Es war ein Fund, von dem schnell klar war, dass er potenziell die Welt verändern würde: Drei Forschern gelang es, die Form und Eigenschaften von Aminosäuren – auch bekannt als Bausteine des Lebens – vorherzusagen und neue Proteine mit bestimmten Eigenschaften herzustellen. Proteine etwa, die zu leuchten beginnen, wenn sie mit SARS-CoV-2 in Kontakt kommen und so PCR-Tests obsolet machen könnten. Oder solche, die an das Betäubungsmittel Fentanyl binden und es so besser erkennbar machen können. Dafür erhielten David Baker, Demis Hassabis und John M. Jumper im Oktober 2024 den Chemie-Nobelpreis.
Das Revolutionäre daran: Das Trio löste das 50 Jahre alte Problem mit künstlicher Intelligenz. Zwei der Wissenschaftler, Hassabis und Jumper, arbeiten für Google und entwickelten bei dessen Tochterfirma Deepmind das entsprechende KI-Modell Alphafold.
Für einen ähnlich bahnbrechenden Durchbruch soll künstliche Intelligenz bald auch in der Schweiz sorgen. So sagt es zumindest der künftige Chef des Genfer CERN, das den weltweit grössten Teilchenbeschleuniger beherbergt, voraus. Mit dem «Guardian» spricht Mark Thomson über die unvergleichliche Hebelwirkung von KI-Modellen in der Partikel-Forschung.
Seit Jahren suchen Physikerinnen und Physiker am Large Hadron Collider (LHC) nach «neuer Physik». Dazu gehört etwa die nahezu vollständig unbekannte Dunkle Materie, von der Forschende annehmen, dass sie einen grossen Teil des Universums ausmacht. Abgesehen vom – mehr oder weniger zufälligen – Fund des Higgs-Teilchens 2012 sind sie damit wenig erfolgreich.
Das scheint auch nicht weiter erstaunlich. Denn in jeder Sekunde kollidieren dort rund 40 Millionen Protonen miteinander und produzieren eine schier unfassbare Menge an Daten, in denen die Suche nach Anomalien wie diejenige nach der Nadel im Heuhaufen anmutet.
Um der riesigen Datenmengen Herr zu werden, setzt das CERN bereits heute auf künstliche Intelligenz. Von der Entscheidung, welche Daten gesammelt werden sollen, bis hin zur Interpretation der Daten arbeitet KI quasi an jedem Aspekt der Teilchenbeschleunigung mit.
Und das ist erst der Anfang. Thomson erwartet, dass KI am LHC nicht weniger als den Kollaps des Universums vorhersagen können wird. Denn KI werde schon bald ein extrem seltenes Phänomen entdecken, das den Schlüssel zur Beschaffenheit des Universums liefert: «Wir werden nicht nur ein Higgs-Boson, sondern zwei Higgs-Bosonen zur gleichen Zeit erzeugen», erklärt Thomson gegenüber dem «Guardian».
Dies werde es den Wissenschaftlern ermöglichen, zum ersten Mal zu messen, wie das Higgs-Teilchen sich selbst Masse verleiht – ein Phänomen, das Higgs-Selbstkopplung genannt wird. Und das wiederum werde Aufschluss darüber geben, wie Teilchen in den ersten Momenten nach dem Urknall an Masse gewonnen haben und ob unser Universum am Rande eines katastrophalen Zusammenbruchs stehen könnte.
Doch es gebe derzeit keinen Grund zur Alarmierung. Es handle sich nicht um ein Szenario, das in einer für die Menschheit relevanten Zeitspanne eintreten könne, zitiert der «Guardian» den CERN-Physiker Dr. Matthew McCullough.