Die 16 geschnitzten Figurenköpfe in der Aula des Stadtzürcher Schulhauses Hirschengraben sind laut einem unabhängigen Gutachten nicht als diskriminierend zu bewerten. Der Bericht empfiehlt jedoch, die Figuren in einen historischen Kontext zu stellen.
Die 1895 eröffnete Aula im ehemaligen Mädchenschulhaus am Hirschengraben in Zürich überwältigt beim Eintreten: Hier hängt ein Frosch, eine Schnecke, ein Fabelwesen. Dort sind farbenfrohe Früchte, Götter oder Figurenköpfe zu sehen. «Man wollte die Früchte, die Tiere und die Völker der Erde darstellen», sagte Historiker Joseph Jung am Freitag vor versammelten Medienleuten. «Diese Aula bot einst Anschauungsmaterial für den Unterricht - mit Blick auf die ganze Welt.»
Dieser Frage ging Joseph Jung im Auftrag der Stadt Zürich nach. Auslöser des am Freitag präsentierten Gutachtens war der Bericht «Möglichkeiten zum Umgang mit kolonialen Spuren im Stadtraum» von 2021, der für die Aula dieses Schulhauses eine Aufarbeitung empfohlen hatte.
Konkret geht es um die acht in Holz geschnitzte Völkerpaare, die in der Aula hängen. Die von Albert August Müller konzipierten Figurenköpfe wurden 1894/95 von Kunsthandwerkern geschaffen und symbolisieren Kulturen aus aller Welt. Bei den acht Völkerpaaren handelt es sich um ein arabisches, ein chinesisches, ein germanisches, ein indigen-amerikanisches, ein indigen-arktisches, ein indisches, ein subsaharisches und ein südsee-insulanisches Paar - also je um eine Frau und um einen Mann.
Nun kommt Jung in seinem über 300-seitigen Gutachten zum Schluss: Die Figurenköpfe sind nicht rassistisch.
Alle Figuren seien gleichwertig dargestellt und seien alle aus dem selben Holz. «Kein Paar wird gegenüber anderen hervorgehoben oder herabgesetzt», erklärte Jung. Die Figuren seien stereotyp und nicht herabwürdigend. Alle seien als «fremde» Exoten dargestellt. Die Figurenpaare vermittelten mit der Ebenbürtigkeit von Mann und Frau zudem ein emanzipatorisches Geschlechterbild.
Das Grundkonzept der «Völkergalerie» sei allerdings vom Verständnis der Zeit geprägt, das Menschen nach «Rassen» eingeteilt und aufgrund äusserlicher Merkmale kategorisiert habe, heisst es im Bericht.
Das vorliegende Gutachten regt einen «bewussten Umgang» mit diesen Figuren an und gibt Empfehlungen ab. Klar ist für den Gutachter: Die Entfernung der Figurenköpfe würde das Gesamtkunstwerk des Aula-Raumes zerstören. Ihre Überführung in ein Museum sei aus denkmalpflegerischer Sicht ein No-go und aus kulturpolitischen Gründen abzulehnen.
Jung empfiehlt, die Figurenköpfe «als wichtiges Zeitdokument» an Ort und Stelle zu belassen und auch keinesfalls abzudecken. Dies komme auch nicht in Frage, betonte Schulvorsteher Filippo Leutenegger (FDP), der an der Präsentation des Gutachtens anwesend war.
Apropos abdecken: Das Bundesgericht hatte Ende Juli entschieden, dass die Stadt Zürich die beiden historischen Inschriften «Zum Mohrenkopf» und «Zum Mohrentanz» in der Zürcher Altstadt wie geplant abdecken kann. Das Bundesgericht trat auf eine Beschwerde des Zürcher Heimatschutzes (ZVH) nicht ein.
Zurück zu den geschnitzten Figurenköpfen: Das Gutachten schlägt weiter vor, dass unter anderem eine Informationstafel sowie QR-Codes mit Ausführungen zur Aula und zu den Figurenköpfen «gut sichtbar und gut lesbar» an einer geeigneten Stelle vor der Aula platziert werden soll.
Die Stadt folge diesen Empfehlungen und prüfe deren Umsetzungsmöglichkeiten, schreibt sie in einer Medienmitteilung. Das Schulhaus Hirschengraben solle als öffentlicher Erinnerungs- und Bildungsort erhalten und weiterentwickelt werden. (sda)
Eine Infotafel um den Kontext herzustellen, finde ich aber gut (wie immer in solchen Fällen).