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Kassensturz: Wie Kaninchen für Schweizer Pharmaprodukte leiden

Wie Kaninchen für Schweizer Pharmaprodukte leiden

Kaninchen mit roten Augen und blutigen, abgebissenen Ohren – versteckte Aufnahmen zeigen das verborgene Leid von Versuchstieren, die für Pharmaprodukte auf dem Schweizer Markt eingesetzt werden.
24.09.2025, 11:4324.09.2025, 17:05

Es ist eine verschlossene Welt: Labor-Kaninchen, die eingesperrt in engen Gitterkäfigen auf hartem Plastik- oder Metallboden leben. Häufig leiden die Tiere aufgrund der Einschränkung ihrer natürlichen Bedürfnisse an Verhaltungsstörungen, beissen ihren Artgenossen teilweise die Ohren ab.

Kaninchen nagen in der Tierversuchsanlage an Gitterstäben.
Kaninchen nagen in der Tierversuchsanlage an Gitterstäben.bild: kassensturtz / soko Tierschutz

Die deutsche Tierschutzorganisation Soko hat dem «Kassensturz» versteckte Aufnahmen zugestellt, die zeigen, wie die Tiere für Pharmaprodukte auf dem Schweizer Markt rücksichtslos behandelt werden. Der Umgang mit den Tieren auf dem deutschen Hof ist grob: Kaninchen werden an den Ohren gepackt und unsanft in die Käfige geworfen.

Rund eine Million Kaninchen werden in der EU für Forschung, Diagnostik und Medizin eingesetzt. Davon werden jährlich etwa 36'000 Kaninchen für die Produktion von Antikörpern verwendet, etwa für die Krebsforschung oder Schwangerschafts- und Coronatests.

Ein Mitarbeiter wirft ein Kaninchen gewaltsam ins Käfig.
Ein Mitarbeiter wirft ein Kaninchen gewaltsam ins Käfig.bild: kassensturz / soko tierschutz

Den Kaninchen wird auf der Versuchstieranlage ein Antigen verabreicht, um später Antikörper aus ihrem Blut zu gewinnen. Nach einer Immunisierungsphase werden die Tiere im Labor betäubt, ausgeblutet und zur Entsorgung weggeworfen.

Tierversuchsfreie Alternative ist teuer

Viele Antikörper könnten auch tierversuchsfrei produziert werden, sagt Stefan Dübel, Professor für Biochemie. Doch noch immer sei es günstiger, ein Kaninchen zu immunisieren, als Antikörper rekombinant, also in einem Reagenzglas, herzustellen.

Die Antikörper aus dem Betrieb haben zwei Hauptabnehmer aus der Gesundheitsbranche, die in der Schweiz tätig sind: die deutsche Firma Siemens Healthineers, mit Standorten in der Schweiz sowie das Pharmaunternehmen Neovii, mit Hauptsitz in der Schweiz.

Siemens will sich zu den Antikörperherstellern nicht äussern und schreibt gegenüber dem «Kassensturz»:

«Wir können bestätigen, dass wir trotz Fortschritten mit alternativen Methoden weiterhin Kaninchenantiseren für die Herstellung einiger diagnostischer Tests verwenden, für die spezielle Antikörper verwendet werden.»

Dem Unternehmen sei es zudem gelungen, seinen Einsatz mit Kaninchen zu reduzieren.

Neovii hingegen wehrt sich gegen die Vorwürfe:

«Das überlebensnotwendige Medikament kann derzeit nicht tierfrei hergestellt werden und rettet unzählige Menschenleben. Unsere Lieferanten werden fortlaufend von den zuständigen Aufsichtsbehörden überwacht, ebenso führen wir regelmässig, auch unangemeldet, mit unabhängigen Veterinärinnen eigene Kontrollen durch.»

Auf den Videoaufnahmen ist auch zu sehen, wie ein krankes Kaninchen offenbar kurz vor einer angemeldeten Kontrolle beseitigt wurde, um eine Beanstandung zu vermeiden. Das zuständige Veterinäramt gesteht, dass der Umgang gegen das Tierschutzgesetz verstösst. In den letzten Jahren sei es zu keinen Beanstandungen gekommen.

Über die Versuchskaninchenanlage gibt es keine öffentlichen Informationen. Gemäss Recherchen handelt es sich um einen Biobetrieb, der auch Mutterkuhhaltung betreibt. Die Betriebsleiter weisen die Vorwürfe zurück.

Die ganze Sendung kannst du hier nachsehen.

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Philippe Wenger
24.09.2025 12:18registriert September 2020
Für alle, die Labor-Kaninchen jetzt anprangern aber gleichzeitig nur günstiges Poulet kaufen: Das Geflügel hat es nicht besser!!!
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Gen X
24.09.2025 12:41registriert August 2023
Die Pharmalobby hat kein Interesse daran, in teurere Methoden zu investieren, wenn es auch eine günstigere, wenn auch ethisch und moralisch verwerfliche, gibt.
Das bürgerlich dominierte Parlament hat kein Interesse daran, der Pharmalobby an den Karren zu fahren und stärkere Regulierungen zum Tierwohl einzuführen.
Wenn es, wie oben behauptet, tatsächlich nicht anders geht als mit Tierversuchen, so könnte man die Versuchstiere wenigstens mit Würde und dem Respekt behandeln, wie es ihnen zusteht.
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Overton Window
24.09.2025 12:13registriert August 2022
Dinge, die wir bereits 1975 als Schüler angeprangert haben. Geändert hat sich seit da nicht wirklich viel.
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