Ein ehemaliger Grossbänkler? Bewahre! Jemand aus der Versicherungsbranche? Nicht schon wieder! Eine Ausländerin oder ein Ausländer? Vielleicht, aber nur mit sehr guten Kenntnissen einer Landessprache! Die Nachbesetzung des seit Ende September verwaisten Chefpostens bei der Finanzmarktaufsicht (Finma) gestaltet sich wie eine winterliche Gletscherüberquerung: Irgendwo führt der gerade und scheinbar schnellste Weg direkt über eine gefährliche, schneebedeckte Spalte.
Einig sind sich das Finanzdepartement, die Finma, die Banken und die ganze Finanzbranche wenigstens in einem Ziel: «Die Schweiz braucht eine starke Finanzmarktaufsicht.» Nur, was nach einem Bekenntnis tönt, ist tatsächlich nicht mehr als eine Floskel, ein Allgemeinplatz, auf den die ärgsten Widersacher zu jeder Zeit anstossen können.
Immerhin: 15 Jahre nach der staatlichen UBS-Rettung und neun Monate nach der staatlich orchestrierten Notübernahme der Credit Suisse durch die UBS scheint gerade wieder allen klar zu sein, dass es auch darum gehen muss, die Floskel mit geeigneten Inhalten zu füttern.
Welche Konsequenzen die Schweiz nach dem peinlichen und politisch schwerwiegenden CS-Kollaps ziehen wird, vermag allerdings noch niemand zuverlässig vorauszusagen. Man wartet auf die Ergebnisse der Parlamentarischen Untersuchungskommission und natürlich, wie so oft, auf das Ausland, wo das Bankenbeben im März ebenfalls zu einer Verschärfung der Bankenregulierung führen dürfte.
Unterdessen wird nach wie vor über die wahren Gründe für den unvermittelten Abgang des vormaligen Finma-Chefs Urban Angehrn gestritten. Die offizielle Version, nach der der Risikoexperte und frühere Manager der Zurich Versicherung unter gesundheitlichen Problemen litt, wird als alleinige Erklärung für die Kündigung gleich von zwei Seiten angezweifelt.
Die eine Seite sieht in Angehrns verschlechtertem Gesundheitszustand ein Symptom für dessen Überforderung. Der diplomierte Physiker und Mathematiker sei der Krise, dem Stress, dem er bald nach Stellenantritt praktisch ununterbrochen ausgesetzt war, nicht gewachsen gewesen.
Nicht weniger überzeugt vertritt die andere Seite ihre Erzählung: Anghern habe sich mit seiner Präsidentin Marlene Amstad überworfen. «In aussergewöhnlichen Fällen, die keinen Aufschub erlauben und bei denen es die Wichtigkeit des Geschäfts erfordert, kann der Präsident oder die Präsidentin aus eigener Initiative … anstelle des Verwaltungsrates die notwendigen Entscheide fällen», heisst es unter Artikel 9 des Finma-Organisationsreglements. Amstad habe ihren Gestaltungsspielraum offensiv ausgenützt. Die Gesundheit des gestressten Direktors wäre auch in dieser Version nur das Ergebnis eines tiefer liegenden Problems.
Die richtige Version könnte auch in diesem Fall irgendwo dazwischen liegen. Ein nicht genannt sein wollender Beobachter bringt das Dilemma auf den Punkt: Wer sich um den Finma-Top-Job bewerbe, benötige «einen gesunden Risikoappetit».
Unklar ist auch, mit welchen Kompetenzen der oberste Schweizer Bankenaufseher dereinst ausgestattet werden wird. Der dafür nötige Gesetzgebungsprozess ist naturgemäss schwer einzuschätzen und das Tempo ist erfahrungsgemäss tief bis sehr tief.
Ein naheliegendes Anliegen der Finma ist es, die Durchsetzungskraft (Enforcement) der Behörde sichtbarer zu machen. Die nur in seltenen Ausnahmefällen zulässige öffentliche Bekanntmachung konkreter Enforcement-Verfahren ist zweifellos mit ein Grund dafür, dass die Finma in breiten Kreisen der Öffentlichkeit und der Politik als zögerliche Behörde wahrgenommen wird.
Die Aufsichtskollegen im umliegenden Ausland hätten in puncto Transparenz oft viel grössere Freiheiten, klagte Finma-Präsidentin Amstad im Mai anlässlich ihres ersten Auftrittes nach der Credit-Suisse-Übernahme. Sie dürfte damit nicht zuletzt nach Deutschland geschaut haben, wo der neue Bafin-Präsident, der frühere Finma-Chef Mark Branson, gleich mit einer Aufsichtsreform und einem neuen Finanzmarktintegritätsgesetz empfangen wurde.
Derweil sind die Voraussetzungen für eine Neubesetzung der Finma-Chefposition in der Schweiz alles andere als günstig. Das gilt umso mehr, als nebst zahlreichen inhaltlichen Lücken im Jobprofil auch verschiedene formale Einschränkungen zu bestehen scheinen.
Für einen Grossbankenvertreter wie den Angehrn-Vorgänger Branson (UBS) gäbe es in der Politik keinen Konsens, glaubt ein Finma-Kenner, der dies bedauert. Der Finma-Chef sollte sich zutrauen, den Job eines hochrangigen Grossbankmanagers im Zweifel auch selbst machen zu können. «Solche Typen gehen ungnädig um mit ihren Ex-Kollegen», erklärt der Insider seine Präferenz.
Umgekehrt dürfte die abermalige Berufung eines Versicherungsmanagers oder eines Bankers aus der zweiten Liga bei der UBS auf Widerstand stossen. Diese muss vor dem Hintergrund des politisch aufgeheizten Klimas unter allen Umständen vermeiden, dass es so aussieht als stünde ihr mit einer schwachen Aufsichtsbehörde ein leichtes Spiel bevor.
Viele geeignete Kandidaten wird die Finma in der Schweiz deshalb kaum finden. Doch auch die Suche im Ausland ist tückisch. Wer die wichtige Behörde mit ihren 500 Mitarbeitenden leiten will, müsse mindestens eine Landessprache fliessend sprechen, glaubt ein Beobachter. Mit dieser Bedingung sind die meisten Angelsachsen schon aus dem Rennen.
(bzbasel.ch)