«Die Initiative steht!», sagte SVP-Präsident Albert Rösti im Sommer 2018. Man habe die Unterschriften für die Begrenzungsinitiative schnell sammeln können, ein «Selbstläufer» sei es gewesen. Wenige Wochen vor der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative scheint dieser Optimismus verflogen.
Die Volkspartei steckt nach der Niederlage bei den Nationalratswahlen in einer Krise. Eine neue Parteichefin, ein neuer Parteichef muss her. Er oder sie wird den Abstimmungskampf führen müssen. Gelingt das? Und worüber stimmen wir überhaupt ab? watson beantwortet die wichtigsten Fragen zur Abstimmung.
Die Begrenzungs-Initiative will, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern «eigenständig» regelt. Was mit «eigenständig» gemeint ist, verrät die Initiative gleich selbst: Ziel ist eine Einwanderungspolitik ohne Personenfreizügigkeit.
Die Personenfreizügigkeit garantiert heute unter anderem Personen aus der EU, in die Schweiz einwandern zu dürfen, wenn sie über eine Arbeit oder genügend finanzielle Mittel verfügen. Vom gleichen Privileg profitieren auch Schweizer im EU-Raum. Dieses Recht soll abgeschafft werden.
Erreicht werden soll das unter anderem durch drei Punkte:
Heisst es Begrenzungsinitiative oder Kündigungsinitiative? Cloé Jans vom Forschungsinstitut gfs.bern sagt dazu: «Die Wahl des Initiativentitels ist kein Zufall. Mit dem Begriff schwingt auch mit, worum es bei der Abstimmung aus der Sicht einer Seite gehen soll.» So würde «Kündigungsinitiative» eher die Kündigung der Personenfreizügigkeit in den Fokus stellen. «Das Wort ‹Kündigung› ist negativ vorbelastet», so Jans weiter.
Auffällig ist, dass die SVP selbst nicht ganz konsequent ist mit der Begrifflichkeit. Im Sommer 2016 sprach der ehemalige SVP-Bundesrat Christoph Blocher in der «SonntagsZeitung» selbst von einer «Kündigungsinitiative». Macht man es ihm gleich, gibt's laut dem «SonntagsBlick» Rüffel: Wer einen anderen Namen als den offiziellen Namen «Begrenzungs-Initiative» nehme, betreibe «Irreführung der Wähler».
Die am 9. Februar 2014 mit 50,3 Prozent knapp angenommene Masseneinwanderungs-Initiative ähnelt der aktuellen SVP-Vorlage sehr. Der erste Versuch der SVP, die Zuwanderung nach ihren Vorstellungen zu steuern, sah zwar Verhandlungen, aber keine zwingende Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens vor.
Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, einigten sich National- und Ständerat bei der Umsetzung des neuen Verfassungsartikels unter anderem auf Stellenmelde-Pflichten. Die geforderten Höchstzahlen und Kontingente kamen nicht.
Das störte die SVP so sehr, dass sie statt eines Referendums gleich eine neue Volksinitiative einreichte. SVP-Präsident Albert Rösti begründete damals, dass man mit einem Referendum «die Bevölkerung an die Urne» hole, ohne dass es «etwas bringt».
Die Begrenzungs-Initiative verlangt ausdrücklich, dass das Freizügigkeitsabkommen auf dem Verhandlungsweg ausser Kraft gesetzt wird – oder nötigenfalls von Bundesrat einseitig gekündigt wird.
Befürchtet wird, dass dies auch Folgen für die bilateralen Verträge (die sogenannten «Bilateralen I») haben könnte. Das Freizügigkeitsabkommen ist eines von sechs Abkommen, die durch die «Guillotine-Klausel» miteinander verbunden sind. Diese bringen der Schweizer Wirtschaft heute einen «privilegierten Zugang» zum EU-Markt, wie der Bundesrat schreibt.
Die SVP selbst bestreitet nicht, dass die Bilateralen in Frage gestellt werden. Für sie ist die Gefahr jedoch «unwahrscheinlich». «Die EU gehört zu den Profiteuren der betroffenen Verträge und hat ein grosses Interesse an deren Fortbestand», so das Komitee der Initiative.
Die SVP ist bislang die einzige grosse Partei, die sich für die Initiative ausgesprochen hat. Dafür ist auch die SVP-nahe Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Die beiden SVP-Nationalräte Thomas Hurter und Diana Gutjahr kämpfen öffentlich gegen die Initiative ihrer eigenen Partei.
Von den Parteien dagegen sind: SP, Grüne, EVP, GLP, BDP, CVP, FDP. Auch dagegen sind verschiedene Verbände, darunter die Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband, der Verband öffentlicher Verkehr, die Gewerkschaften Syna, Unia, Travail.Suisse und der Gewerkschaftsbund.
Bundesrat und Parlament empfehlen die Initiative abzulehnen.
Die SVP kritisiert die Nicht-Umsetzung von Ausschaffungs- und Einwanderungsinitiative. Sie will das mit der Begrenzungs-Initiative korrigieren und sagt, dass mit ihrer Vorlage das «Problem an der Wurzel» angepackt werde.
Die Gegnerinnen und Gegner der Initiative stören sich vor allem an der drohenden Kündigung des Personenfreizügigkeits-Abkommens. Ihre Argumente im Detail:
Volksinitiativen haben es in der Schweiz tendenziell schwer. Die SVP konnte in den vergangenen Jahren mit der Minarett- (2009), Ausschaffungs- (2010) und Zuwanderungs-Initiative (2014) in gleich drei ausländerpolitischen Themen die Stimmbevölkerung von einem Ja überzeugen.
Schwieriger sieht es bei EU-politischen Fragen aus. Die SVP erreichte bei mehreren Referenden, die das Verhältnis mit der Europäischen Union betrafen, keine Mehrheit. Auch zuletzt nicht beim emotional geführten Abstimmungskampf über das EU-Waffenrecht (2019).
Entsprechend schlecht sieht es bei den Umfragewerten aus. Erfahrungsgemäss sinkt die Zustimmung für Volksinitiativen im Verlauf des Abstimmungskampfs. Bei der MEI-Abstimmung gab es den entgegengesetzten Trend.