Am 12. Februar wird in zwei Kantonen gewählt: Baselland und Zürich. Zum Leidwesen der Baselbieter dürfte die Aufmerksamkeit am übernächsten Sonntag ziemlich einseitig verteilt sein. (Fast) alle Augen werden sich auf Zürich richten. Die Sympathien für die Zürcher halten sich in der Restschweiz in Grenzen, dennoch führt an ihrem Kanton kein Weg vorbei.
Zürich hat die grösste Einwohnerzahl (rund 1,5 Millionen) und ist der wirtschaftlich stärkste Kanton der Schweiz. Er ist bei der Besiedelung ein ziemlich gutes Abbild des gesamten Landes. Das Spektrum reicht von zwei grossen Städten bis zu «halben» Bergdörfern. In Zürich befinden sich der wichtigste Flughafen und zwei führende Hochschulen der Schweiz.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die kantonalen Wahlen in Zürich als guter Indikator gelten für die nationalen Wahlen, die jeweils im Oktober des gleichen Jahres stattfinden. Wie Zürich wählt, so wählt tendenziell das ganze Land. Auch deswegen werden die Resultate in den Medien und Parteizentralen jeweils stark beachtet und gründlich analysiert.
Zur Regierungsratswahl treten alle sieben Bisherigen wieder an. Das sorgt teilweise für Stirnrunzeln, denn vier von ihnen sind im Pensionsalter oder erreichen es dieses Jahr. Hinzu kommt ein Kuriosum: Ein «Parteiloser» dürfte das beste Resultat erzielen und allen die Schau stehlen. Eine Einschätzung der Wahlchancen für Regierung und Kantonsrat:
Mario Fehr ist ein Phänomen. Seit seinem Austritt aus der SP, mit der er sich seit Jahren im Clinch befand, ist er ein politischer Einzelkämpfer, wenn auch gut vernetzt und mit einem prominent besetzten Wiederwahlkomitee. In den Wahlumfragen von NZZ und Tamedia liegt der 64-jährige Sicherheitsdirektor an der Spitze. Dort dürfte er auch am Wahltag stehen.
Hinter ihm reihen sich die beiden SVP-Vertreter Natalie Rickli und Ernst Stocker ein. Der 67-jährige Finanzdirektor wollte eigentlich aufhören und wurde von der Partei regelrecht zum Weitermachen bekniet, was einiges aussagt über die einst gefürchtete Zürcher SVP. Gesundheitsdirektorin Rickli wirkte zu Beginn der Coronapandemie überfordert, steigerte sich jedoch und dürfte ein Spitzenergebnis erzielen.
Schon auf dem vierten Platz in beiden Wahlumfragen folgt der grüne Baudirektor Martin Neukom, der vor vier Jahren eher überraschend gewählt wurde, sich in seinem Amt aber profilieren konnte. Hinter ihm liegt SP-Justizdirektorin Jacqueline Fehr, die 2019 das zweitbeste Resultat gemacht hatte, seither aber wiederholt in die Kritik geraten ist.
Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh belegt den letzten verbliebenen Sitz des ehemals fast übermächtigen Zürcher Freisinns im Regierungsrat. Sie dürfte die Wiederwahl schaffen, während Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) zumindest bei Tamedia «akut gefährdet» ist. Ihre Partei ist auch nach der Fusion von CVP und BDP eine kleine Nummer.
Steiner hat sich während der Coronapandemie bei vielen Eltern unbeliebt gemacht. Den einen gingen ihre Massnahmen an den Schulen zu weit, anderen zu wenig weit. Und die in Zürich lange fast undenkbare Abwahl von Regierungsmitgliedern ist kein Tabu mehr (siehe Hans Hollenstein 2011 und Martin Graf 2015). Dennoch hat sie intakte Wiederwahlchancen.
Die besten Chancen unter den «Neuen» hat Nationalrätin Priska Seiler Graf. Sie soll für die SP den durch Mario Fehrs Parteiaustritt verlorenen zweiten Sitz zurückholen. Bei Tamedia liegt sie gleichauf mit Silvia Steiner, in der NZZ-Umfrage vom Dezember mit Abstand hinter ihr. Im Wahlkampf zielt die diplomierte Lehrerin bewusst auf die Bildungsdirektion.
Mit Peter Grünenfelder, dem Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse, soll ein «Quereinsteiger» der FDP wieder zu einem zweiten Sitz verhelfen. Er ist im Wahlkampf fast omnipräsent, doch mit seinem (neo-)liberalen 10-Punkte-Programm riskiert er, zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Seine Umfragewerte sind durchzogen, seine Wahlchancen überschaubar.
Wenig Chancen hat auch GLP-Kandidat Benno Scherrer, obwohl seine Partei im Hoch ist. Er gehört nicht zu den «Schwergewichten» seiner Partei und hat bei den umstrittenen Plänen für Pistenverlängerungen auf dem Flughafen Zürich ins Lager der Befürworter gewechselt. Damit dürfte er grün angehauchte Wähler irritiert und seine Chancen limtiert haben.
Chancenlos sind weitere Bewerberinnen und Bewerber, darunter Anne-Claude Hensch (AL) und Daniel Sommer (EVP). Das gilt auch für Hans-Peter Amrein, eine schillernde Figur der Zürcher Politik. Er ist aus der SVP ausgetreten und kandidiert wie Mario Fehr als Parteiloser. Doch selbst sein aufwändiger und teurer Wahlkampf wird ihm kaum helfen.
Im Hinblick auf den nationalen Wahlherbst interessiert das Ergebnis der Kantonsratswahl. Vor vier Jahren waren Grüne und Grünliberale die grossen Sieger. Sie nahmen die «grüne Welle» im Oktober vorweg. Nicht ganz ins Bild passte das Ergebnis der SP. Sie war im Kanton mit einem blauen Auge davongekommen und erlebte im Herbst einen Absturz.
2015 kam es in Zürich wie Monate später auf nationaler Ebene zu einem Rechtsrutsch. Mit einem Unterschied: Bei der Kantonsratswahl siegte die FDP, national hingegen die SVP. Sie profitierte von der europäischen Migrationskrise im Spätsommer. Innerhalb des Parteienspektrums kann es also durchaus zu Verschiebungen kommen.
Was bedeutet das für 2023? Grosse Verschiebungen dürfte es gemäss den Umfragen von NZZ und Tamedia nicht geben. Die Grünliberalen könnten um rund 1,5 Prozent zulegen, die SP verliert etwa gleich viel. Bei Tamedia droht den Grünen ein ähnlich hoher Verlust, was die seit 2019 bestehende knappe Mehrheit der Klima-Allianz gefährden könnte.