Bei vielen Brettspielen sind die Themen völlig austauschbar. Ob im alten Rom, im Mittelalter oder auf dem Uranus Ressourcen gehandelt und Gebäude gebaut werden, ist oft ziemlich egal. Das Spannende sind die Abläufe und Mechaniken.
Es gibt aber auch Spiele, deren zentrales Element eine packende Story ist. Solche Spiele sind oft von Computerspiel-Systemen beeinflusst. Im Vordergrund steht das Geschichten-Erzählen. Das spielerische Element wird der guten Story untergeordnet. In den letzten Jahren sind immer mehr solche Geschichten-Spiele auf den Markt gekommen. Und weil eine gute Story nicht in fünf Minuten erzählt ist, handelt es sich meistens um längere Beschäftigungen.
Man sollte also etwas Zeit einpacken, wenn man sich Geschichten-Spielen widmet. Wir haben fünf Neuerscheinungen ausprobiert!
Kuala ist der Name eines fiktiven Archipels irgendwo im Ozean. Vier aufgeweckte Kinder suchen auf den Inseln im Team nach verborgenen Schätzen. Der flinke Felix ist schnell und wendig, die einfühlsame Eika kann mit Tieren sprechen, die schlaue Sophie ist Rätselkönigin und der muskulöse Max hat unfassbare Kraft.
Entlang einer mysteriösen Geschichte, die in Comic-Form erzählt wird, erkunden wir Gebiete, entdecken Geheimgänge, lösen Rätsel und sammeln Schätze ein. Das Spiel kommt in Form von Comic-Rätselbüchern daher. Auf den Bildern oder durch Entscheidungsmöglichkeiten in den Texten finden wir Nummern, die uns immer wieder zu anderen Bildern und Buchseiten springen lassen. Das Besondere an «Kuala»: Es gibt vier verschiedene Comic-Bücher, welche die Geschichte parallel aus jeweils einer anderen Perspektive erzählen. Dadurch können bis zu vier Spieler gemeinsam kooperativ auf Entdeckungsreise gehen. Jeder Mitspieler liest und blättert gleichzeitig in einem eigenen individuellen Exemplar, das auf seinen Charakter und dessen Fähigkeiten zugeschnitten ist. Jedes Buch hält so immer immer wieder Inhalte bereit, die nur für diesen einen Spieler sichtbar sind. Deshalb ist es wichtig, dass alle Inselforscher miteinander kommunizieren, was sie in ihren Büchern an einem Ort genau sehen. Alle entscheiden dann gemeinsam, was sie unternehmen wollen.
Kooperativ. Das Spiel enthält vier unterschiedliche 96-seitige Comic-Bücher; für jeden Charakter eines. Es gibt mehrere verschiedene Abenteuer, die man absolvieren kann. Dazu sind verschiedene Schwierigkeits-Level wählbar, die aber nur die Punktewertung dem Alter und Können anpassen. Der Inhalt der Geschichten und die Rätsel bleiben identisch.
Rätselfreudige Familien oder Teenager-Gruppen. «Kuala» ist storymässig eher auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten. Trotzdem sind manche Logik-Rätsel, die es enthält, ziemlich tough und für Siebenjährige sicher nicht lösbar. Auch unsere reinen Erwachsenenrunden waren zum Teil echt herausgefordert damit. Deshalb ist eine Gruppe, die sich aus Jüngeren und Älteren zusammensetzt, ideal.
Rätsel-Comic-Spiel von Shuky für 1 bis 4 Spieler ab 7 Jahren; ein Abenteuer: ca. 45 bis 90 Minuten. Verlag: Pegasus, ca. 40 Franken.
Vier Studenten versuchen die Geheimnisse einer Vulkaninsel zu ergründen, auf der ein Schmugglerring sein Unwesen treiben soll. Die Geschichte spielt 1989. Es wird gemunkelt, dass die Schmuggler in einer Schlucht, die allerdings durch einen Steinschlag verschüttet wurde, demnächst aktiv werden sollen. Die Studenten fahren mit ihrem VW Käfer zum Parkplatz am Schluchteingang, wo das Abenteuer beginnt. In dessen Verlauf werden in vier Kapiteln über gesamthaft fünf bis sieben Stunden zahlreiche Plätze der Insel erkundet.
Das Spiel funktioniert wie ein Point-and-Klick-Computerspiel auf dem PC, einfach in nicht-digitaler Form. Die Spieler untersuchen die verschiedenen Schauplätze, finden Gegenstände, können diese miteinander oder mit Objekten an Schauplätzen kombinieren. Nummern verweisen dann auf Textabschnitte, die in einem 90-seitigen Abenteuerbuch vorgelesen werden müssen und die Geschichte, die alle gemeinsam erleben, weiter voranbringen. Auch hier hat jeder Charakter noch eine eigene Spezialfähigkeit, die das Resultat von Herausforderungen verändert, je nachdem welcher Spieler sich ihr stellt. Auch die Story ist je nach den gewählten Entscheidungen variabel und kann in verschiedenen Spielgruppen verschiedene Ausgänge haben.
Kooperativ. «Die Vulkaninsel» ist nach «Das Verlies» und «Die Monochrome AG» der dritte Titel in der neuen Reihe «Adventure Games» von Kosmos. Für mich ist die Reihe das zur Zeit überzeugendste Spielkonzept in diesem Genre. In der Story hat es Humor, ein paar ziemlich originelle Gags und Eastereggs versteckt. Es gibt auch eine App, mit der man sich den Fortgang der Geschichte vorlesen lassen kann. Das Spiel ist sehr kompakt und enthält nur 20 Ortstafeln, 120 Karten, Spielfiguren und diverse Plättchen.
Alle, die mit kriminalistischem Spürsinn kooperativ ein unterhaltsames Abenteuer voller Rätsel und knackiger Entscheidungen erleben möchten.
Abenteuer-Spiel von Phil Walker-Harding, Matthew Dunstan und Chihiro Mori für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren; ca. 4 x 75 min; Verlag: Kosmos; ca. 20 Franken.
In Berlin fällt im Januar 1994 eine alte Dame über ein Balkongeländer des fünften Stockwerks eines Hotels in die Tiefe und stirbt. Das Letzte, was sie wahrnimmt, ist ein entsetzter Schrei von oben und die Lichter der Grossstadt, die sich mit den Sternen des Nachthimmels vermischen
Wir müssen versuchen, ein katastrophales Ereignis, über das wir zu Beginn nur wenige Informationen haben, ungeschehen zu machen, so dass es nie stattfinden wird. Dazu reisen wir mit Zeitsprüngen an verschiedene Orte der Vergangenheit in Deutschland und im alten Ägypten. Aus den dort gewonnenen Informationen entsteht ein puzzleartiges Mosaik zur Hintergrundgeschichte. Im Verlaufe der Partie können wir aber nicht alle verfügbaren Orte besuchen. Jeder der Zeitsprünge mündet in eine Entscheidung an die Spielgruppe. Die Summe der Entscheidungen bestimmt am Ende darüber, ob die alte Dame stirbt oder noch einmal davon kommt. Bei jedem Zeitsprung dürfen wir einen Kartentext zu einem Ereignis lesen und uns entscheiden, wie wir in das Geschehen eingreifen möchten. Die Entscheidung bringt Pluspunkte, Minuspunkte oder gar keine Punkte. Ein Gesamtscore bestimmt am Ende das Schicksal der alten Dame. In welcher Reihenfolge man die Karten abarbeitet und dadurch zusätzliche Hinweise bekommt, geschieht zwar rein zufällig, ist für die Lösung des Falls aber enorm wichtig.
Kooperativ. Es gibt bereits fünf verschiedene Fälle zu völlig unterschiedlichen Themen in der «Undo»-Reihe von Pegasus.
Krimi-Freunde, die einer seltsamen Geschichte näher auf den Grund gehen wollen. In meinen Spielgruppen waren die Meinungen zum Spielkonzept allerdings ziemlich geteilt. Auf eine Mehrzahl der Spielenden wirkten die Geschichten und Entscheidungsmöglichkeiten ziemlich beliebig. Es geht nicht um das Lösen von Rätseln, sondern darum, den Autoren ins Hirn zu springen und zu erahnen, wohin sie uns in ihrer Phantasie womöglich führen möchten. Einige Ergebnisse sind ziemlich plump, bei anderen kommt man mit Logik und gesundem Menschenverstand überhaupt nicht weiter und kratzt sich bei der Auflösung sogar ziemlich am Kopf. Ich persönlich bin nicht Zielgruppe. Die Zusammenhänge dünken mich ziemlich daher phantasiert. Die Qualität der Geschichten reisst mich nicht vom Hocker.
Rätselspiel von Michael Palm und Lukas Zach für 2 bis 6 Spieler ab 10 Jahren; ca. 45 bis 90 min; Verlag: Pegasus; ca. 15 Franken.
Nichts Geringeres als die Zukunft der Welt hängt von uns ab. Dr. Strobal liegt im Koma. Wir erkunden die verstrahlte Traumlandschaft von Dr. Strobals Unterbewusstsein und müssen uns mit den inneren Dämonen auseinandersetzen, die Dr. Strobal plagen. Ziel ist es, den «Obersten Inneren Dämon» zu finden und ihn zu besiegen.
Im Spiel gibt es ein 100-seitiges grossformatiges Abenteuerbuch, wir spielen auf Spielplänen, die sich auf den Seiten des Buchs befinden und besuchen mit unseren Spielfiguren Orte des Unterbewusstseins von Dr. Strobal. Mal ist es eine Westernstadt, mal eine Discothek, mal eine sonderbare Chilbi. Wir müssen gemeinsam Aufgaben lösen, welche die Story weiter voran bringen. Jeder Spieler hat einen Avatar mit Spezialfähigkeiten. Wer am Zug ist, muss Würfel aus einem Beutel ziehen. Danach können damit auf der Buchseite Aktionen ausgeführt werden: Bewegen, Kämpfen, Dinge suchen, mit Symbolen auf dem Spielplan anderweitig interagieren, Ausrüstung tauschen, andere Spieler in ihrer Aktion unterstützen etc. Jede Würfelfarbe hat eine bestimmte Fähigkeiten: Rote Würfel sind zum Beispiel gut für Nahkampfangriffe, grüne für Fernkampf und so weiter.
Kooperativ. «Komanauten» benutzt ein ähnliches Spielsystem wie das Vorgänger-Spiel «Der Herr der Träume». Es enthält ein sehr aufwändig gestaltetes Abenteuerbuch und eine Fülle von Spielmaterial mit 38 bunten Würfeln, vielen Figuren, Karten, Plättchen etc.
Ehrlich? Keine Ahnung. Das Spiel ist in allen unseren Testrunden leider komplett durchgefallen. Einzelne Gruppen scheiterten schon an den zum Teil recht wirren Spielregeln, andere hielten zwar mehrere Stunden lang durch, ohne dabei allerdings den Zweck und Sinn des Spiels zu ergründen. Die Story plätschert vor sich hin, ist letztlich zu konfus und zu abgefahren, um sich irgendwo an einem Identifikationspunkt festkrallen zu können. Man irrt durch die Traumwelten des Professors, macht mal dies, mal das und sucht nach einem roten Faden. Spannung kommt nicht auf, wichtige Entscheidungen werden durch die Würfel stark beeinflusst. Für ein Spiel mit derart komplexem Regelwerk wirkte es auf uns zu chaotisch und zu beliebig, ganz im Gegensatz zum wirklich tollen und poetischen Vorgänger «Der Herr der Träume».
Abenteuerspiel von Jerry Hawthorne für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren; pro Partie: eine bis mehrere Stunden; Verlag: Asmodee; ca. 80 Franken.
Wir sind als Team in einem gruseligen, alten Spukhaus eingesperrt und erkunden darin Raum um Raum. Durch eine böses Omen wird allerdings einer der Abenteurer plötzlich zum Verräter und will seine Gschpänli fortan vernichten.
Jeder Spieler führt einen Abenteurer mit den unterschiedlich ausgeprägten Eigenschaften Stärke, Tempo, Wissen und Verstand. Die Merkmale können sich durch Ereignisse während einer Partie verändern. Die Spieler beginnen als Team die zufällig ausgelegten Räume des Hauses zu erkunden und entdecken dabei allerlei merkwürdige Hinweise und Gegenstände. Man kann seinen Charakter bewegen, einen neuen Raum entdecken, Gegenstands- und Omenkarten verwenden. Irgendwann wird der Verräter unter den Spielern enttarnt und es beginnt eine neue Spielphase, die Spuk heisst. Die Spieler bekommen dann neue Aufgaben zugewiesen, wobei die Helden dem Verräter das Handwerk legen müssen und gegen allerlei Gesindel wie Zombies, Voodoopuppen oder Aliens ums Überleben kämpfen. Ziel des Verräters ist es meist, seine Ex-Kollegen zu vernichten. Es gibt 50 verschiedene Zufalls-Szenarien mit unterschiedlichen Spielzielen, die in zwei Spukbüchern ausführlich beschrieben sind, wobei die beiden Parteien die Missionen der Gegenseite jeweils nur teilweise kennen.
Sechs bemalte Spielfiguren aus Plastik und reichlich Material garantieren ein abendfüllendes Gruselerlebnis. «Betrayal at House on the Hill» erschien 2004 zum ersten Mal in den USA und gilt inzwischen als Klassiker des Genres. Das Spiel ist nun erstmals auf Deutsch erschienen, wobei es sich gleich um die Übersetzung der verbesserten zweiten Auflage handelt. Anders als bei der Neuauflage von «Mansion of Madness», wo eine elektronische App die Spieler zu blossen Statisten in einem mehrheitlich digitalen Spiel degradiert, bleibt hier der Charme des unmittelbaren Spielens am Brett erhalten.
Alle, die schon immer davon geträumt haben, sich in einem Spukhaus mit einem Verräter herumzuschlagen. Mit der deutschen Ausgabe des Standardspiels kann man sich auch über den Umstand hinwegtrösten, dass das daraus weiter entwickelte Spiel «Betrayal Legacy», weiterhin nur auf Englisch erhältlich ist. «Betrayal Legacy» packt die Spukhaus-Geschichte in eine längere fortlaufende Story, die auch das Spielmaterial laufend verändert.
Horrorspiel von Bruce Glassco für 3 bis 6 Spieler ab 12 Jahren; eine bis mehrere Stunden; Verlag: Asmodee/Hasbro/Wizards of the Coast; ca. 60 Franken.