Der erste Drummer der Beatles war nicht Ringo Starr, sondern Pete Best. Er begreift bis heute nicht, weshalb er ausgetauscht wurde, schliesslich galt er damals als bester Schlagzeuger in ganz Liverpool. Umgekehrt verstanden die Mitglieder von Rory Storm & the Hurricanes seinerzeit nicht, weshalb ihr Drummer zu den Beatles wechselte. Die beiden Bands traten zu Beginn der Sechzigerjahre gleichzeitig auf der Reeperbahn in Hamburg auf, doch die Hurricanes waren damals die Stars, nicht die Beatles.
Die Kontroverse um Ringo und die Beatles ist seit Jahrzehnten ein konstanter Diskussionspunkt innerhalb der Rock-Gemeinde, und zusammen mit der Frage, wer nun die beste Rockband sei, die Beatles oder die Rolling Stones, wohl die, über die am meisten gestritten wird.
Für die einen ist Ringo zwar ein lustiger Kumpel und ein guter Typ, doch bestenfalls ein durchschnittlicher Drummer. Gerne verweisen sie dabei auf ein Fake-Zitat, das John Lennon zugeschrieben wird. Dieser soll gesagt haben, Ringo sei nicht der beste Schlagzeuger, ja nicht einmal der beste der Beatles.
Tatsächlich hat Multitalent Paul McCartney auf ein paar Tracks der Beatles getrommelt, etwa auf «Dear Prudence», einem Song auf dem «White Album». Ringo war während der Aufnahmen zu diesem Album so sauer auf Paul, dass er für ein paar Tage in die Ferien verreiste. Er soll jedoch den Track nach seiner Rückkehr nachgebessert haben.
Anyway. John konnte zwar sehr giftig sein, doch er hat sich niemals in dieser Art und Weise über Ringo geäussert. Dazu war er viel zu intelligent. Und Paul selbst stellte kürzlich auch in der «New York Times» ein für alle Mal klar: «Obwohl ich mit vielen anderen Drummern gespielt habe, ist Ringo der beste. Er hat ein gewisses Gefühl, das andere Schlagzeuger nur sehr schwer einfangen können.»
An diesem ganz speziellen Gefühl ist Ringos Werdegang schuld. Geboren als Richard Starkey in einfachsten Verhältnissen in Liverpool, erkrankte er schon als Sechsjähriger so schwer, dass er mehr als ein Jahr im Krankenhaus verbringen musste. Als 13-Jähriger musste er sich zwei Jahre lang von einer Tuberkulose in einem Heim erholen. Um dabei die Langeweile zu vertreiben, trommelte er auf allem herum, was ihm in die Hände kam. «Es war wie verrückt», erzählt Ringo. «Von diesem Moment wollte ich nur noch eines werden, Schlagzeuger.»
Diesen Traum ermöglichte ihm sein Stiefvater – sein leiblicher Vater verliess die Familie, als Ringo drei Jahre alt war –, der ihm ein richtiges Schlagzeug kaufte. Nur konnte er dieses nicht so ganz richtig bedienen, und dies aus einem ganz bestimmten Grund: Ringo ist ein Linkshänder, der jedoch zu einem Rechtshänder umfunktioniert wurde, etwas, das in seiner Zeit durchaus üblich war. Deshalb spielt er als Linkshänder mit einem Rechtshänder-Kit und kann deshalb die für Rock-Drummer so typische Abfolge über die Tom-Toms gar nicht spielen.
Umgekehrt jedoch haben seine Schläge einen ganz gewissen Swing, weil sie für einen Bruchteil einer Sekunde verzögert sind. Max Weinberg, ein ehemaliger Drummer von Bruce Springsteens E-Street Band und guter Freund von Ringo, beschreibt den Effekt wie folgt: «Es ist unmöglich, wie Ringo bei den Beatles zu spielen. Es ist, wie wenn man versuchen würde, wie Frank Sinatra zu singen – man kommt nahe dran, aber die typischen Phrasierungen kriegt man nicht hin.»
Zwischenbemerkung: Gerade die minimen «Fehler» machen geniale Künstler einzigartig. Deshalb ist auch das Auto-Tuning ein Verbrechen.
Technische Brillanz war nie Ringos Ding. Er macht auch kein Geheimnis daraus, dass er nicht der Typ ist, der stundenlang im Kämmerlein für sich übt. Er ist ein Band-Typ, und er hat stets mit anderen Jungs gespielt. Deshalb hat er auch kein grosses Vorbild. «Ich schaue nie auf den Drummer, ich schaue auf die Band», sagt er.
Anders als etwa bei Star-Drummern wie Ginger Baker oder Jon Hiseman gibt es von Ringo auch keine spektakulären, unendlich langen (und unendlich langweiligen) Drum-Solos. Einzig vor «The End» auf «Abbey Road», dem letzten Stück des letzten Albums der Beatles, gibt es eine ganz kurze Passage, die man als Solo bezeichnen könnte.
Der amerikanische Rocksänger T Bone Burnett sagt denn auch: «Ringo ist ein Kunst-Drummer. Er hört, was ein Song sagen will. Alle grossen Musiker spielen eine Geschichte. Ringo spielt mit den Worten.»
Ringo hat mit seiner Empathie erreicht, was sonst kaum einem Drummer gelingt: Es gibt Beatles-Songs, die man allein am Schlagzeug erkennt, beispielsweise das Intro zu «Come Together» oder «Ticket to Ride». Und weil die anderen drei Beatles gewusst haben, was sie an ihm haben, haben sie das Schlagzeug bei ihren Auftritten stets auf ein kleines Podium gestellt und Ringo damit sichtbar gemacht.
Ringo war der ideale Drummer für die Beatles. Andere hätten die Songs von John, Paul und George möglicherweise zu Tode getrommelt. Hatte er auch Schwächen? Nun, seine Qualitäten als Songschreiber sind überschaubar. Es gibt gar Zyniker, die spotten, die Beatles hätten «Abbey Road» nur gemacht, um sich für Ringos «Octopus’s Garden» zu entschuldigen. Ringo selbst gibt offen zu, dass sich John und Paul am Boden vor Lachen krümmten, als er seinen ersten selbst geschriebenen Song vorstellte.
Ringo ist eine Frohnatur, er kann lachen, auch über sich selbst. Oft wird er deshalb auch als Clown missverstanden, auch deshalb, weil er auch heute noch die ewig gleiche Botschaft «peace and love» vor sich herträgt. Doch für ihn stimmt sie. «Es gab eine solche Bewegung zu Beginn unserer Zeit», sagt er, «und für mich gilt sie immer noch.»
Der Begriff «Emergenz» bezeichnet das spontane Entstehen einer höheren Seinsstufe in der Philosophie. Für die Musik waren die Beatles eine solche Emergenz – und Ringo Starr war ein tragendes Element davon.
In diesem Sinn vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel!
(Und natürlich waren die Beatles die weit bessere Band als die Rolling Stones, was für eine Frage!)