Mit dem Weintrinken verhält es sich bei mir wie mit dem Fussballspielen: Eifer und Motivation sind gross, die Finesse eher nicht.
Ich kann einen guten von einem schlechten Wein unterscheiden, kann sagen, ob ich ihn mag oder nicht. Meine Weinbeschreibungen gehen aber selten über ein «Mmmmmmfein» oder ein «Wääk» hinaus. Ich bin auch keiner, der die Nase ins Glas taucht oder den Erstkontakt mit einem eleganten Minischlürfersüggelnjänjänjä honoriert.
Mit 12 Jahren musste ich mir eingestehen, dass ich nie beim FC Barcelona unterschreiben werde. Mit 40 Jahren ist klar: Ich bin kein Sommeliermaterial.
Anyway – so weit so gut. Doch die Probleme beginnen, wenn wir Gäste haben. Oder wir eine Flasche mitbringen.
Während ich im pubertären Weinalter stehengeblieben bin, haben sich viele meiner Freunde zu ausgewachsenen Experten entwickelt. So scheint mir jedenfalls. Sicher bin ich mir dabei nicht, denn mir fehlt die Kompetenz, den Kenner vom Scharlatan zu unterscheiden.
Nun stehe ich also vor dem Weinregal, unsicher ob des grossen Angebots. Die Vorfreude, bekanntlich die schönste Freude, ist total im Keller. Zu helfen wusste ich mir bisher nur mit Notlösungen:
So richtig wasserdicht ist keiner der Lösungsansätze. Am ehesten noch die Eng-Variante. Es sei denn, der Italiener entpuppt sich als Kroate.
Seit ein paar Monaten benutze ich nun aber die App «Vivino». Auch wenn sich sämtliche journalistische Instinkte dagegen wehren, kann ich nicht anders, als die App in den Himmel zu loben. Sie beschreibt mit Zahlen, was andere auf der Zunge fühlen, sie gibt mir Rankings, sie flüstert mir Kompetenz ein.
Die Idee dahinter ist einfach: Der Weintrinker fotografiert die Etikette und kriegt dafür Informationen und die Möglichkeit, den Wein mit 0 bis 5 Sternen zu bewerten. Das Tripadvisor-Prinzip. Und es funktioniert auch mit Weinen.
Mein Schlüsselerlebnis mit Vivino hatte ich, als ich von meinem Bruder zum Geburtstag eine Kiste Sessantanni Primitivo Di Manduria erhielt.
«Wääk» oder «Mmmmmmfein» werden diesem Wein nicht mehr gerecht. Dieser Wein spielt in einer anderen Liga und ich musste meinen Kategorienkatalog erweitern – mit «Uuuuuuuuuhuere guet».
Und tatsächlich. In der Liste der besten Weine zwischen 20 und 40 Franken belegt er in der App den ersten Platz. Ich fühle mich verstanden.
Nun mögen Weinromantiker einwenden, dass der edle Tropfen entsprechend der Speise ausgewählt werden sollte, dem Klima oder gar dem Ambiente.
Das mag sein. Es ist, wie wenn man dem Innenverteidiger gleich zu Beginn die Kunst des Spielaufbaus beibringen will, obwohl er noch nicht einmal den Ball korrekt wegschlagen kann.
Natürlich sieht es affig aus, wenn ich mich durch die Weinregale scanne. Natürlich ist es peinlich, wenn ich erfreut aufheule, wenn ich einen 4er-Wein für unter 10 Franken finde (4.0 ist eine sehr gute Bewertung). Natürlich enttarne ich mich sofort als Banause.
Aber Scham ist ein Geschenk an die Jugend. Frag nur einmal deine Kinder.
Ausserdem habe ich dank Vivino nie mehr einen schlechten Tropfen erwischt. Ein Satz, wie aus der Broschüre des App-Entwicklers. Doch es ist mein voller Ernst. Ich hätte auch lieber einen Verriss geschrieben. Das ist erstens lustiger und zweitens einfacher als die langweilige Wahrheit.
Gestern scannte ich mich beim grossen Schweizer Detailhändler der auch Alkohol verkauft, durch die Aktionsangebote. Gross war die Freude, als ich einen Nero D'Avola mit der Note 4.0 für unter 7 Franken fand. Früher hätte ich wie bei einer Bombe einen weiten Bogen darum gemacht. Heute schlage ich mit Freuden zu. Vier Kartons. Zwei für mich, zwei für meinen Weinexpertenfreund. Ja. Soweit ist es schon.
Christi Himmelfahrt kann kommen. Zum Glück mache ich die Brücke.