So etwas hat er noch nie erlebt: «Es gibt keine Flaschen mehr», sagt Alois Gmür, Patron der Brauerei Rosengarten in Einsiedeln SZ. Oder jedenfalls fast keine mehr. «Überall muss man die Glaslieferanten fast auf Knien anflehen und gleich den gesamten Jahresbedarf durchgeben.» Lieferungen «just in time» seien nicht mehr möglich.
Wurden früher Einwegflaschen innert einer Woche geliefert, kann es jetzt mehrere Wochen dauern, wie Gmür betont. Noch länger sind die Lieferfristen für Mehrwegflaschen und für Gläser, etwa für Bierkrüge oder Stangengläser mit dem Einsiedler-Logo. «Hier wartet man teilweise bis zu einem halben Jahr auf die Lieferung», sagt der Brauer, der für die Mitte im Nationalrat politisiert.
Auch Winzer Jean-René Germanier kennt die Schwierigkeiten in der Branche. Er selber hat keine Probleme, jedenfalls vorerst nicht. Denn er bestellt seine Flaschen immer mindestens ein Jahr im Voraus. «Wir brauchen rund eine Million Stück pro Jahr, da müssen wir planen», sagt Germanier. Das zahlt sich jetzt aus, die Lieferungen treffen pünktlich ein. Hingegen kosten sie mehr. «Der erste Aufschlag betrug zehn Prozent, weitere Preiserhöhungen folgten - und werden noch folgen.»
Die Folgen dürften auch bald für die Konsumentinnen und Konsumenten am Bier- und Weinregal sichtbar werden. «Ja, es wird in nächster Zeit Preisaufschläge geben», sagt Braumeister Gmür. Feldschlösschen will sich diesbezüglich nicht äussern: «Vorerst beobachten wir die Entwicklungen», hält eine Sprecherin fest. Und sie ergänzt: «Wir sehen derzeit keine Tendenz in Richtung Beruhigung der Lage.»
Das Glasproblem hat seinen Ursprung in der Pandemie, wie Gmür erklärt: Mit der Schliessung der Restaurants und Bars stieg der Heimkonsum, statt Stangen im Offenausschank in der Beiz tranken die Leute ihr Bier aus Einwegflaschen. Die Nachfrage stieg rasant an, das Angebot konnte nicht mithalten.
Akzentuiert wurde die bereits angespannte Situation durch die schnelle konjunkturelle Erholung nach dem ersten Lockdown. Plötzlich wollten wieder alle Glas, und zwar viel Glas. «Die Lage ist schwierig», sagt David Naselli vom Glaslieferanten Univerre. «Es gibt in Europa einen Mangel an Glas.» Das Unternehmen mit Sitz in Siders VS produziert selbst kein Glas, sondern bezieht den Grossteil seiner Produkte aus Europa. «Das breite Sortiment ermöglicht es Univerre jedoch, individuelle Lösungen für die Kunden zu finden.»
Definitiv schwierig wurde die Situation nun mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine, der die Glasindustrie indirekt, aber auch ganz direkt trifft. So führt der Schweizer Glasverpackungshersteller Vetropack ein Werk in Gostomel bei Kiew mit 600 Angestellten. Die Produktion wurde sofort nach Kriegsbeginn eingestellt. Mittlerweile wurde das Werk von der russischen Armee so stark beschädigt, dass Vetropack nicht davon ausgeht, den Betrieb in näherer Zukunft wieder aufnehmen zu können.
Der Glashersteller bestätigt die Preisschübe: Vetropack musste für das Jahr 2022 die Preise bereits um zehn Prozent anheben. Im April folgte eine weitere Preiserhöhung um nochmals durchschnittlich 15 Prozent, wie Firmenchef Johann Reiter auf Anfrage von CH Media sagt. Die Kundschaft erhalte einen Fixpreis, neu komme aber ein Aufschlag hinzu, der die aktuellen Energie- und Transportkosten abdecke.
Drei Faktoren treiben derzeit den Preis für Glas in die Höhe. Erstens sind die Kosten für Erdgas stark gestiegen, was die energieintensive Glasproduktion hart trifft. Oder in den Worten von Univerre-Sprecher Naselli:
Zweitens kosten Transport sowie Rohstoffe für das Schmelzen von Glas, etwa Soda, mehr. Und drittens zog - wie gesagt - die Nachfrage nach Bier, Wein und Mineralwasser in Glasflaschen nach den Lockdowns im vergangenen Jahr stark an - was wiederum zu Verknappungen führt.
Vetropack-Chef Reiter erklärt, aktuell erhielten 95 Prozent der Kundinnen und Kunden in der Schweiz ihre bestellten Glasflaschen noch. Wer jedoch kleine Mengen und Flaschen mit Spezialwünschen bestellt, der muss sich länger gedulden. Mehr bezahlen und lange warten? Da machen nicht alle Kunden mit und suchen sich einen anderen Lieferanten. Für den Frust hat Reiter Verständnis, sagt aber auch:
Tatsache ist, dass es beispielsweise für einen Schweizer Brauer, der Bierflaschen bestellen will, gar nicht allzu viele Optionen gibt. In der gesamten europäischen Glasindustrie ist die Lage angespannt. Zwar gibt es auch Anbieter aus Fernost, etwa in China.
Doch ob Glas wirtschaftlich verkauft werden kann, hängt vorab vom Transport ab, der neben der Energie einen grossen Teil der Kosten verursacht. «Glas mehr als 400 Kilometer weit zum Kunden zu transportieren, lohnt sich in den meisten Fällen nicht», sagt Reiter. Deshalb kommt das Glas im europäischen Markt auch meist von einheimischen Anbietern - die alle unter denselben Preissteigerungen leiden.
Der Ausfall des Vetropack-Werks bei Kiew sorgt nicht nur für zusätzliche Lieferengpässe auf dem Glasmarkt, für zwei Drittel der rund 600 Angestellten bedeutet der anhaltende Krieg die Kündigung. Zwar will Vetropack am Standort festhalten. Doch die Löhne von Hunderten Angestellten zahlen, ohne produzieren zu können, das kann das Unternehmen gemäss eigenen Angaben nicht mehr stemmen.
Die Vetropack-Gruppe expandierte in den 1990er-Jahren nach Tschechien und Kroatien, danach in die Slowakei und in die Ukraine. 2020 kam ein Werk in der Republik Moldau hinzu.
Osteuropa lockte die Glasindustrie aus verschiedenen Gründen: Einerseits blickten die Länder auf eine lange Tradition in der Glasherstellung und dementsprechendes Fachwissen zurück. Andererseits versprachen aufstrebende Märkte und vergleichsweise tiefe Gaspreise ein lukratives Geschäft. Dieses ist mit den aktuellen Preisturbulenzen am Energiemarkt stark in Bedrängnis geraten. Umso mehr ist die Glasindustrie nun gefordert, sich vom Klumpenrisiko Erdgas zu lösen. Um Schmelzwannen dereinst ohne Erdgas aufzuheizen, dürfte es aber noch Jahre dauern.