typ der selber vom Momentan System profitiert sagt nur nicht zu viel ändern aha. Anstatt einfach Administrativer Moloch zu schreien vieleicht auch Begründen warum? Auch die Vorstellung das eine bestehende Kasse Einheitskasse werden muss ist sehr eng gedacht. Zudem kann manmeiner Meinung nach (als Befürworter der Einheitskasse) diese auf die Grundversicherung belassen wo ein gesetzlicher Leistungskatalog existiert und Wettbewerb keinen sinn macht.
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mbr72
13.11.2022 17:12registriert Mai 2015
Sorry, liebe Watson-redaktion, aber das ist unter eurer Würde. Nehmt diesen Artikel runter oder markiert ihn als Werbung. Das nimmt hier wirklich kein einziger Leser und keine einzige Leserin ernst.
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