Der Wocheneinkauf für den Haushalt dauert im Onlineshop vielleicht 15 Minuten. Per Mausklick landen Brot, Fleisch, Eier, Gemüse und Getränke im Einkaufswagen. Schon am Abend klingelt der Hauslieferdienst an der Tür – in der Schweiz etwa bei Coop schon lange üblich. Im Ausland gibt es sogar schon Tests zur 1-Stunden-Lieferung. Amazon hat vergangene Woche den Service «Prime Now» in München eingeführt. Die Lieferung benötigt eine Stunde und ist vorerst nur für Premiummitglieder des Versandhändlers zugänglich. Und diese bezahlen für den Extra-Service einen Aufpreis von 6.99 Euro.
Die Tageslieferung – same-day-delivery – kennt der Food- und Elektronikbereich auch hierzulande schon seit einigen Jahren. Coop war 2001 einer der ersten Händler, der die bestellte Ware noch am gleichen Tag lieferte. Der Kunde hat bei Esswaren Ansprüche an die Frische. Diesem Bedürfnis musste Coop gerecht werden.
Hinzu kommt, dass die Lieferung dann erfolgt, wenn der Kunde zu Hause ist. Mehrheitlich ist das abends, ausserhalb der regulären Ladenöffnungszeiten. Für die Lieferung am gleichen Tag bezahlt der Kunde bei coop@home keinen Aufpreis. Jede Lieferung aber kostet, abhängig vom Bestellwert, zwischen Fr. 9.90 und Fr. 17.90.
Elektronikware besitzt kein Verfallsdatum. Trotzdem fasst die Expresslieferung auch hier langsam Fuss. Der Telekomanbieter Swisscom hat die Tageslieferung Ende 2014 eingeführt, der Elektronikhändler Brack hat Anfang 2015 nachgezogen. Swisscom-Sprecherin Sabrina Hubacher sagt: «So bleiben Kunden flexibel. Sie entscheiden nach persönlicher Situation, wann sie ihre Online-Bestellung entgegennehmen möchten.» Und dafür sind Kunden in der Schweiz zunehmend bereit, mehr zu bezahlen. Bei Swisscom und Brack kostet die Express-Lieferung Fr. 9.90.
Patrick Kessler, Präsident des Verbandes des Schweizerischen Versandhandels, vermutet, dass die Textilbranche als Nächste auf den Express-Zug aufspringt: «Zalando eröffnet im Herbst ein neues Lager im süddeutschen Lahr. Das ist rund 1½ Stunden von der Schweiz entfernt.» Momentan liefert Zalando in der Schweiz erst am nächsten Tag.
Damit nähert man sich dem deutschen Testmarkt: Seit vergangenem Herbst prüft der Online-Kleiderladen in Berlin und Köln die Tageslieferung. Und zwar gratis. Möglich machen dies die Kooperationen mit stationären Geschäften – in diesem Falle mit Adidas. Denn laut der Nachrichtenagentur Reuters verfügen sie meist über sehr genaue Kenntnisse ihres Warenbestands in den Läden.
So auch bei Adidas: Der Sportartikelhersteller hat eine 98-prozentige Genauigkeit beim Inventar. Eine Ausweitung auf weitere Städte ist nicht ausgeschlossen, schreibt der Online-Kleiderladen. Wird die same-day-delivery als festes Angebot eingeführt, will Zalando dafür einen Preis berechnen, dessen Höhe aber noch offen ist.
Neue Formen der Lieferung zu testen, wird massgeblich vom amerikanischen Versandhändler Amazon angetrieben. Die 1-Stunden-Lieferung testet das Unternehmen derzeit in München, allerdings nur für Premiumkunden. Ob das nur ein Marketingkniff ist, um neue Kunden zu gewinnen, oder ob sich diese Lieferart bald etabliert, bleibt abzuwarten.
Überraschend: Entgegen den vielfach bekundeten Vorteilen der Tageslieferungen und dem angeblichen Bedürfnis der Konsumenten nach same-day-delivery, entwickelt sich die Nachfrage hierzulande eher zögerlich – gewohnt schweizerisch. Patrick Kessler sagt dazu: «Damit sich der Service, die Ware am gleichen Tag zu liefern, lohnt, braucht es eine gewisse Marktgrösse.»
Ziel eines jeden Zustellers sei es, in einer Fahrt so viele Stopps wie möglich zu erledigen. Das senke die Kosten und mache das Angebot erschwinglich. Die geografische Nähe zwischen Lager und Konsumenten ist dabei ein entscheidender Faktor. E-Commerce-Experte Thomas Lang sagt: «Die Kosten sind um ein Vielfaches höher als beim regulären Versand. Zudem arbeitet man mit anderen Partnern zusammen – von Velo- über Pizza-Kuriere bis hin zu Uber.»
Der Fahrdienst Uber machte zusammen mit dem Elektronikhändler Brack im vergangenen Jahr von sich reden. In einer Guerilla-Aktion lieferten sie die Apple Watch einige Tage vor dem offiziellen Verkauf den Kunden gratis nach Hause. Diese konnte die Lieferung dann bequem mit der in der App hinterlegten Kreditkarte bezahlen.
Das Modell von Uber hebelt den letzten grossen Vorteil des stationären Handels gegenüber dem Online-Einkauf aus. Beim Einkauf im Laden profitiert der Kunde vom Echtzeit-Erlebnis. Er kauft, bezahlt und kann beispielsweise sein neu erworbenes Tablet direkt in Betrieb nehmen. Was sich als «Uber Rush» nun im Ausland tatsächlich am Markt etabliert, macht den Laden um die Ecke überflüssig.
Die Kreativität kennt keine Grenzen: Der Paketlieferant DHL testet mit dem Autohersteller Smart die Kofferraumlieferung. Der Kunde gibt an, wo das Auto zu finden ist. Mit einem Code öffnet der DHL-Kurier den Kofferraum, legt die Bestellung hinein und nimmt allfällige Retouren gleich wieder mit. Das Pilotprojekt startet im Herbst in Stuttgart. Und Thomas Lang ist sich sicher: «Wenn die Aufpreise für Tageslieferungen in der Schweiz wegfallen, könnte der Damm für diesen Service brechen.»
Ein weiteres Liefermodell etabliert sich langsam in der Schweiz: Das Abholen an Automaten, sogenannten Pick-up-Stationen. Beispielsweise liefert Le Shop von Migros die Ware nicht am gleichen Tag. Dafür aber kann der Kunde im Le Shop Drive zwei bis drei Stunden nach Bestellung die Einkäufe abholen.
Auch das neue Schweizer Onlineportal Siroop liefert auf diese Art: Abholen können die Kunden die Ware an Pick-up-Stationen im gewünschten Laden. Diese Liefermodelle bedienen dabei nicht die Präferenz Geschwindigkeit. «Für viele Kunden ist es wichtiger zu wissen, wann ihre Bestellung ankommt, als die Schnelligkeit um jeden Preis», sagt eine Sprecherin von Siroop.
Das Onlineportal behalte sich die Tageslieferung nach Hause als Service-Option dennoch offen, sofern die Kunden diesen Service nachfragen würden. Auch die Post bietet mit den Pick-up-Automaten ihren Kunden die Möglichkeit, ihre Bestellungen unabhängig von Ladenöffnungs- und Arbeitszeiten abzuholen.