Kevin Rauch kandidiert als Gemeinderat – als erste Person mit kognitiver Beeinträchtigung
Kevin Rauch kandidiert für die SP im Zürcher Kreis 9 als Gemeinderat. Doch selbstverständlich sei diese Kandidatur nicht. Denn Rauch hat eine angeborene kognitive Beeinträchtigung.
Rauch hat Mühe mit langen Sätzen und komplizierten Wörtern. Davon lässt er sich jedoch nicht unterkriegen, wie er im Interview mit dem «Tages Anzeiger» erzählt.
Er sagt, er wolle, dass sich die Situation für Menschen mit Beeinträchtigung in der Schweiz verbessere. Deshalb kann er nicht einfach warten, sondern müsse selbst handeln.
In der Schweiz gilt seit 2014 die UN-Behindertenrechtskonvention, diese verlangt die volle Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung. Seit dieser Einführung sei die Inklusion auch besser geworden, sagt Rauch.
Dennoch müssten sich beeinträchtigte Personen, zum Beispiel im Kanton Zürich, immer noch stark dafür einsetzen, Hilfe zu erhalten. Als Beispiel nennt Rauch im Interview das Selbstbestimmungsgesetz des Kantons. Dieses besagt, dass Menschen mit Beeinträchtigung, die selbstständig leben möchten, den Anspruch auf finanzielle Unterstützung für eine Begleitung und Betreuung im Alltag haben.
Dafür müssen sie ein kompliziertes, mehrseitiges Formular ausfüllen. Dies könne Rauch aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht selbstständig.
Auf solche Hürden würden Menschen mit Behinderung immer wieder stossen, sagt Rauch weiter. Er ist überzeugt davon, dass Betroffene ihre Sicht auf solche Hindernisse öfter einbringen müssen, um diese zu vereinfachen oder zu ändern.
Der Weg in die Politik
Politik habe Rauch schon als Junge interessiert. Sich selbst zu engagieren, schien aufgrund seiner Beeinträchtigung jedoch unrealistisch. Dies änderte sich durch die Inklusionsaktivistin Lea Sandoz-Mey. Diese schrieb damals ihre Bachelorarbeit zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung in politischen Parteien.
Die zentrale Frage darin: Wie kann man Menschen mit Beeinträchtigung den Einstieg in die Politik erleichtern?
Dabei ging es Sandoz-Mey auch um den Abbau von Vorurteilen sowie Barrieren und die praktische Unterstützung. Eine der Massnahmen sind sogenannte Tandems. Somit würden sich zwei Personen gegenseitig in der Politik unterstützen.
Sandoz-Mey und Kevin Rauch gründeten ein Tandem und suchten gemeinsam eine passende Partei. Seit Januar 2024 ist Rauch im Vorstand und Inklusionsbeauftragter der SP Kreis 9. Sandoz-Mey ist seine Wahlkampfleiterin.
Für Petra Röthlisberger, Co-Präsidentin der SP im Kreis 9, ist es keine Frage, dass Rauch für das Amt qualifiziert ist. Er sei zuverlässig, engagiert und ein guter Redner, wie sie gegenüber der Zeitung sagt.
Weiter sagt Röthlisberger, es sei wichtig, dass das Parlament die Gesellschaft möglichst gut repräsentiert.
Mit einem Blick in die Zukunft sagt Rauch, dass er wahrscheinlich einen intensiveren Wahlkampf führen müsse als andere. Angst vor bösen Bemerkungen habe er keine, er sei überzeugt, dass die Zeit für seine Kandidatur reif ist. Gerade aus dem Grund, weil sich in der Inklusionspolitik viel tue. Gerade in der Politik sei die Sprache oft kompliziert, Rauch hofft darauf, dass die Leute ihn mögen, weil er einfach spricht und formuliert.
Die Gemeinderatswahlen stehen in der Stadt Zürich und somit auch im Kreis 9 im März 2026 an.
Politiker mit Beeinträchtigungen
Neben Kevin Rauch gibt es in der Schweiz bereits Politiker mit Beeinträchtigungen:
- Thurgauer-Mitte-Nationalrat Christian Lohr kam infolge einer Conterganschädigung (eine Häufung von Fehlbildungen) ohne Arme und mit missgebildeten Beinen zur Welt.
- Zürcher-Mitte-Nationalrat Philipp Kutter lebt seit einem Skiunfall mit einer Tetraplegie.
- Zürcher-SP-Nationalrat Islam Alijaj hat eine Cerebralparese. Aufgrund dieser ist er auf einen Rollstuhl angewiesen und hat Beeinträchtigung der Sprachsteuerung.
Rauch wäre der erste Schweizer Politiker mit einer kognitiven Beeinträchtigung.
(nib)
