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Beschuldigte fordern Freisprüche in Entführungsfall eines 81-Jährigen

Beschuldigte fordern Freisprüche in Entführungsfall eines 81-Jährigen

02.09.2025, 13:1502.09.2025, 15:36
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Zwei Männer sollen einen betagten Mann im Kanton Zürich zunächst tagelang in seiner Wohnung eingesperrt und ihn später auf die Insel Elba entführt und dort sich selbst überlassen haben. Vor dem Gericht in Dietikon ZH schwiegen die Beschuldigten zu den Vorwürfen.

«Ich bin unschuldig», sagte einer der beiden Beschuldigten am Dienstag an der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Dietikon ZH. Ansonsten verweigerten der 34-jährige Deutsche, der von Beruf «Sandwich-Artist» ist, und der 31-jährige Schweizer, sein Mitbeschuldigter, jegliche Aussage. Dafür hatten ihre Anwälte sowie die Staatsanwältin viel zu sagen.

«Ich wähnte mich in einem schlechten Film», sagte die Staatsanwältin mit Blick auf das, was vorgefallen sein soll. «Beim Lesen der Anklage habe ich eher an einen schlechten Scherz geglaubt», gab der Verteidiger des 34-Jährigen zurück.

Wäre es tatsächlich das Drehbuch für einen schlechten Film, dann wäre die Eröffnungsszene das erste Zusammentreffen zwischen einer Sadomaso-Domina aus dem Zürcher Milieu und dem ihr hörigen 81-jährigen Senior aus der Zürcher Agglomeration mit den beiden nicht einmal halb so alten, schweigsamen Beschuldigten.

Mitleid oder perfider Plan?

Laut Anklage sollen die beiden Männer in den Tagen nach dem Zusammentreffen im August des vergangenen Jahres viel Zeit in der Wohnung des mutmasslichen Opfers verbracht haben. Sie sollen ihn eingesperrt haben und sich an ihm bereichern wollen.

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Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, einen 81-Jährigen schikaniert zu haben. (Symbolbild)Bild: KEYSTONE

Die Verteidiger machten geltend, die beiden Männer hätten Mitleid mit dem Senior gehabt, da die bei ihm wohnende Domina ihn «schlecht behandelt, beleidigt und manchmal sogar geschlagen» habe. Sie hätten ihm nur helfen wollen.

«Er schreit herum», soll der Schweizer seinem Komplizen in einem Chat geschrieben haben, während der betagte Mann in seiner Wohnung festgehalten wurde. «Du musst ihn ruhigstellen, stopf ihm halt eine Socke in den Mund», war die Antwort. Man werde es ihm schon noch zeigen.

Dieses «schon noch zeigen» soll sich tags darauf während eines - für den Senior unfreiwilligen - Ausflugs von Zürich nach Mailand abgespielt haben. Laut Anklage wurde der 81-Jährige dort schikaniert. Einer der beiden mutmasslichen Täter stellte ihm mehrfach das Bein, sodass er hinfiel. Zudem hätten sie ihm befohlen, mit Socken und Schuhen in einen Springbrunnen zu stehen. Im Morgengrauen ging es durch den Gotthard zurück in die zum Gefängnis gewordene Wohnung in der Zürcher Agglomeration.

Entführung nach Elba

Damit näherte sich das Drehbuch für den «schlechten Film» seinem Finale: die Entführung ins Feriendomizil des Seniors auf der italienischen Insel Elba. Dort liessen die beiden ihn einfach zurück, obwohl er sich wegen einer früheren Rückenverletzung kaum bewegen konnte, keine Medikamente und nichts zu essen dabei hatte. Erst nach knapp zwei Wochen wurde er von einem Bekannten gefunden, der nach ihm gesucht hatte. Einige Tage später wurden die beiden Beschuldigten verhaftet und sitzen seither im Gefängnis.

Die Staatsanwältin wertet die Geschehnisse als qualifizierte Freiheitsberaubung, Entführung, Nötigung, Betrug und Diebstahl. So soll einer der Beschuldigten über 1000 Franken vom Konto des Seniors abgehoben haben. Zudem soll ihm ein Smartphone gestohlen worden sein. Im Auto eines der Beschuldigten wurden E-Banking-Unterlagen des Opfers gefunden - der andere versuchte derweil im Internet herauszufinden, wie er sich das Ferienhaus auf Elba übertragen lassen könnte.

Der 31-jährige Schweizer soll zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt werden, der 34-jährige Deutsche zu vier Jahren und fünf Monaten. Zusätzlich soll letzterer die Schweiz für acht Jahre verlassen müssen.

Glaubwürdigkeit des Opfers angezweifelt

Die Verteidiger sahen die Sache ganz anders. Die Vorwürfe basierten fast ausschliesslich auf den Aussagen des betagten Mannes, der von der Vertedigung jedoch als nicht glaubwürdig eingestuft wurde. Er bewege sich regelmässig im Zürcher Milieu, habe Schulden und neige dazu, Dinge zu erfinden oder zu dramatisieren. Mit seiner ausserordentlich hohen Genugtuungsforderung von 60'000 Franken wolle er wohl seine Schulden begleichen. Die beiden Männer müssten deshalb freigesprochen werden.

Ob sich das Gericht für die Version «schlechter Film» oder «schlechter Scherz» entscheidet, wird es an der Urteilseröffnung am 11. September bekannt geben.

Schon jetzt steht fest, dass die Geschichte noch auf andere Weise eine Fortsetzung finden wird. Die angebliche Sadomaso-Domina von der Zürcher Langstrasse muss sich ebenfalls bald vor Gericht verantworten - unter anderem, weil sie den beiden Beschuldigten in diesem Fall fälschlicherweise Vergewaltigung vorwarf. (sda)

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