Sie ist sehr wichtig, die Salatsauce. Das verkennt man gern, wenn man so durchs Leben geht. Man steht auf und schaut auf die Meteo-App, man kleidet sich dementsprechend, man isst Zmorge und denkt ein bisschen ans Römische Reich, an das eine Mal im Chindsgi, als Damian Durchfall hatte und man seinen Toilettengang heimlich durch den Türspalt beobachtete, WARUM?!
Dann fährst du mit dem Tram ins Büro, ergänzt die Poschti-Lischte um Feuchttüchli, die rosafarbenen mit dem Welpen drauf, wie heissen sie schon wieder, wenn die alte Frau neben dir am Fensterplatz mal damit aufhören könnte, ihr Gesäss schon Kilometer vor dem Ausstieg in Position zu rücken, würde das schon helfen. Ja, wir müssen alle bei der nächsten Haltestelle raus.
Es ist die Endstation.
Aber was kümmert sie das schon. Jetzt donnert sie ihre Handtasche mehrmals mit ansteigendem Lärmpegel auf ihren Schoss. Wenn du willst, dass es aufhört, musst du reagieren. Sonst hechtet sie noch über dich drüber.
Du schaust zu ihr, nickst mit einem steif gelächelten Morgengesicht, Augen und Mund zu versiegelten Schlitzen verformt, damit der Widerwille schön drinbleibt. Bis er schliesslich von der Gewissheit abgelöst wird, dass das nur deine eigene Zukunft ist, die da neben dir sitzt. Ein paar Jährchen noch, dann bindet auch dein Bindegewebe nichts mehr und entlässt dein Füdli ungebremst ins Trampolster, wo es augenblicklich in ebendieses fiebrige Rumgeschabe verfällt. Darum sehen die Sitzflächen auch alle so abgewetzt aus, das ist die Angst der alten Menschen vor der verpassten Haltestelle, die Greisen-FOMO, die auch dich packen wird. Ja, wir alle werden der Zeit irgendwann nur noch hinterherhinken.
Erst fällt man aus dem Takt und dann aus dem Leben.
Bevor mir das geschieht, muss ich also noch ein paar geile Saucen essen. Und wisst ihr, welches die geilste Sauce ist?
Die Salatsauce.
Und da sieht man's wieder mal. Erst kommt der Gedanke an den Tod, dann erst fällt einem die Salatsauce wieder ein. Das hat sie nicht verdient. Man sollte vom Leben her auf sie kommen. Aber dafür muss man ihr bescheidenes Wesen erst ins Rampenlicht zerren.
Die Salatsauce würde nämlich nie von sich behaupten, die geilste zu sein. Ganz anders als die Sauce Hollandaise, die, sobald jemand nur an Spargel denkt, schon über das betreffende Gehirn pflödert, mit ihrer weissen, fettigen Wucht.
Nein, so was tut die Salatsauce nicht. Der Name sagt es schon. Sie hat keinen eigenen Namen, sie wird einfach dem Salat angehängt, als wäre sie nichts ohne ihn. Dabei ist es genau umgekehrt. Der Salat würde ohne sie in der Bedeutungslosigkeit versinken, würde sein Daseinsrecht als Salat verlieren, gälte bloss noch als zurechtgeschnittenes Kraut ohne jeden Zusammenhang. Quinoa und Nüssli hin oder her.
Die Sauce ist der gemeinsame Nenner und die eigentliche Sensation.
Denn im Grunde ist es so: Hat jemand Lust, etwas mit Salatsauce zu begiessen, heisst das dabei entstandene Gericht sofort Salat. Kartoffelsalat, Pastasalat, Wurst-Käse-Salat. Als bräuchte man das Salat-Alibi, um sie über alles und jeden drüberzukippen, auf dass man sich ein Festmahl einverleiben kann.
Höchste Zeit also, die Sauce vom Salat zu befreien. Sie braucht kein Alibi. Da ist nichts, wofür sie sich zu schämen bräuchte.
Sie hat ein selbstständiges Leben verdient, ein Leben, in dem sie sich frei und grenzenlos über alle existierenden Lebensmittel ergiessen darf.
Wenn ihr also heute nach Hause kommt, tut mir den Gefallen und macht eine geile Sauce. So nennen wir fortan die Salatsauce. Alles andere wäre unter ihrem Wert.
Und falls ihr nicht wie ich einen Vater habt, der euer Geile-Saucen-Held – das klingt jetzt unverhofft ödipal – ist, der das alltägliche Salaterlebnis eurer Kindheit in einen herbeigesehnten Event verwandelt hat, der stelle nun einen Schüttelbecher oder sonst ein geeignetes Gefäss bereit und fülle es mit folgenden Kostbarkeiten:
Dann schütteln oder mit dem Schwingbesen (die Österreicher zücken bitte ihre Schneeruten) vermengen und sich wochenlang daran erfreuen.
Natürlich darf auch mit Aceto Balsamico gearbeitet werden oder mit Zitronensäure, mit Ahornsirup, Agavendicksaft, mit Rahm oder Zwiebeln. Selbst Bruno tut's. Mischt rein, was ihr mögt, Hauptsache ist, ihr sagt geile Sauce dazu.
Und leert sie über euer Abendessen. Sie braucht dafür nicht einmal den Zwischenstopp über die Sauciere, zu lange hat sie warten müssen auf ihren Auftritt, sie muss jetzt nicht wichtig von einem Kännchen heruntertröpfeln wie ihre affektierten französischen Schwestern. Sie überzeugt seit jeher mit Geschmack, wir wussten es einfach lange nicht richtig zu würdigen.
Und nicht Sosse…