Pferdewetten sind ein grosses Ding in Irland. Wer von der Schweizer Journalistenzunft noch nicht gewusst haben sollte, dass der UBS-Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher von der Grünen Insel stammt, muss es spätestens am Mittwoch gemerkt haben - auf der kurzfristig einberufenen Medienkonferenz am Zürcher Hauptsitz der Bank.
Viele Male muss der 65-Jährige die gleichen Fragen beantworten: Warum ist der niederländische CEO Ralph Hamers, 57, nicht mehr der Richtige für die UBS? Weshalb fällt die Wahl für dessen Nachfolge ausgerechnet auf Sergio Ermotti? Auf den 62-jährigen Tessiner, der sich vor ziemlich genau drei Jahren im selben Konferenzsaal mit unmissverständlichem Widerwillen anhören musste, wie ihn der damalige Verwaltungsratspräsident Axel Weber verabschiedete?
Colm Kelleher sucht jedes Mal geduldig nach neuen Antwortvarianten - bis er am Schluss der Veranstaltung die simple und vielleicht ehrlichste Erklärung findet: «Der Verwaltungsrat spürte einfach, wir haben ein besseres Pferd.»
Als Wallstreet-Veteran weiss der UBS-Präsident nur allzu gut, dass jede Akquisition zunächst auch eine Wette ist. Eine Wette, dass die Vorteile die unvermeidlichen Nachteile überwiegen und dass die Transaktion Mehrwerte schafft für Kunden, Gläubiger, Aktionäre, Mitarbeitende und idealerweise sogar für den ganzen Finanzplatz.
Im Fall der Credit-Suisse-Übernahme unterstreicht Kelleher die enormen Risiken, die mit der Integration der gescheiterten Grossbank verbunden sind. Das tat er schon am historischen Sonntag, als er neben den Verantwortlichen von Bundesrat, Nationalbank und Finanzmarktaufsicht die CS-Übernahme erklärte. Es ist der grösste Take-over in der Finanzbranche seit 2008. Und es ist der erste Zusammenschluss zweier Institute, die beide auf der Liste jener 30 internationalen Banken stehen, die als relevant für die Sicherheit des globalen Finanzsystems eingestuft werden.
«Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig diese Übernahme für die ganze Welt ist», sagt Kelleher, ohne den Kern seiner Botschaft explizit auszusprechen: Diese Wette darf nicht schiefgehen. Alles andere wäre fatal - für das globale Finanzsystem und natürlich zuallererst für die Schweiz, die ihrerseits eine gigantische Wette eingegangen ist. Denn die Nationalbank und der Bund haben Liquiditätshilfen und Verlustgarantien im Umfang von sagenhaften 259 Milliarden Franken gesprochen. Auch hier darf nichts schiefgehen.
Es gab viele Bilder für die Geschichtsbücher, und an diesem Mittwochmorgen bietet sich wieder eins. Ralph Hamers sitzt links von Kelleher, er blickt wenig verständnisvoll drein. Links hat Sergio Ermotti Platz genommen, mit selbstsicherer Miene, als ob er nie weg gewesen wäre. Welch ein Unterschied zur Szene am selben Tisch vor drei Jahren, als Hamers strahlte und Ermotti das Gesicht zerkniff.
Das Comeback ist auch ein ganz persönlicher Triumph für Ermotti. Er durfte damals nicht Verwaltungsratspräsident werden. Jetzt kehrt er als «Retter» zurück. Ein Coup - für die Bank und auch für ihn persönlich. Seine Worte im Abschiedsinterview mit der «Schweiz am Wochenende» von 2020 tönen rückblickend wie eine Prognose: «Ich werde in Zukunft sicher nicht Boccia spielen gehen.»
Natürlich wird Hamers mit den schönsten Worten verabschiedet - weggelobt wie vor drei Jahren sein Vorgänger Ermotti. Ralph Hamers habe es mit seiner «hervorragenden Arbeit» in den vergangenen zweieinhalb Jahren möglich gemacht, dass «UBS nun Teil einer Lösung ist, statt selber ein Problem darzustellen», sagt Kelleher. Er spielt damit auf einen berühmt-berüchtigten Ausspruch des früheren UBS-Präsidenten Marcel Ospel an. Der sprach den Satz im Februar 2008 im irrigen Glauben aus, er könne die Grossbank noch selbst aus dem Sturm führen. Bekanntlich mündete der Versuch in ein Debakel - im Herbst 2008 musste die UBS vom Staat gerettet werden.
Hamers lässt die Verabschiedung ohne erkennbare Eitelkeit über sich ergehen, obwohl es im Grunde genommen eine Demütigung ist - er ist eben nicht mehr das beste Pferd. «Wir sind alle Profis an diesem Tisch», sagt Hamers. Der Holländer ist aber auch ehrlich genug, um anzuführen, dass er den CEO-Job in der neuen Superbank lieber gern selbst gemacht hätte.
Unqualifiziert wäre er für diesen Job nicht gewesen. Immerhin war er während sieben Jahren Chef der niederländischen ING-Gruppe. Aber in der exponierten Situation, in der die UBS nun steckt, wird für Hamers eine Altlast zum Verhängnis. Er steckt in seiner Heimat noch immer in einer Strafuntersuchung mit offenem Ausgang. Die Behörden in Amsterdam klären zum zweiten Mal ab, ob der Manager als Chef von ING persönlich für ein grosses Vergehen der Bank gegen die Geldwäschereigesetzgebung verantwortlich gemacht werden könnte. «Mit dieser Sache hat der Wechsel rein gar nichts zu tun», beteuert der Präsident - das muss er wohl sagen.
Der Holländer fliegt, der Tessiner kehrt zurück. Wie wichtig ist eigentlich Ermottis Schweizer Pass? Nicht ausschlaggebend, aber «hilfreich», erklärt Kelleher. Wichtiger sei Ermottis Leistungsausweis. Er habe die UBS in den zehn Jahren, als er CEO war, zu einer sichereren Bank gemacht, die Investment-Bank verkleinert und eine bessere Risikokultur geschaffen. Kurzum: Ermotti tat, was seine Pendants bei der Credit Suisse (Brady Dougan, Tidjane Thiam, Thomas Gottstein) in jener Phase versäumten.
Die schlechten Elemente der Credit-Suisse-Kultur dürften sich auf keinen Fall auch bei der UBS einschleichen, beschreibt Kelleher eine der Hauptaufgaben seines neuen Chefmanagers.
«Diese Übernahme ist eine emotionale Sache und das ist Teil der ganzen Komplexität», sagt Ermotti. Er signalisiert Verständnis für die Tausenden von Mitarbeitenden und noch mehr für die Kunden, die dem Vollzug der Fusion mit Verunsicherung gegenüberstehen - teilweise sogar mit offener Ablehnung.
Wenn einer eine Brücke über den tiefen Graben zwischen UBS und Credit Suisse schlagen kann, dann ist es Sergio Ermotti. Auf diese Wette haben mit einiger Sicherheit nicht nur die UBS-Verwaltungsräte, sondern auch die Schweizer Behörden eingeschlagen.
Die Umsetzung der Fusion dürfte zu den schwierigsten Managementaufgaben in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte werden. Allein die Zusammenführung der IT-Systeme von UBS und CS und die Verschmelzung der Firmenkulturen sind herkulische Aufgaben. Ermotti muss sich zudem nicht nur als Manager, sondern auch als Politiker beweisen: Seine Bank hat faktisch eine Staatsgarantie, darum wird die Politik bei wichtigen Entscheidungen mitreden wollen.
Als früherer UBS-Chef hat Ermotti die Politik gern provoziert und in Interviews ausgeteilt. Er hält den Staat für zu teuer und bürokratisch, ist kritisch gegenüber Regulierungen und plädiert für ein höheres Rentenalter. Nun wird er sich wohl diplomatischer geben und sein Temperament zügeln müssen. (bzbasel.ch)