Man kann vom Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos halten, was man will. Aber als Treffpunkt gewichtiger Persönlichkeiten ist das Jahrestreffen im Bündner Schnee unschlagbar. Der Bundesrat nutzt dies aus. Er ist in corpore vertreten und lässt seine wöchentliche Sitzung sausen. Dieses Jahr eröffnete sich die Chance für zwei aus Schweizer Sicht sehr wichtige Begegnungen.
Am Montagnachmittag traf sich Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga erstmals mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Um die Wichtigkeit des Treffens zu unterstreichen, wurde sie von Aussenminister Ignazio Cassis und Justizministerin Karin Keller-Sutter begleitet. Rund 24 Stunden später folgte das Gespräch mit US-Präsident Donald Trump.
#swissgovwef20 Bundesrätliche Gespräche für einmal nicht in Bern @vbs_ddps @EJPD_DFJP_DFGP @EDA_DFAE @DefrWbf pic.twitter.com/oLWR3BDvmd
— Viola Amherd (@Violapamherd) January 21, 2020
In diesem Fall war die Landesregierung sogar zu viert vertreten. Neben Sommaruga sassen Cassis sowie Finanzminister Ueli Maurer, der Trump letztes Jahr in Washington getroffen hatte, und Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Das Grossaufgebot hatte in beiden Fällen Methode, denn gegenüber der EU wie den USA hat die Schweiz bedeutende Anliegen.
Das institutionelle Abkommen mit der Europäischen Union ist seit mehr als einem Jahr aus innenpolitischen Gründen blockiert. Die Schweiz hofft auf ein Entgegenkommen Brüssels in drei umstrittenen Punkten. Mit den USA möchte die Schweiz ein Freihandelsabkommen abschliessen. Die Wirtschaft und ihr nahe stehende Kreise weibeln kräftig für einen solchen Vertrag.
Wie sieht das Fazit nach den beiden Davoser Treffen aus? Gelinde gesagt bescheiden.
«Wir haben einander nicht mit Schlüssel- und Reizwörtern provoziert», sagte Simonetta Sommargua nach dem Gespräch mit Ursula von der Leyen vor den Medien. Beide Seiten hätten aber klar ihre unterschiedlichen Positionen dargelegt. «Es gibt Differenzen, da muss ich Ihnen nichts vormachen.» Mit anderen Worten: Eine Einigung ist weit und breit nicht in Sicht.
Sie war bei diesem ersten «Beschnuppern» realistischerweise nicht zu erwarten. Das kurze Statement der EU-Kommission allerdings liess an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Ursula von der Leyen habe die Bedeutung des institutionellen Rahmenabkommens unterstrichen. Sie wünsche, dass es «so bald wie möglich» unterzeichnet und ratifiziert werde.
Arrived in beautiful Davos. First meeting at #WEF20 with President of the Swiss Confederation @s_sommaruga to discuss current state of 🇪🇺-🇨🇭relations.
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) January 20, 2020
The Institutional Framework Agreement negotiated between the EU & Switzerland is important for further deepening our relations. pic.twitter.com/ju611DlnHq
Damit schliesst die EU Nachverhandlungen, die gewisse Politiker und Medien hierzulande fast schon als Selbstverständlichkeit betrachten, praktisch aus. Auch Sommaruga vermied dieses Wort an ihrer Medienkonferenz. Im Zentrum stehe derzeit ein Austausch unter Experten, der klar und offen sein müsse. «Was daraus entsteht, kann ich Ihnen noch nicht sagen.»
Ob die EU der Schweiz in den Streitpunkten Lohn- und Arbeitnehmerschutz, staatliche Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinie entgegen kommt, ist somit weiterhin unklar. Immerhin scheint sie bereit zu sein, der Schweiz eine «Galgenfrist» bis zur Abstimmung über die Begrenzungsinitiative der SVP am 17. Mai zu gewähren. Bei einem Ja wären die bilateralen Verträge faktisch am Ende.
Schon Ende Mai aber ist die Aktualisierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (MRA) im Bereich Medizinaltechnik fällig. Sie ermöglicht dieser für die Schweiz sehr wichtigen Branche weiterhin einen reibungslosen Zugang zum europäischen Mark. Doch die EU-Kommission droht mit einer Blockade, falls die Schweiz sich beim Rahmenabkommen nicht bewegt.
Peter Studer vom Branchenverband Swiss Medtech sprach gegenüber der NZZ von einem «Worst Case»-Szenario, das leider aus heutiger Sicht realistisch sei. Die EU-Juristen würden das MRA rigoros auslegen – zuungunsten der Schweiz. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga warnte am Montag vor Versorgungsengpässen für Patientinnen und Patienten auf beiden Seiten.
Erste Anläufe für ein Freihandelsabkommen scheiterten 2006 in einem frühen Stadium am Widerstand der Schweizer Bauern. Seit Amtsantritt von Donald Trump glauben manche jedoch, man könne mit ihm einen «Deal» abschliessen. Wieso ausgerechnet der «America first»-Präsident dazu bereit sein sollte, wirkte immer irgendwie schleierhaft. Am Dienstag folgte die Bestätigung.
Vor Beginn des Treffens mit der Viererdelegation des Bundesrat sagte Trump noch launig, er wolle ein Abkommen mit der Schweiz: «Sehen wir, was möglich ist.» Danach herrschte auf Schweizer Seite Ernüchterung. «Ein Abkommen kommt dann zustande, wenn von beiden Seiten genügend Interesse da ist», sagte Sommaruga vor den Medien. Dazu brauche es noch Überzeugungsarbeit.
Marie Gabrielle Ineichen-Fleisch, die Chefin des Staatssekretariates für Wirtschaft, äusserte sich gegenüber Radio SRF noch deutlicher: «Ich denke, wir müssen noch schauen, was genau wir in einem allfälligen Abkommen abdecken möchten. Das ist noch nicht klar – eigentlich auf beiden Seiten.» Mit anderen Worten: Obwohl angeblich seit einem Jahr «Vorgespräche» mit den USA stattfinden, weiss man noch überhaupt nicht, worüber man reden will.
Martin Naville von der Handelskammer Schweiz-USA zeigte sich im Radio-Interview entsprechend enttäuscht. Der Schweiz sei es noch immer nicht gelungen, das Interesse der USA an einem Freihandelsabkommen in genügendem Masse zu wecken. Womöglich ist sie für Donald Trump einfach zu leichtgewichtig. Sein Interesse scheint sich auf grössere Player zu konzentrieren.
Darauf deutet seine Begegnung mit Ursula von der Leyen am Dienstag in Davos hin. Im Vorfeld hatte er einmal mehr mit Zöllen auf Autoimporte gedroht, was vor allem Deutschland treffen würde. Nun betonte Trump, er wolle sich um ein umfassendes Handelsabkommen mit der Europäischen Union bemühen. Er hoffe, beide Seiten könnten sich auf einen Deal verständigen.
Letzte Woche traf sich EU-Handelskommissar Phil Hogan in Washington erstmals mit seinem US-Kollegen Robert Lighthizer. Mit ihm versucht die Schweiz bislang vergeblich ins Gespräch zu kommen. Ein Scheitern des Rahmenabkommens und ein Handelsvertrag zwischen EU und USA wäre für den Bundesrat ein doppeltes Worst-Case-Szenario. Auszuschliessen ist es nicht.
Zusammenfassung abgeschlossen🤷♀️🙇♀️