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«Nicht tolerierbar!» Die unendliche Geschichte der Gammelhäuser geht in die nächste Runde

Severin Pflüger (FDP), Mauro Tuena (SVP) und Markus Hungerbühler (CVP) präsentieren den Rekurs gegen den Kauf der Gammelhäuser durch die Stadt Zürich.
Severin Pflüger (FDP), Mauro Tuena (SVP) und Markus Hungerbühler (CVP) präsentieren den Rekurs gegen den Kauf der Gammelhäuser durch die Stadt Zürich.Bild: KEYSTONE

«Nicht tolerierbar!» Die unendliche Geschichte der Gammelhäuser geht in die nächste Runde

Die Stadt Zürich erwirbt die Gammelhäuser im Kreis 4 für insgesamt 32.25 Millionen Franken – ohne Mitsprache des Parlaments. Die bürgerlichen Parteien sehen darin einen Affront gegenüber dem Stimmvolk und reichen Rekurs ein. Die Linken sehen einen Affront darin, dass die Rechten einen Affront sehen. 
09.02.2017, 15:5610.02.2017, 17:26
William Stern
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Wer dachte, dass sich das Thema der Zürcher «Gammelhäuser» mit ihrer Schliessung und Verbarrikadierung Mitte Januar erledigt hat, sieht sich getäuscht. Nach der Ankündigung der Stadt vergangene Woche, die zuletzt vor allem von Drogensüchtigen frequentierten Liegenschaften an der Neufrankengasse und an der Magnusstrasse zu erwerben, ging der bürgerliche Block Anfang dieser Woche auf die Barrikaden.

An einer kurzfristig anberaumten Medienkonferenz in den altehrwürdigen Räumen der Zunft zur Zimmerleuten legte der vereinte bürgerliche Block (SVP, FDP und CVP) in launiger Art und Weise dar, wieso der Kauf der Gammelhäuser mittels dringlichem Beschluss (O-Ton «Überraschungs-Coup») «nicht tolerierbar» sei.

Die juristische Begründung überliess SVP-Zürich-Präsident Mauro Tuena dem Mitstreiter und Anwalt Severin Pflüger (Präsident FDP Zürich), der sich Mühe gab, der versammelten Journalistenschar (ein gutes Drittel im Nebenerwerb Politiker) die wichtigsten Punkte des bürgerlichen Gegenputschs zu präsentieren:

  • An erster und wichtigster Stelle: Ein dringlicher Beschluss setze – nomen est omen – tatsächliche Dringlichkeit voraus. Diese sei aber nicht gegeben, die Stadt habe sich mit dem übereilten Kauf vielmehr dem Ultimatum des Noch-Besitzers Peter S. gebeugt. (Peter S., gegen den ein Verfahren wegen Mietwucher läuft, möchte gerne vor den Sportferien den Vertrag unter Dach und Fach bringen).
  • Der Kaufpreis von 32.25 Millionen Franken sei «völlig überzogen» und entspreche in keiner Art und Weise der Marktsituation. Dafür wurde eine Berechnung des Hauseigentümerverbands (HEV) herangezogen, der davon ausgeht, dass der Marktpreis der drei Liegenschaften um bis zu 25 Prozent tiefer liegt. 
  • Der – links dominierte – Stadtrat mache es sich langsam aber sicher zur Gewohnheit, Land- und Immobilienbeschaffungen per dringlichen Beschluss zu tätigen, um somit die Gemeindeordnung ausser Kraft zu setzen – ein «demokratiepolitisch höchst bedenklicher» Vorgang (wer sich nicht in die Niederungen der Gemeindeordnung begeben möchte, denke der Einfachheit halber an die Trump-Dekrete). 

Dankbarerweise wurden die wichtigsten Punkte anschliessend in einer als «wichtig» bezeichneten Medienmitteilung festgehalten: Titel «Das Aushebeln demokratischer Prozesse durch den Zürcher Stadtrat ist nicht tolerierbar».

Wieso sich die SVP-Sonne angesichts der ganzen Wichtigkeit mit einem Platz unter dem Strich begnügen muss, darüber kann nur spekuliert werden.
Wieso sich die SVP-Sonne angesichts der ganzen Wichtigkeit mit einem Platz unter dem Strich begnügen muss, darüber kann nur spekuliert werden.bild: screenshot

Allerhand spekuliert wird auch um die Kaufsumme der drei Liegenschaften. Ist sie zu hoch? Zu tief? Genau richtig? Während der HEV also von einem überrissenen Preis spricht und den «überhasteten Kauf» harsch kritisiert, ist der Stadtrat überzeugt, dass man marktkonform bezahlt hat (Man stützt sich hierbei auf die Schätzung des Immobilienunternehmens Wüst Partner). «Schweiz Aktuell» bot Anfang Woche einen «unabhängigen Immobilienexperten» auf, der den Kaufpreis für marktüblich hält und auch André Mathis von Kuoni Müller & Partner hält den Preis zumindest für «nicht marktfremd». 

Der Marktpreis ist allerdings, das darf vermutet werden, nicht der springende Punkt. Auch, dass Besitzer Peter S., der mit seinen verlotterten Liegenschaften der Stadt seit Jahren das Geld aus der Tasche gezogen hat (die Stadt unterstützte die Mieter der Liegenschaften mit Sozialleistungen) jetzt noch mehr «Reibach» macht und ganz nebenbei die Stadt vor sich her treibt (Sportferien, es eilt!) ist wohl einigermassen vernachlässigbar.

Zürich

Es geht – wie so oft in letzter Zeit, wenn's politisch wird – um den Volkswillen, beziehungsweise um die Vernachlässigung desselben. Auf rechter Seite tönt das so: «Das Aushebeln demokratischer Prozesse durch den Zürcher Stadtrad ist nicht tolerierbar.»

Und von links hallt es: «Rechte Parteien torpedieren den Volksentscheid» (Titel Medienmitteilung): «Wann, wenn nicht jetzt», ruft es uns schwarz gefettet und fürchterlich bedeutungsschwanger im ersten Abschnitt entgegen, «sollte diese Dringlichkeitsbestimmung zur Anwendung kommen?»

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Florian Utz, Vizepräsident der Stadtzürcher SP präzisiert: Das Verhalten von Seiten der SVP sei demokratiepolitisch höchst fragwürdig, schliesslich habe das Stimmvolk Ja gesagt zu mehr bezahlbarem Wohnraum. Der Kauf der drei Wohnungen sei nichts anderes als die konsequente Umsetzung dieses Begehrens. 

Rechtsbürgerlich beruft sich auf die Gewaltentrennung, linksgrün auf den Volkswillen – und irgendwo dazwischen befinden sich die Gammelhäuser. In die Zange genommen von rechten Torpedos und linken Hebelkräften.

Über den Rekurs der Bürgerlichen hat nun der Bezirksrat zu entscheiden. Severin Pflüger gibt sich nicht nur zuversichtlich, sondern «sehr zuversichtlich»: «Der Bezirksrat wird in unserem Sinne entscheiden.» Florian Utz sagt, das Begehren von SVP & Co. sei chancenlos. Andreas Kirstein, Chef der Gemeinderatsfraktion der Alternativen Liste (AL), sieht eine «interessante juristische Auseinandersetzung» auf Zürich zukommen. 

Interessant ist die juristische Auseinandersetzung jetzt schon – und nicht frei von Fallstricken, wie die Bürgerlichen am Mittwochabend feststellen mussten. Die superprovisorische Eintragungssperre am Grundbuchamt, die sie mit dem Rekurs erwirken wollten, ist hinfällig – aus dem einfachen Grund, dass «der Kauf schon seit letztem Freitag besiegelt ist», wie Mediensprecher Patrick Pons gegenüber watson bestätigt.  

Ein Blick in die Zürcher «Gammelhäuser» 

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Razzia wegen Mietwucher
In den drei Mietshäusern an der Neufrankengasse und der Magnusstrasse deckten die Behörden am 20. Oktober 2015 zum Teil desolate Zustände auf. (Bild: watson/Roman Rey)
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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Spi
09.02.2017 16:35registriert März 2015
Ich bin RPK-Mitglied einer Zürcher Gemeinde und mir stehen die Haare zu Berge. Art. 41 der Gemeindeordnung der Stadt Zürich regelt die Finanzkompetenzen. Diese besagt klar, dass Ankäufe von Liegenschaften nur bis 2 Mio. einfach so getätigt werden dürfen. Das Argument "Kaufgeschäfte, die keinen Aufschub dulden" gilt meines Erachtens hier klar nicht. Nur weil der Verkäufer gerne asap verkaufen will, gilt keine Dringlichkeit.
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DocM
09.02.2017 16:48registriert August 2016
Über Jahre hinweg hat die Stadt die Wohnungen finanziert und der Eigentümer liess sie vergammeln. Nun nimmt die Stadt wieder (viel) Geld in die Hand, um die Gebäude zu sanieren...

Der einzig korrekte Ansatz wäre für mich
1. Auftrag an Eigentümer die Wohnungen binnen x Monaten sozial verträglcih zu renovieren.
2. Wenn nicht: Enteignung, da öffentliche Sicherheit gefährdert ist
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Paraflüger
09.02.2017 17:41registriert Januar 2015
Ein bedenkliches Vorgehen.
1.Punkt: Sich vom privaten Verkäufer eine Deadline setzen zu lassen.
2. Punkt: Eine Schätzung von nur einem Immobilienhändler (evtl sogar ins Geschäft verwickelt?)
3. Punkt: Weshalb duldet das Geschäft keinen Aufschub?
Dies sind alles Punkte, welche die Korruption unterstützen.
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