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Sabrina Soussan: «Das ist nicht Diskriminierung, das sind Vorurteile»

Interview

CEO Sabrina Soussan: «Das ist nicht Diskriminierung, das sind Vorurteile»

Sabrina Soussan (52), Chefin des weltweit tätigen Schweizer Schlüsselkonzerns Dormakaba, über ihre Karriere als Frau in einer Männerwelt, automatische Türen, ihre neuen Deals mit Apple und Alibaba – und ihr Hobby, das schnelle Autofahren.
28.11.2021, 16:5630.11.2021, 08:50
Florence Vuichard und Benjamin Weinmann / ch media
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Sabrina Soussan
Sabrina Soussan

Die grosse Halle mit dem fabriktypischen Sheddach ist praktisch leer, nicht nur wegen Corona. Es ist vielmehr auch ein Sinnbild für das Geschäft des weltweit tätigen Schweizer Schliesstechnikkonzerns Dormakaba, das sich in den letzten Jahren radikal verändert hat – weg vom traditionellen Metallschlüssel hin zu digitalen Zugangssystemen. Nun soll die Halle in Rümlang ZH wieder mit Leben gefüllt werden. So will es die neue Konzernchefin Sabrina Soussan. Die Deutsch-Französin hat das Zepter bei Dormakaba im April übernommen und wurde damit zu einer der mächtigsten Frauen der Schweizer Industrie.

Wie viele Schlüssel haben Sie an Ihrem Schlüsselbund?
Sabrina Soussan: (überlegt lange) Nur zwei.

Bald dürften es vielleicht noch weniger werden, wenn wir alle im Homeoffice bleiben. Macht Ihnen das Sorgen?
Nein, im Gegenteil: Ich bin mir sicher, dass Dormakaba von den Megatrends wie der zunehmenden Urbanisierung, einer wachsenden und immer älter werdenden Weltbevölkerung und der Digitalisierung, zum Beispiel bei der Vernetzung von Technik in Wohngebäuden, profitieren wird. In Zukunft wird es vermehrt kontaktlose Tür- und Zutrittslösungen brauchen, gerade auch wegen der Pandemie. Alles wird viel fliessender, angenehmer. Sei es im Büro oder am Flughafen. Wir haben seit der Covid-Krise viel mehr solche Produkte verkauft, die Teil unseres Kerngeschäfts sind.

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The CircleBild: keystone

Aber haben die Firmen denn überhaupt Geld, um solche Investitionen zu tätigen? Gerade die Flughäfen befinden sich in ihrer grössten Krise aller Zeiten.
Die Flughäfen haben extrem gelitten, das stimmt. Aber sie standen in Sachen Pandemiekontrolle auch enorm unter Beobachtung, also haben sie investiert, damit die Passagiere während der Reise nichts anfassen müssen.

Selbst in Spitälern haben viele Türen – auch WC-Türen – noch immer einen unhygienischen Türgriff. Verschwindet der bald komplett?
Nein, der Türgriff verschwindet nicht. Aber digitale Schlüssel und Zutrittssysteme werden immer wichtiger - gerade in hoch sensiblen Bereichen wie Spitälern oder Flughäfen, wo viele Menschen verkehren. Hier sind automatische Lösungen überfällig. In vielen Ländern profitieren nun gerade diese Branchen von Konjunktur-Paketen – und damit indirekt auch wir.

Das Schlüsselgeschäft ist ein 40-Milliarden-Dollar-Markt, in dem Sie sich gegen Ihre zwei Hauptkonkurrenten Assa Abloy und Allegion sowie ein Heer von kleinen Anbietern behaupten müssen. Doch je mehr Sie sich vom klassischen, industriell hergestellten Schlüssel verabschieden, desto mehr droht Ihnen Konkurrenz von den Techgiganten wie Apple oder Amazon.
Mechanische Schlüssel bleiben ein wichtiges Standbein von uns, denn in vielen Ländern sind sie nach wie vor sehr gefragt. Nicht alle Kundinnen und Kunden möchten den Schlüssel auf dem Handy. Da sind die USA und Asien weiter als Europa. Für Dritte wie Apple, Amazon und Co. ist es nicht so einfach, in unserer Domäne zu reüssieren. Dafür braucht es viel Branchen-Knowhow, das man sich nicht über Nacht aneignet. Die Eintrittsbarrieren in unseren Markt sind hoch.

So argumentierten schon viele Firmen, die plötzlich den Anschluss an diese Silicon-Valley-Giganten verloren…
Ich nehme die Techfirmen sehr ernst. Aber ich habe keine Angst vor ihnen. In Europa werden wir zum Beispiel künftig mit einer Software-Firma für ein Zutrittssystem in Grossbauten kooperieren. Damit fällt der Schlüsseltausch bei Mieterwechseln weg, da alle Zugänge über das Smartphone geregelt sind. Dort kann man auch festlegen, wer wann wo Zugang hat, zum Beispiel, dass eine Reinigungskraft jeden Dienstag von 10 bis 12 Uhr Zutritt hat, sonst aber nicht.

Mit digitalen Schlüssellösungen steigt die Gefahr für Hackerangriffe, so dass man plötzlich ein- oder ausgesperrt ist.
Die Hackergefahr gibt es überall, wo es digitale Lösungen gibt. Aber wir sind entsprechend gut dafür gerüstet. Schliesslich ist Sicherheit unser Geschäft.

Wäre eine Kooperation mit Amazon oder Apple denkbar?
Wir konzentrieren uns auf den Geschäftskundenbereich, also Bürogebäude, Flughäfen, Spitäler. Wie kooperieren zudem seit diesem Sommer mit Apple bei den digitalen Schlüssel in der Apple Wallet. Und neu sind wir auch Zulieferer vom chinesischen Internetkonzern Alibaba. Dort geht es um Zutrittssysteme für einen nahtlosen Fluss von Besuchern, Kunden und Mitarbeitenden.

Ihre erste Geschäftsreise als Dormakaba-Chefin führte Sie in die USA. Weshalb?
Der amerikanische Markt ist der grösste und profitabelste Markt in unserer Branche. Es wäre undenkbar, nicht mit Amerika zu beginnen und zu verstehen, was die Kundenbedürfnisse vor Ort sind. Ich besuchte viele unserer Kunden, unter anderem das Resorts World Casino-Hotel in Las Vegas, wo wir 3500 Zimmer mit Zutrittssystemen ausgerüstet haben.

Und weil Sie auf zusätzliche Aufträge hoffen, weil Joe Bidens Infrastrukturpaket vom US-Parlament angenommen wurden?
Klar, dank solchen Stimulus-Programme erhalten viele unserer Kunden Geld für ihre Investitionen.

«Ich habe gemachte Brüste, ich will ja unbedingt Sex»

Video: watson/Emily Engkent

Trotzdem möchten Sie nun Ihre US-Tochterfirma Mesker, die Stahltüren herstellt, nur fünf Jahre nach der Übernahme wieder verkaufen. Weshalb?
Weil wir uns auf unsere Kernkompetenzen fokussieren möchten, und das sind elektronische Zutrittslösungen für den kommerziellen Bereich, Tür- und Zugangssysteme sowie Dienstleistungen rund um das Thema Zutrittstechnologie. All diese Bereiche sind auch in der Krise weitergewachsen. Die Stahltüren von Mesker passen da nicht dazu. Zudem hat sich das Geschäft unter unserer Führung schlicht zu wenig gut entwickelt. Wir sind nicht der beste Eigner dieses Unternehmens.

Was haben Sie in den USA falsch gemacht?
Ich würde nicht von falsch reden. Wir sind in den USA in den vergangenen vier Jahren nicht gewachsen, und die Profitabilität ist leicht gesunken. Unser Team vor Ort war zu fragmentiert. Darunter litten die Kundennähe und der Fokus auf profitable Geschäfte.

Konkret: Was heisst das?
Wir hatten in den USA zum Beispiel mehr als 200 Telefon-Hotlines, bei denen sich unsere Kunden melden konnten. Wir haben die Anzahl nun massiv reduziert, auf rund ein Dutzend. Und künftig sollte es nur noch eine Hotline sein. Damit wird die Kundenzufriedenheit garantiert sehr schnell steigen. Heute haben wir zudem Produkte, die nicht immer aufeinander abgestimmt sind. Da gab es Doppelspurigkeit.

Dormakaba hat in den vergangenen Jahren die selbst gesteckten Ziele regelmässig verpasst. Nun haben Sie erneut grosse Umsatz- und Gewinnziele kommuniziert. Was wenn Sie diese nicht erreichen?
Darüber möchte ich nicht spekulieren. Ich bin aber überzeugt, dass unsere Ziele realistisch sind. Ambitioniert, ja, aber realistisch. In diesem Jahr wollen wir organisch drei bis fünf Prozent wachsen. Wir sind gut unterwegs, in unserem ersten Geschäftsquartal hatten wir bereits ein Wachstum von sieben Prozent.

Sie träumen aber auch von einer Gewinnmarge von 16 bis 18 Prozent.
Wie gesagt: Unsere Ambitionen sind realistisch. Ja, es gibt viele Herausforderungen: Personalmangel, Chipmangel, Corona-Lockdowns…

…und eine drohende Immobilienkrise in China?
Klar. Aber diese trifft uns nicht. Wir sind kaum im klassischen Immobiliengeschäft tätig in China, nur indirekt über Wiederkäufer. Und bei diesen haben wir nun unsere Kreditlimiten reduziert, um das Risiko zu minimieren. Bisher hatten wir auch noch keine Zahlungsausfälle.

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Video: srf/Roberto Krone

Wie wichtig ist denn der schweizerische Heimatmarkt?
Sehr wichtig, alles andere wäre ja auch seltsam. Wir haben in der Schweiz sehr viele gute Entwicklerinnen und Entwickler, Start-ups und Ausbildungsstätten wie die ETH. Und wir haben ein wichtiges Werke in Wetzikon, im Kanton Zürich. Dort werden die bekannten mechanischen Schliesssysteme, aber auch elektromechanische und elektronische Zutrittssysteme für den Schweizer Markt produziert.

Die meisten Menschen benutzen nach wie vor normale Schlüssel, allenfalls Badges, und nicht Fingerabdrücke oder Gesichtscans wie es Science-Fiction-Filme wie «Back to the Future» prophezeiten. Weshalb?
Das hängt von der Region ab. In Asien sind Lösungen mit Gesichtserkennung viel akzeptierter. Das ist dort völlig normal, hier in Europa wird es möglicherweise nie Teil der Kultur werden. Der Umgang mit Persönlichkeitsdaten wird unterschiedlich gehandhabt.

Digitale Systeme benötigen Chips, die derzeit Mangelware sind. Wie gross bekommen Sie dies zu spüren?
Bis jetzt haben wir das gut hinbekommen, weil wir frühzeitig auf dieses Problem reagiert haben. Wir haben im März eine globale Task-Force gegründet, um den Bestand in unseren Chip-Lager zu erhöhen, zum Teil natürlich zu höheren Preisen. Und in gewissen Fällen habe ich die CEOs unserer Chip-Lieferanten direkt angerufen, um unsere Mengen sicherzustellen. Aber es wird nicht einfacher.

Weshalb?
Alle reissen sich um die wenigen, verfügbaren Chips. Und die Planbarkeit hat massiv abgenommen. Früher konnten wir alles drei Monate im Voraus planen. Wir wussten immer, wann wie viel wovon geliefert wird. Das ist heute nicht mehr der Fall, es gibt keine verbindlichen Zusagen mehr von den Lieferanten. Es ist ein Blindflug für viele Branchen.

Im vergangenen Jahr wurde der Abbau von 1300 der knapp 16000 Stellen verkündet, und jetzt nochmals 300 Stellen. War Dormakaba unter der Führung Ihres Verwaltungsratspräsidenten Riet Cadonau zu ineffizient?
Das kann man so nicht sagen. Dormakaba hat eine sehr gute Grundlage. Die Firma hatte vor der Pandemie beim Betriebsergebnis eine Marge von rund 16 Prozent. Wir hatten eine dezentrale Struktur mit vielen internen Hierarchiestufen und Titeln. Ein Manager sollte nicht bloss fünf Personen führen. Und auch beim Einkauf von Materialien möchten wir effizienter werden. Das ist heute noch zu stark regional geregelt, da vergeben wir uns Synergie-Chancen.

Sie haben Maschinenbau- und Luftfahrttechnik studiert, haben bei Firmen wie Renault, Siemens und Continental gearbeitet, waren als Frau aber wohl oft in der Minderheit. Wie oft wurden Sie mit Vorurteilen und Diskriminierungen konfrontiert?
Sehr selten. Aber man muss sich als Frau bei gleicher Kompetenz mehr beweisen, um wirklich anerkannt zu werden. Bei Frauen dauert dieser Prozess länger.

Aber das ist doch diskriminierend!
Ich habe das nie als Diskriminierung aufgefasst. Das sind einfach Vorurteile, insbesondere die Annahme, dass Frauen nichts von Technik verstehen. Vor 20 Jahren gab es da noch mehr Fragezeichen. Kann sie das? Dabei habe ich schon als Kind mit Kränen gespielt, und nicht mit Puppen.

Nun sind Sie Chefin eines Grosskonzerns mit 15000 Angestellten und einem Umsatz von 2.5 Milliarden Franken. Wie möchten Sie Ihre Macht nutzen, um die Aufstiegschancen von Frauen zu verbessern?
Ich bin überzeugt, dass möglichst diverse Teams besser arbeiten als homogene Teams. Je vielfältiger die Meinungen, desto besser die Entscheidungen. Mir ist wichtig, dass wir intern Mentorinnen und Mentoren haben und Netzwerke, die diese Diversität fördern. Ich bin aber gegen Quoten, wobei es ohne Ziele oftmals keine Resultate gibt.

Also zeitlich befristete Quoten?
Ich mag nicht von Quoten sprechen, das klingt für mich sehr negativ. Aber Ziele ja, die brauchen wir. Bis 2027 sollen bei uns ein Drittel des Managements Frauen sein Auf jeder Management-Ebene brauchen wir für die Nachfolgeregelungen verschiedene Kandidatinnen und Kandidaten. Denn wir haben viele gute weibliche Ingenieure, aber wir müssen sie auch genügend unterstützen.

In der achtköpfigen Geschäftsleitung sind Sie aber die einzige Frau, und kürzlich sind zwei Männer hinzugekommen. Finden Sie Ihr Management divers?
Ja, wir sind divers. Wir haben einen Italiener, einen US-Amerikaner, einen Singapurer, einen Schweizer, zwei Deutsche und mich, eine Deutsch-Französin.

Das ist mehrheitlich westlich, männlich und weiss.
Für mich ist das trotzdem sehr divers. Aber man kann sich natürlich immer verbessern.

Jetzt wird Ihnen ein COO zur Seite gestellt, ein operativer Chef. Ist das ein Misstrauensvotum gegen Sie?
Nein, sicher nicht. Ich wollte das so, das ist meine Entscheidung. Wir wollen uns anders organisieren, wir wollen weg von der regional-gegliederten Silo-Organisation, hin zu einem globalen Konzern mit globalen Beschaffungs-Netzwerken, damit wir auch unsere Kraft ausspielen können. Wir haben zum Beispiel 25000 Lieferanten, hier können wir besser und effizienter werden.

Bei Siemens Mobility waren Sie ja Co-CEO. Ist Verantwortung wirklich teilbar?
Ja, das sieht man auch an den guten Ergebnissen, die wir jeweils ausweisen konnten. Wir hatten klar zugeteilte Verantwortlichkeiten. Und wir haben uns persönlich sehr gut verstanden, waren aber sehr unterschiedlich. Und wir haben beide voneinander viel gelernt. Wir sind noch immer in Kontakt.

Welche Arbeitskultur passt Ihnen?
Wichtig ist die Firmenkultur: Ich will eine offene, unpolitische Kultur. Ich sehe mich als Dienerin der Aktionäre. Das ist mein Job, dafür bin ich da. Ich will leisten, aber ich will auch Leistung von allen anderen. Und es muss natürlich auch Spass machen. Ich glaube an die Kraft von Teams, da wir gemeinsam mehr erreichen können.

Ist Ihre Türe denn immer offen?
Natürlich. Die Leute können immer zu mir kommen. Ich bin nicht hierarchisch.

Obwohl Sie Französin sind?
Auch das ist ein Vorurteil.

Fakt ist aber, dass Sie gerne Autorennen fahren, auch schon auf dem Hockenheimring und Nürburgring.
Ja, und ich war früher Autotestfahrerin, das war einer meiner ersten Jobs. Im Winter war ich in Finnland und Schweden, im Sommer in Arizona oder der Sierra Nevada, um Autos in Extremkonditionen zu testen.

Und wie viele Bussen haben Sie hierzulande schon erhalten für zu schnelles Fahren?
Das sage ich lieber nicht.

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6 Kommentare
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Rethinking
28.11.2021 22:06registriert Oktober 2018
„ Ich sehe mich als Dienerin der Aktionäre.“

Genau dass sollte ändern…

Angestellte sind keine Diener, keine Ressourcen und kein Mittel zum Zweck…

Unternehmen haben den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt…
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