Ein Paar Herrenschuhe für 5 Franken. Eine Smartwatch für 10 Franken. Ein Blutdruckmessgerät für nicht einmal 15 Franken. Die Kampfpreis-Angebote chinesischer Onlinehändler wie Temu oder Shein klingen oft zu gut, um wahr zu sein. Und in der Tat wird der «Mega-Deal» oft zur «Mega-Enttäuschung». Statt Schnäppchen gibt's Schrott.
Konsumentenschützer in der Schweiz und ganz Europa sprechen längst Warnungen im Wochentakt aus. Es geht nicht nur um den Pulsmesser, der falsche Resultate liefert. Oder die Smartwatch, die sich nicht mehr ausschalten lässt. Manche der Produkte sind schlicht gefährlich.
Etwa, wenn im Trinkbecher für Kinder giftige Stoffe enthalten sind. Oder wenn man bei der Verwendung des Küchengerätes einen Stromschlag abbekommen könnte oder wenn der gekaufte Heizkörper in Flammen aufzugehen droht. Von einer Einhaltung der europäischen Produktstandards kann oft keine Rede sein.
Nun formiert sich in der EU der Widerstand. So weit wie Raoul Rossmann, der Chef der gleichnamigen deutschen Drogeriekette, der fordert, Temu gleich ganz abzuschalten, geht zwar kaum jemand. Aber zusammen mit Frankreich und weiteren EU-Staaten schlug Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich bei der EU-Kommission in Brüssel Alarm.
Er verlangt, dass die geltenden EU-Vorschriften jetzt «rigoros durchgesetzt werden». «Wir können nicht länger hinnehmen, dass täglich Hunderttausende Pakete mit Produkten eintreffen, die den europäischen Standards nicht entsprechen», sagte Habecks Staatssekretär Sven Giegold bei einem Treffen in Brüssel.
Konkret müssen Temu und Shein sich diese drei Vorwürfe gefallen lassen:
Klar ist, dass die Zollfreigrenze von 150 Euro aufgehoben werden wird. Das heisst, auch Temus Billigwaren müssen versteuert werden. Ein riesiges Problem wird aber die praktische Umsetzung sein.
Im letzten Jahr schickte Temu laut Schätzungen 400'000 Pakete pro Tag allein nach Deutschland. Europaweit waren es rund 2 Milliarden «Zollfrei-Pakete» aus China. Diese von den sonst schon unterbesetzten Zollbehörden prüfen zu lassen, ist natürlich komplett unrealistisch. Europa wird überflutet von der chinesischen Paketwelle.
Besser wäre es also anzusetzen, bevor die Pakete überhaupt in Europa sind. Nur ist das gar nicht so einfach. Das Geschäft der Plattformen besteht nämlich darin, dass sie lediglich Käufer und Produzenten zusammenbringen.
Der eigentliche Import der Ware findet durch den europäischen Internetnutzer statt, der formell direkt bei der Fabrik in China bestellt. Die Produkte landen so gesehen direkt im Privatgebrauch und gelangen in Europa gar nie in den Handel. Temu ist kein Händler und damit auch nicht für die Qualität «seiner» Produkte haftbar.
So einfach will die EU die Plattformen aber nicht vom Haken lassen. Mit ihrem erst dieses Jahr in Kraft getretenen «Gesetz über Digitale Märkte» (DSA) hat sie Möglichkeiten, den grossen Onlinemarktplätzen habhaft zu werden.
Illegale Inhalte zum Beispiel, und zu denen gehören gefährliche Produkte, dürfen über ihre Seiten nicht angeboten werden. Sie haften zwar nicht für die Produkte selbst. Aber sie haften dafür, dass sie über die Plattform vertrieben werden. Die Bussen können happig ausfallen und bis zu 6 Prozent des globalen Jahresumsatzes betragen. Im Extremfall droht sogar ein Verbot.
Ende Juni haben die EU-Behörden die erste Stufe eines Verfahrens gezündet. Die EU-Kommission als Aufseherin über den Binnenmarkt hat von Temu und Shein formelle Auskünfte zu ihrer Einhaltung des DSA verlangt. Das markiert in Brüssel jeweils den Anfang einer Strafuntersuchung. Am vergangenen Donnerstag hat Brüssel nachgedoppelt und neue Fragen mit einer Antwortfrist von zehn Tagen nachgereicht.
Und die Schweiz?
Wie CH Media jüngst berichtete, wurden Temu-Vertreter Anfang September ins Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zitiert, um einige Fragen über ihre Geschäftspraktiken zu beantworten. Unter anderem ging es um die Verwendung von «Dark Patterns» und die Einhaltung des Lauterkeitsrechts. Anlass war eine Klage der Schweizer Detailhändler diesen Frühling gewesen.
Zuletzt ist aber auch die Politik aktiv geworden. Ende September hat Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer aus dem Baselland den Bundesrat in einer Motion aufgefordert, die Einhaltung Schweizer Markt- und Sicherheitsstandards gegenüber ausländischen Onlinehändlern durchzusetzen. Sie fordert dafür explizit eine Angleichung an das DSA-Gesetz der EU, weil den Schweizer Behörden die Instrumente fehlen.
Zu den zwanzig Mitunterzeichnern gehören neben dem Solothurner Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt auch die SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel aus dem Kanton Zürich.
(aargauerzeitung.ch)
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