«Realistische Löhne – wenn nicht jetzt, wann dann?»: Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) zeigte sich wie üblich kampfbereit, als der Dachverband der Arbeitnehmerorganisationen vor zehn Tagen quasi offiziell die im Herbst bei sehr vielen Unternehmen anstehende Lohnrunde einläutete.
Mit der Forderung nach generellen Lohnerhöhungen von vier Prozent bis fünf Prozent geht der SGB so weit wie schon lange nicht mehr. Die Forderung liegt deutlich über der geschätzten Teuerungsrate, welche die Nationalbank im Juni mit durchschnittlich 2.8 Prozent für das gesamte laufende Jahr beziehungsweise mit 1.9 Prozent für das kommende Jahr beziffert hatte.
Der Ausgleich der Inflation ist das wichtigste, aber nicht das einzige Argument in der diesjährigen Rechnung der Gewerkschaften. Sie verlangen zusätzliche Entschädigungen für die Mehrleistungen, welche die Arbeitnehmenden Jahr für Jahr in ihren Betrieben erbringen. Ökonomen sprechen von der Arbeitsproduktivität, die in den vergangenen Jahren nur eine ungenügende Abgeltung gegeben habe.
Die Rechnung der Unternehmen fällt naturgemäss tiefer aus. Doch heuer ist die Diskrepanz besonders gross. Bei den Industriefirmen liegen im Durchschnitt gerade mal knapp zwei Prozent drin, hat die Credit Suisse im Juli im Rahmen ihrer der monatlichen Befragung von Einkaufsmanagern ermittelt.
16 Prozent der befragten Firmen rechnen mit einer Nullrunde und nur etwa ein Fünftel der Firmen gehen von Lohnerhöhungen in Höhe von mehr als zwei Prozent aus. Bei den Dienstleistungsfirmen liegt der erwartete durchschnittliche Lohnanstieg bei 2.5 Prozent. Aber auch hier wird in 30 Prozent der Fälle mit weniger als zwei Prozent oder gar null Prozent gerechnet.
Die Befragungsergebnisse der Credit Suisse decken sich mit den Resultaten einer ebenfalls im Juli durchgeführten Lohnerhebung der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, die zu erwartende Bruttolohnsteigerungen im laufenden Jahr von durchschnittlich etwas mehr als zwei Prozent ergab.
Konkret verhandelt werden die Lohnabschlüsse aber zwischen den Sozialpartnern in den Betrieben selbst. Und gegen zwei Drittel aller Firmen führen diese Verhandlungen im Herbst durch. Der Zeitpunkt ist für die Arbeitnehmenden nicht ideal.
Das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab. Die Credit Suisse rechnet zwar nicht mit einer Rezession in der Schweiz, aber nur noch mit einem Miniwachstum von einem Prozent im kommenden Jahr. Die Nachfrage nach Arbeitskräften werde sich abschwächen und die aktuellen Personalengpässe entschärfen, prognostizieren die Ökonomen der Bank.
So könnte den Arbeitnehmenden ein wirkungsvoller Hebel in den Verhandlungen abhanden kommen. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass die Arbeitnehmenden in der Schweiz ihre Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern kaum einmal voll ausschöpfen. Die Präferenz liegt im Zweifelsfall bei der Sicherung des Arbeitsplatzes.
Die Arbeitgeber könnte im diesjährigen Lohnherbst einmal mehr an diese freiwillige Zurückhaltung der Arbeitnehmenden appellieren. Aktuelle Konjunkturumfragen deuten daraufhin, dass sich die Ertragslage in vielen wichtigen Wirtschaftssektoren gerade wieder am Abschwächen ist.
Alles in allem rechnet die Credit Suisse mit durchschnittlichen Lohnerhöhungen von 2.3 Prozent. Das mag im Zehnjahresvergleich immer noch ein Rekordwert sein, aber die Gewerkschaften müssten ein solches Ergebnis ganz klar als enttäuschend und ungenügend werten.
Aber eher friert die Hölle zu und Schweine lernen fliegen, als das Manager (weniger Inhaber) Löhne erhöhen und so auf Profite verzichten.
Bäh.