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Warum wir uns nicht zu früh über unsere brave Generation Z freuen sollten

Drogen, Alkohol und Gewalt sind out. Die Generation X will nach oben. 
Drogen, Alkohol und Gewalt sind out. Die Generation X will nach oben. Bild: KEYSTONE

Warum wir uns nicht zu früh über unsere brave Generation Z freuen sollten

Sie trinkt weniger, sie ist weniger kriminell und sie will die Welt verändern. Im Gegensatz zu vorangegangenen Generationen wird die Generation Z das auch tun.  
27.03.2015, 09:5927.03.2015, 13:13

Es hat 2'400 Jahre gedauert. Aber nun ist es soweit: Sokrates ist widerlegt. 

«Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer», sagte der griechische Philosoph und seit 2'400 Jahren begleitet das Zitat jedes Lamento über «die heutige Jugend». 

Damit ist Schluss. 

Die aktuell veröffentlichten Suchtmonitorings und Kriminalstatistiken bestätigen einen seit Jahren anhaltenden Trend: Die jetzige Generation der 10- bis 20-Jährigen ist weniger kriminell, sie nimmt weniger Drogen und sie ist weniger gewalttätig als ihre Vorgängergenerationen im selben Alter waren. 

Die Arbeit der 68er trägt Früchte

Aber das ist noch nicht alles. Aus den grossen Befragungen zur Befindlichkeit der Jugend geht hervor, dass sie neuerdings bürgerlich-traditionelle Werte wie Ehe, Familie und Karriere hochhält, für deren Abschaffung die 68er gekämpft haben. Und die Personalrekrutierer, die für ihre Firmen junge, unkonventionelle Querdenker suchen, verzweifeln ob der Angepasstheit der Kandidaten

Der zunehmende Verzicht aufs Saufen, Rauchen und Prügeln ist rasch erklärt. Die 68er haben sich auf ihrem Marsch durch die Institutionen mit ihrer Überzeugung durchgesetzt, dass Prävention günstiger und nachhaltiger ist als Repression, Umsorgen sinnvoller als Versorgen. Steuererhöhungen bei Alkohol und Tabak, Zwangs-Krippenbesuche für fremdsprachige Kinder und Konversationstraining ab den Kindergärten tragen in der Sucht- und Gewaltprävention Früchte. 

Die angebliche Renaissance der «traditionellen Werte» dürfte gar keine sein. «Ehe und Familie» als anzustrebenden Lebensstil anzugeben, ist erst möglich, seit andere Lebensentwürfe überhaupt allmählich akzeptiert sind. Ohne Auswahl gibt es auch keine Wahl. 

Die interessante Frage ist, warum schon breite Massen Jugendlicher in Befragungen die traditionelle Wahl treffen. Rückzug ins Werte-Reduit in Zeiten wirtschaftlichen, und technologischen Umbruchs? Zu abstrakt. Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit angesichts des Aussterbens des Mittelstandes? Kümmert sie nicht. Eltern bewusst als Rollenvorbilder nachahmen? Gott bewahre! 

Rundum-Versorgung der Präventionsarmee

Die Gründe für die von den Personalrekrutierern beklagte Angepasstheit sind in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen selbst zu suchen. Wer mit 4 kein «R» sagen kann, wird von der Logopädin aus der Klasse geholt. Wer sich mit 12 eine Pausenhof-Schlägerei liefert, der wird vom Schulpsychologen diagnostiziert und allenfalls mit Ritalin therapiert. Und wer mit 15 beim Kiffen erwischt wird, der kriegt vom Schulsozialarbeiter einen Termin im Drop-In.  

Die  Rundum-Versorgung der Präventionsarmee ist gutgemeint, aber für die Betroffenen immer auf die eine oder andere Art peinlich. Wer wie Kinder und Jugendliche noch keine eigene Identität ausgebildet hat, will nur sein wie die anderen. Nicht bei der Logopädin, nicht beim Psychologen und nicht beim Suchtberater.  

Also gilt: Anpassen und die gewünschten Leistungen erbringen. 

Und das gilt nicht nur im institutionellen Leben auf dem Schulhof oder dem Lehrbetrieb. Die Clique, die Freunde und die Öffentlichkeit sind immer nur einen Wisch auf dem Smartphone weg. Facebook und Whatsapp lassen keine Verschnaufpause vom gesellschaftlichen Leben mehr zu und auf den omnipräsenten Bühnen der Selbstinszenierung gelten dieselben Regeln wie auf dem Pausenhof: Wer sich nicht von seiner besten Seite zeigt, gilt als Sonderling und wird schlimmstenfalls Opfer von Cybermobbing. 

Ältere, Schwächere bleiben auf der Strecke

So werden Selbstinszenierung und Erfolgsimage-Politur zum 24-Stunden-Job und das schon in einem Alter, in dem frühere Generationen noch Zeit hatten, besoffen mit gestohlenen Töffli in Streifenwagen zu krachen. 

Die frühe Erkenntnis – diejenige, dass Anpassung und zur Schau getragenes Selbstbewusstsein belohnt werden – ist, was die Personalrekrutierer zur Verzweiflung treibt: Es treten junge Menschen in den Arbeitsmarkt ein, die vor von Likes herrührendem Hors-Sol-Selbstbewusstsein fast platzen und gekonnt überspielen, dass sie noch nichts können.

Ein guter Teil dieser Generation wird grandios scheitern und viele werden sich mit 30 wundern, dass die Welt nicht auf sie gewartet hat. Aber ebenso viele werden sich auch daran erinnern, dass erfolgreich ist, wer mehr leistet als der Durchschnitt und sich an die Spielregeln hält.  

Diese beiden Eigenschaften, ergänzt mit der jugendimmanenten Überzeugung, die Welt ändern zu können, sind eine kraftvolle Mischung. In den nächsten 30 Jahren wird ein Teil der Generation Z die Welt, wie wir sie kennen, nicht nur umkrempeln, sondern weitgehend an sich reissen und die Spielregeln selbst machen. Uber, Facebook und AirBnB lassen grüssen.

So dürfte die Angst der Alten vor der Jugend bald wieder wachsen. Nicht vor deren Gewalt-, sondern vor deren Leistungsbereitschaft.

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