Keine Flugscham: Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich schickt im Frühjahr 2020 Studenten für viertägige Seminare nach Australien und Uganda. «Ist das deren ernst?!», regt sich Studentin Marie* auf, die watson auf die Lehrveranstaltungen hinweist.
Im Februar findet in Brisbane ein Seminar zu organisiertem Verbrechen, Glücksspiel und Strafrecht statt. Im April ist in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, ein Seminar zur Schnittstelle von Recht, Politik und Gesellschaft geplant.
Eine Flugreise nach Brisbane von über 20 Stunden, 32'000 Flugkilometern und laut Rechner von Myclimate 5.7 Tonnen CO2 (Hin- und Rückflug) für vier Tage: Das kommt im Klimajahr schlecht an.
Die Zürcher Hochschule hat sich die Umwelt eigentlich auf die Fahne geschrieben. Seit 2014 gibt es dort ein «Nachhaltigkeitsteam». Dies veröffentlichte diesen April erstmals einen Sustainability-Bericht. Das Paper zeigte: Zwar sanken die Treibhausgas-Emissionen der Universität Zürich von 2017 auf 2018 insgesamt um 20 Tonnen (hauptsächlich dank veganen Menüs in der Mensa), schuld an den meisten Emissionen der Hochschule ist jedoch das Fliegen: Die Flugreisen der Mitarbeitenden und Gäste sind für 8299 Tonnen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Man bemerke: Die Flüge der Studenten wurden dabei noch gar nicht mitgezählt.
Auf Anfrage sagt Prorektor und Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger, der die Seminare organisiert: «Beim Thema Nachhaltigkeit kann es gewisse Zielkonflikte geben.» Nebst dem Klimaschutz stünden auf der UNO-Liste mit Zielen für eine nachhaltige Entwicklung diverse weitere Anliegen: Unter anderem die Armutsbekämpfung, Beseitigung von Ungleichheit, Frieden und Gerechtigkeit. Um diese Ziele zu erreichen, sei eine gute internationale Zusammenarbeit in Forschung und hochstehender Lehre wichtig.
Die beiden Seminare seien so aufgebaut, dass der grösste Teil der Kontakte via elektronische Plattform stattfindet. Der persönliche Austausch, die Diskussion und Institutionsbesuche vor Ort seien aber immer noch «wesentliche Elemente des Lern- und Forschungsprozesses». Das Seminar in Brisbane dreht sich um Fragen der internationalen organisierten Kriminalität. Schwarzenegger: «Falls Juristen in Zukunft Probleme der internationalen Kriminalität lösen wollen, müssen sie mit internationalen Partnern zusammenarbeiten und die Ausgangssituationen vor Ort verstehen.»
Schwarzenegger betont, es stehe den Studierenden natürlich frei, ihren Aufenthalt in der jeweiligen Region vor und nach dem viertägigen Seminar zu verlängern. Wie viele Studenten im Frühjahr 2020 nach Australien und Uganda reisen, ist stand jetzt noch nicht klar. Der Anmeldeprozess läuft.
Luzian Franzini, Co-Präsident der Jungen Grünen Schweiz, sagt zu den viertägigen Seminaren in Afrika und Australien: «Ich finde, wir müssen uns über die grossen Fragen Gedanken machen. Menschen, die aus akademischen oder zum Beispiel auch aus familiären Gründen reisen, machen nur einen relativ kleinen Teil der Problematik aus. Aber klar müssen Flüge aus wissenschaftlichen Gründen auf ein Minimum reduziert werden.»
Eigentlich gebe es genügend innovative Möglichkeiten, um die geografische Distanz zu überbrücken: «An der Universität Genf hatten wir per Videovorlesung einen Ethikkurs zusammen mit einem Flüchtlingscamp in Afrika. Das hat sehr gut funktioniert, solche Ansätze muss man viel stärker verfolgen.»
Was ist mit Lehrausflügen nach Paris, Berlin oder Rom? Hier ist Franzini kategorischer: «In Europa ist das Reisen ohne Flugzeug sehr gut möglich. Deshalb sollte es für die Universitäten ein Flugverbot für Kurzstecken geben.»
Der Studentenverband der Universität Zürich setzt sich in einem Positionspapier ebenfalls für ein Verbot von Kurztrips per Flugzeug ein. Videokonferenzen seien die bessere Alternative. Diese und andere Massnahmen werden momentan intern diskutiert. Ende November soll entschieden werden.
Sollte im Jahr 2019 doch auch via Videokonferenz machbar sein?
Ich finde es nachvollziehbar, wenn man Doktoranden an Fachtagungen teilnehmen lässt, die allenfalls einen Flug erfordern. Aber dass Studenten sich ihre Seminararbeiten down under präsentieren, bringt doch keinen merklichen Nutzen.