Westberliner helfen ihren östlichen Nachbarn über die Berliner Mauer in der Nähe des Brandenburger Tors am frühen Morgen des 10. November 1989. Bild: ap
Der Historiker Bernd Haunfelder hat für sein Buch «Die DDR aus Sicht schweizerischer Diplomaten 1982 – 1990» bisher unbekannte Akten des EDA aufgearbeitet – und dabei Erstaunliches zu Tage gefördert.
Bundesratssprecher nach dem Mauerfall
Ost- und Westdeutsche stehen auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor ein Tag, nach dem Mauerfall, am 10. November 1989. Bild: AP
Der «Tages-Anzeiger» stiess am 9. November 1989 auf bundesrätliche Gleichgültigkeit. Während die Bilder der gefallenen Mauer über unzählige Fernseher flimmerten und zeigten, wie DDR-Bürger zu Tausenden in den Westen strömten, versuchten Journalisten eine Stellungnahme des Schweizer Aussenministers René Felber zu bekommen. Doch dieser schien sich nicht für das revolutionäre Ereignis zu interessieren. Sein Sprecher meinte, der Bundesrat könne nicht zu allem seine Meinung äussern – schliesslich geschehe jeden Tag etwas Wichtiges.
Portrait von Bundesrat René Felber am 3. Dezember 1987 vor seinem Haus in Sauges. Felber war von 1987 bis 1993 im Bundesrat. Bild: KEYSTONE
Alltäglich war der Mauerfall sicher nicht. Mit seiner eigensinnigen Auslegung ist Felber im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA jedoch nicht allein, wie der deutsche Historiker Bernd Haunfelder in seinem Buch «Die DDR aus Sicht schweizerischer Diplomaten 1982 – 1990» zeigt. Haunfelder hat darin bisher unbekannte Akten des EDA aufgearbeitet.
Franz Birrer war der letzte Schweizer Botschafter in Ostberlin. Noch am 21. Juni 1989 berichtet er nach Hause, dass die alte Garde um DDR-Staatschef Erich Honecker «guten Glaubens und Willens» sei, «eine neue und bessere Gesellschaft aufzubauen». Die Zahl der politischen Häftlinge in der DDR sei «gering» und das Kulturleben geprägt von «grosser Freizügigkeit».
Bereits im Dezember 1989 war es in vielen Haftanstalten zu Protesten für eine Amnestie gekommen. In Bautzen hängten Gefangene diese mit Forderungen beschriebenen Bettlaken während eines Hungerstreiks heraus.
Acht Tage nach dem Mauerfall schreibt der Diplomat in seinem Telegramm:
Schweizer Botschafter Franz Birrer
Vielmehr seien nur «zahlreiche neue Grenzübergangsstellen geschaffen worden, nicht mehr und nicht weniger».
Offiziell galt die neutrale Schweiz während des Kalten Krieges als «geheimer Verbündeter» des Westens, so der Historiker Haunfelder gegenüber dem Spiegel. BRD-Kanzler Helmut Kohl habe sich als Fürsprecher der Eidgenossen in der Europäischen Gemeinschaft präsentiert.
Doch natürlich gab es unter den Schweizer Sozialdemokraten auch manch einen DDR-Sympathisanten. Viele Deutschschweizer empfanden das Auftreten der Bundesrepublik als arrogant. So schreibt auch Birrer in seinen damaligen Reporten von der «grossen» und «schwerreichen» Bundesrepublik, während die DDR «klein» und «dem übermächtigen Nachbarn beinahe schutzlos ausgeliefert» sei.
Inzwischen ist Birrer 84 Jahre alt. Und er bestreitet gegenüber dem «Spiegel», Sympathien für den SED-Staat gehabt zu haben. Er habe sich vielmehr «von Realismus» leiten lassen.
In ihren Autos einreisende DDR-Bürger am Grenzübergang Helmstedt/Marienborn. bild: zeitzeugenbuero
In seinen Berichten nennt Birrer meist andere Diplomaten und Vertreter des SED-Regimes als Quelle, die Demonstrationen im Herbst scheinen ihn wenig interessiert zu haben.
Als es im Dezember 1989 in einer Kundgebung vor dem Zentralkomitee der SED darum ging, dass Führer der Sozialistischen Einheitspartei klammheimlich Milliarden D-Mark in die Schweiz geschoben hätten, war der Botschafter empört und notierte, dass «der diesbezüglichen Phantasie offensichtlich keine Grenzen gesetzt» seien. Heute weiss man, dass SED-Mitglieder tatsächlich ihre Gelder auf Schweizer Bankkonten deponierten.
Das Botschaftsgebäude der Schweiz in der Ostberliner Esplanade 21. bild: bundesarchiv via wikimedia
Über die Einheitsfeier vom 3. Oktober 1990 schreibt der Schweizer Botschafter:
Schweizer Botschafter Franz Birrer
In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 wurde um Mitternacht die Fahne der Einheit an einem grossen Fahnenmast vor dem Reichstagsgebäude in Berlin gehisst. bild: wikimedia
Was Birrer dafür umso mehr interessierte, waren die angeblich neuen Pinkelgewohnheiten der Ostberliner. Diese hätten inzwischen schon die Angewohnheit ihrer Westberliner Geschlechtsgenossen übernommen und würden bei Grossveranstaltungen «häufig an Hauswände oder in Parkanlagen» urinieren.
Leider weiss man nicht, wie Birrers Berichte in der Zentrale in Bern aufgenommen wurden. Doch 1991 versetzte man ihn nach Luxemburg. Birrer selbst sagt allerdings, er habe diesen Posten frei gewählt.
(rof via «Spiegel»)