Vergilbt, unscharf, schief: US-Verlag druckt Wikipedia aus und dreht es gutgläubigen Schweizern zu Wucherpreisen an
Schweizer Online-Buchläden drehen unvorsichtigen Kunden Bücher an, bei denen es sich um Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia handelt. Die Geprellten zahlen also für etwas, das sie gratis im Internet herunterladen und selbst ausdrucken könnten.
Diese «Bücher» stehen in keinem Regal der Welt, denn gedruckt werden sie erst, wenn eine Bestellung eintrifft. Dieses Prinzip nennt sich «Print-On-Demand» und funktioniert ausschliesslich mit Online-Shops. Bestellen kann also nur, wer über einen Internetzugang verfügt – und somit auch in der Lage wäre, denselben Inhalt kostenlos zu lesen.
Es geht noch absurder: Bei ausgedruckten Inhalten fallen aufgrund von Produktion und Vetrieb Kosten an, die den Preis zumindest teilweise rechtfertigen. Beim amerikanischen Print-On-Demand-Verlag Books LLC, der auch in die Schweiz liefert, bezahlt man aber auch 9.99 Dollar, um ein PDF mit lizenzfreiem Inhalt herunterzuladen.
Neben Wikipedia-Artikeln verdient Books LLC zudem an Klassikern, deren Copyright längst erloschen ist. Dabei werden die Seiten einer alten Ausgabe neu eingescannt und manchmal mit einer Texterkennungs-Software weiterverarbeitet. Dabei passieren natürlich Fehler, manchmal gehen ganze Seiten vergessen. Die Bücher werden trotzdem ausgeliefert. Ein Lektorat gibt es nur, wenn Books LLC von einem gewissen Absatz des entsprechenden Titels ausgeht.
Von alledem verschweigt Books LLC nichts. Auf seiner 35-sprachigen Website (Englisch als Ausgangssprache, die anderen 34 verweisen auf entsprechende Google-Translate-Seiten) steht unter «Tips» der folgende Disclaimer:
Das Problem ist, dass Kunden diesen Disclaimer nicht sehen, wenn sie bei Ex Libris und Thalia einkaufen. Dabei sind die Preise für diese Gratis-Erzeugnisse gesalzen: 20.50 Franken zahlte ein Schweizer bei Ex Libris für einige zusammengeheftete Seiten Wikipedia, wie die Schweiz am Sonntag publik machte.
Wie viel Books LLC mit diesem fragwürdigen Geschäftsmodell verdient, ist unbekannt. Die einzig konkrete Information auf seiner Website ist ihr Standort: Nashville, Tennessee. Rechtlich kann die Firma nicht belangt werden, solange sie ausschliesslich lizenzfreie Inhalte vertreibt und die Quelle angibt.
Auch die Schweizer Online-Buchhandlungen können nicht viel machen. Sie beziehen ihre Bücherlisten von Zwischenhändlern wie dem Buchzentrum in Hägendorf (SO). «Bei fünf Millionen Titeln können wir keine redaktionelle Kontrolle vornehmen», erklärt David Ryf, Leiter Einkauf und Verkauf. Dass auch fragwürdige Bücher auf der Liste landen, lasse sich darum nicht verhindern.
