Werner Luginbühl (63) macht sich Sorgen um die Schweizer Stromversorgung. «Wir könnten bereits 2025 Probleme bekommen». sagt der frühere Berner Regierungs- und Ständerat, der seit März 2020 an der Spitze der Elcom steht. Die unabhängige Kommission beaufsichtigt den Schweizer Strommarkt.
Im Moment steht die Forderung im Raum, neue Kernkraftwerke zu bauen. Glauben Sie, dass die Schweiz bald neue Atommeiler errichten wird?
Werner Luginbühl: Das ist eine politische Frage, die die Elcom als Aufsichtsbehörde nicht zu beantworten hat. Wir hatten 2017 jedoch eine Volksabstimmung, deren Ergebnis eindeutig war: Das Volk will sich in absehbarer Zeit von dieser Technologie verabschieden und keine neuen AKW. Davon haben wir bis auf Weiteres auszugehen.
Hintergrund der Forderung ist die Angst, dass in der Schweiz künftig nicht genügend Strom vorhanden ist. Viele zweifeln, ob die kürzlich vorgestellten Ausbaupläne von Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei den erneuerbaren Energien genügen, oder ob der Schweiz nicht bald der Strom ausgeht.
Wenn Sie mir diese Frage vor Kurzem gestellt hätten, hätte ich gesagt: Die Pläne des Bundes gehen in die richtige Richtung, aber sie sind das absolute Minimum. Heute müssen wir sagen: Das Massnahmenpaket genügt nicht.
Weshalb?
Seit der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen abgebrochen hat, hat sich unsere Ausgangslage massiv verändert. Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit kein Stromabkommen mit der EU gibt. Die Schweiz verabschiedet sich gerade vom europäischen Strombinnenraum und bewegt sich in Richtung einer Strominsel. Und dies, obwohl absehbar ist, dass wir in Zukunft vor allem im Winter deutlich stärker als bisher auf Importe aus dem EU-Raum angewiesen sein werden.
Was bedeutet dies?
Wir haben heute eine der besten und sichersten Stromversorgungen weltweit. Dies könnte sich ändern, wenn weitere Winterproduktion wegfällt. Ohne Stromabkommen und ohne technische Abkommen mit den Nachbarländern könnten wir bereits 2025 Versorgungsprobleme bekommen. Wir werden im Winter möglicherweise zu wenig Strom importieren können. Es könnte zu Stabilitätsproblemen und Versorgungsengpässen kommen.
Heute gibt es auch kein Stromabkommen. Wo liegt das Problem?
Auf den ersten Blick hat der Verhandlungsabbruch tatsächlich nicht viel geändert. Die Auswirkungen sind aber beträchtlich, wenn wir genauer hinschauen. Die EU ist daran, einen tiefer verzahnten gemeinsamen Strombinnenmarkt zu schaffen. Sie optimiert den gemeinsamen grenzüberschreitenden Handel und regelt die gegenseitigen Unterstützung in Notfällen. Das ist ein enormer Vorteil, denn dann muss man selbst nicht die maximalen Reserven bereithalten können. Die Schweiz wird an diesem Binnenmarkt nur noch begrenzt oder gar nicht mehr teilnehmen können. Deshalb brauchen wir selbst mehr Eigenproduktion und Reserven.
Die Zeitspanne ist extrem kurz, wenn man das Problem bis 2025 lösen will. Schliesslich dauert es, bis Strominfrastruktur aufgebaut ist.
2025, das ist quasi übermorgen. Deshalb muss man jetzt sehr rasch kurz- und mittelfristige Massnahmen ins Auge fassen. Sie müssen nun schneller realisiert werden als vorgesehen.
Woran denken Sie?
Es gibt eine ganze Reihe denkbarer Massnahmen, die gegenwärtig aufgearbeitet werden. Zum Beispiel könnte die vorgesehene strategische Wasserkraftreserve für die kritische Zeit im Winter vorgezogen werden. Das Wasser müsste von den Werken bis im Frühjahr für die inländische Versorgungssicherheit zurückgehalten und dürfte nicht turbiniert werden. Es gibt aber noch andere Massnahmen, die denkbar sind.
Bitte.
Etwa das Thema Elektroheizungen. Dort gibt es gemäss BFE ein grosses Einsparpotential. Der Bund muss nun Anreize schaffen, damit Direktheizungen beispielsweise durch Wärmepumpen ersetzt werden. Ich gehe davon aus, dass dies nur umsetzbar ist, wenn die Anreize beträchtlich sind. Man wird zweifellos Geld in die Hand nehmen müssen, wenn man dieses Einsparpotential rasch realisieren will.
In verschiedenen Kantonen wurden vergleichbare Massnahmen abgelehnt.
Das Thema ist heikel, ja. Aber angesichts der drohenden Versorgungsprobleme wird man wohl auch in Kantonen, die skeptisch waren, über die Bücher gehen müssen. Es ist besser, diese relativ rasch umsetzbare Gelegenheit zu nutzen anstatt Versorgungsprobleme zu bekommen.
Die Ausbaupläne von Bundesrätin Sommaruga werden seit Monaten als ungenügend bezeichnet – von Umweltverbänden bis hin zu den Stromkonzernen. Trotzdem hielt das Departement daran fest. Können Sie sich erklären, warum man dort trotz breiter Kritik nicht reagiert hat?
Nein, die Frage kann ich nicht beantworten. Das Parlament muss jetzt entscheiden, ob dieser Weg tatsächlich in allen Teilen der richtige ist. Angesichts der neuen Situation beim Rahmenabkommen und der Tatsache, dass der Zubau bei den erneuerbaren Energien bisher stockend erfolgt ist, ist fraglich, ob das Paket genügt, – oder ob es nicht zusätzliche Massnahmen und Mittel braucht.
Welche Erwartungen haben Sie ans Parlament?
Aus Sicht der Elcom ist vor allem wichtig , dass eine angemessene Winterproduktion im Inland gesichert werden kann. Mit welchen Technologien und welchen Anreizsystemen dies erfolgt, ist von der Politik zu klären. . Das Pariser Abkommen und der Bundesrat geben ausserdem vor, dass in 29 Jahren, bis 2050, das Netto-Null-Ziel beim CO2-Ausstoss erreicht werden muss. Das bedeutet einen kompletten Umbau des Energiesystems, was eine gewaltige Herausforderung ist.
Wo sehen Sie Möglichkeiten, diesen Zubau zu beschleunigen?
Das grösste Potential der erneuerbaren Energiequellen liegt eindeutig bei der Photovoltaik. Hier war der Zubau bislang überschaubar. Angesichts der anstehenden Probleme, wird auf fast jedem Gebäude in der Schweiz praktisch eine Photovoltaikanlage realisiertet werden müssen. . Die Frage ist nur: Sind sich die Leute der Dramatik bewusst und haben wir genügend Anreize, damit Private, Unternehmen und institutionelle Anleger solche Projekte realisieren?
Auch beim Wind kommt die Schweiz kaum vorwärts.
Dort sind wir noch nirgends! Aber auch wenn die Schweiz kein eigentliches Windland ist, wären hier Fortschritte höchst willkommen.. Denn Photovoltaik hat den Nachteil, dass fast 75 Prozent der Produktion im Sommer erfolgt und nur 25 Prozent im Winter.
Die Stromkonzerne investieren lieber im Ausland als in der Schweiz. Sie sagen, dort seien die Fördermittel und damit die Investitionen viel attraktiver.
Im Bereich Wasserkraft werden nun Anreize gesetzt, die für einen Ausbau sorgen werden. Das ist sehr wichtig, weil gerade auch die Realisierung dieses Potentials sehr wichtig ist. Ob die Massnahmen bei der Photovoltaik und beim Wind genügen, um Investitionen in der Schweiz attraktiver zu machen, da bin ich mir nicht sicher. Wir brauchen genügend Anreize, damit die Schweizer Konzerne und Stadtwerke, die der öffentlichen Hand gehören, auch im Inland investieren. Bisher investierten die grossen Werke zu 95 Prozent im Ausland. Nun haben wir ein Importproblem und können diesen Strom nicht einmal in die Schweiz bringen.
Die Laufzeitverlängerung der bestehenden Atomkraftwerke ist derzeit in vieler Munde.
Die Schweizer Kraftwerke können betrieben werden solange sie sicher sind. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit wäre es hilfreich, wenn wir mehr Zeit für den Ausbau der erneuerbaren Energien haben. Wir würden damit in den Jahren um 2034 nicht so stark vom Stromimport abhängig sein. Aber selbst wenn die Kernkraftwerke über die vorgesehenen 50 Jahre betrieben werden ändert sich nichts daran, dass es einen raschen Zubau bei den Erneuerbaren nötig ist. Sonst verschieben wir das Problem nur in die Zukunft.
Warum?
Ob ein AKW weiterbetrieben werden kann oder nicht, ist eine Frage der Sicherheit und liegt damit weitgehend ausserhalb des politischen Einflussbereichs. . Je älter ein AKW ist, umso höher ist die Störanfälligkeit. Das ENSI kann eine Betriebsbewilligung aus Sicherheitsgründen jederzeit entziehen. Dann müssen die Besitzer entscheiden, ob sie Sicherheitsnachrüstungen für die verbleibende Restlaufzeit noch vornehmen wollen. Ist ein AKW 55 Jahre alt, wird sich jeder Betreiber fragen, ob er noch weiter investieren will und kann. Der langen Rede kurzer Sinn: Eine Laufzeitverlängerung kann hilfreich sein. Sie ist aber risikobehaftet und gibt keine abschliessende Sicherheit.
Braucht es Gas-Kombi-Kraftwerke?
Die Energiestrategie spricht von Gas-Kombi-Kraftwerken als Übergangstechnologie. Mit der aktuellen Situation ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass es Gaskraftwerke braucht . Allerdings wäre angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen heute eher an Spitzenbrecher zu denken, die nur eingesetzt würden, wenn wir Netzstabilitäts- oder Versorgungsprobleme hätten.
(aargauerzeitung.ch)
Energie-Engpässe sind vorprogrammiert. nachdem wir viele Jahre angehalten wurde Strom zu sparen, explodiert der Bedarf, nicht zuletzt wegen E-Mobilität.
“passend“ dazu Blockaden bei Ausbau Wasserkraft, angezogene Handbremse bei Windenergie und halbherzige Unterstützung im Bereich Photovoltaik.