Mit dem Dreizack Mohamed Salah, Roberto Firmino und Sadio Mané hat Liverpool das derzeit wohl beste Sturmtrio der Welt. Wieselflink, unberechenbar, kaltblütig im Abschluss und trotzdem mit dem Auge für den Mitspieler – vor allem vor Weihnachten wirbelten die drei manchmal, als gäbe es kein Morgen mehr.
In der zweiten Saisonhälfte wirkten Salah, Firmino und Mané dagegen oft müde, auch weil ihnen Trainer Jürgen Klopp im Titelrennen mit Manchester City kaum eine Pause zugestand. Ausserdem fiel Firmino zuletzt mit einer Bänderverletzung aus. Dank der längeren Pause vor dem Champions-League-Final ist nun aber auch er wieder fit.
🇧🇷 Firmino this season for Liverpool:
— Anfield HQ (@AnfieldHQ) 24. Mai 2019
🔴 Games: 45
⚽️ Goals: 16
🅰️ Assists: 7#LFC 🔴 pic.twitter.com/yg3zzUx4KL
Das freut Klopp, denn mit Firmino statt Divock Origi oder Daniel Sturridge als dritte Spitze verändert sich die Dynamik der Mannschaft deutlich. Das aggressive Pressing des Brasilianers bringt viele Ballgewinne in der Offensivzone. Firmino geht selbst in den Abschluss, lässt sich aber auch immer wieder tief fallen, um Räume zu schaffen und dann wieder blitzschnell das Tempo anzuziehen.
Die «Reds» spielen unter Klopp einen bedingungslosen, von extremem Pressing geprägten Offensivfussball. In seinem 4-3-3-System spielen neben dem offensiven Dreizack die beiden Aussenverteidiger eine Schlüsselposition. Bei Ballbesitz agieren Andy Robertson und Trent Alexander-Arnold so offensiv, dass dem Gegner meist nichts anderes übrig bleibt, als sich dem Spielstil der «Reds» anzupassen.
Robertson und Alexander-Arnold haben in der abgelaufenen Premier-League-Saison 42 Prozent aller Liverpool-Tore vorbereitet. Um ihre Kreise zu stören, müssen Tottenhams Aussenverteidiger Kieran Trippier und Danny Rose die beiden hoch attackieren. Das bedeutet allerdings, dass die Innenverteidiger Jan Vertonghen und Toby Alderweireld Unterstützung aus dem Mittelfeld brauchen, um Liverpools Dreizack im Griff zu behalten. «Spurs»-Trainer Mauricio Pochettino wird deshalb wohl den zuletzt verletzten Harry Winks «opfern» und ihn auf Firmino ansetzen.
Klopp hat aber nicht nur eine fantastische Offensive geformt, sondern auch die Defensive stabilisiert. An Virgil van Dijk ist fast kein Vorbeikommen und Joel Matip ist neben dem Holländer zur festen Grösse gewachsen. Seit Klopp in der englischen Hafenstadt am Ruder ist, hat sich die Anzahl der Gegentore kontinuierlich verringert: 50 – 42 – 38 – 22. Mit Allison verfügen die «Reds» ausserdem über einen der besten Torhüter der Welt.
Anfällig ist das defensive Mittelfeld, vor allem wenn es schnell geht. Naby Keita fehlt verletzt, deshalb dürfte Klopp wohl auf Captain Jordan Henderson, Fabinho und James Milner setzen. Mit Nadelstich-Angriffen über die flinken Heung-min Son, Lucas Moura und den wiedergenesenen Harry Kane muss Tottenham versuchen, hier Unruhe zu stiften.
Liverpool-Trainer Jürgen Klopp stand bereits in sieben Endspielen, gleich den ersten Final seiner Karriere konnte er gewinnen – und wie! Mit Dortmund schlug er Bayern München im DFB-Pokal-Endspiel gleich 5:2. Seither scheint aber ein Fluch auf dem 51-jährigen Deutschen zu lasten – sechs Finals in Serie gingen zuletzt verloren.
Klopp wäre aber nicht Klopp, wenn er dieser schwarzen Serie nicht etwas Positives abgewinnen könnte. Speziell aus dem verpassten Triumph in der Königsklasse in der vergangenen Saison schöpft er neue Motivation:
Klopp weiss dank seiner Finalerfahrung, was am grossen Tag auf ihn zukommt und wie er seine Jungs auf das Duell mit Tottenham einstellen muss. Noch keinen grossen Final bestritten hat dagegen «Spurs»-Trainer Mauricio Pochettino.
Wie Klopp ist der 47-jährige Argentinier, der einst als Spieler viel von Kulttrainer Marcelo Bielsa gelernt hat, zweifellos ein gewiefter Taktiker und ein fantastischer Motivator, doch auch nach zehn Jahren noch immer titellos. Seinen einzigen Final verlor Pochettino 2015 im unbedeutenden League Cup gegen Chelsea 0:2.
Während Tottenham von den letzten acht Spielen nur zwei (gegen Brighton und bei Ajax) gewinnen konnte, hat Liverpool im Saisonschlussspurt in 23 Pflichtspielen seit Mitte Januar nur bei Barcelona im Halbfinal-Hinspiel der Königsklasse verloren. Obwohl es in der Premier League nicht zum Titel gereicht hat, eine unfassbare Bilanz.
Liverpool hat gezeigt, dass es fast jeden Gegner in den Griff bekommen kann. Tottenham im Gegensatz war zuletzt so unbeständig, dass es gegen fast jeden Gegner in Schwierigkeiten kommen konnte.
The prize on the line. 🏆#UCLfinal 🔜 pic.twitter.com/q10cpRdRVE
— Liverpool FC (@LFC) 30. Mai 2019
Auch ohne Salah und Firmino erzielte Liverpool beim «Wunder von Anfield» gegen Barcelona vier Tore. Das zeigt, in welch komfortabler Lage die «Reds» sind. Mit Joe Gomez, Dejan Lovren, Georginio Wijnaldum, Adam Lallana, Daniel Sturridge, Divock Origi und Xherdan Shaqiri ist die Bank der «Reds» hochkarätig besetzt und Klopp hat fast für jede Position eine fast gleichwertige Alternative.
Im Gegensatz zu Klopp stand Pochettino zuletzt deutlich weniger Geld zur Verbreiterung des Kaders zur Verfügung. In den letzten fünf Jahren hat Tottenham netto nur rund einen Sechstel so viel ausgegeben wie Liverpool, in der letzten Saison investierten die «Spurs» aufgrund des Baus des inzwischen eröffneten Stadions kein Geld in neue Spieler. Das widerspiegelt sich in der Kaderbreite. Pochettino hat deutlich weniger Möglichkeiten als Klopp, von der Bank noch korrigierend einzugreifen.
Nicht nur bei den Buchmachern, auch bei fast allen Experten ist Liverpool der haushohe Favorit auf den Champions-League-Titel und dann ist da auch noch Klopps Final-Fluch, der immer wieder kritische Fragen heraufbeschwört und von aussen noch mehr Druck und Unruhe erzeugt. Da können alle Beteiligten noch so oft betonen, dass sie sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen wollen, etwas bleibt trotzdem hängen.
Mit Tottenham rechnet nach dem schwierigen Saisonschluss in der Premier League und dem äusserst glücklichen Finaleinzug in der Champions League dagegen niemand mehr. Das Team von Pochettino kann völlig befreit aufspielen und den ersten grossen Titel seit dem UEFA Cup 1984 nach Nord-London bringen.
Harry Kane hat sich rechtzeitig zurückgemeldet. Doch seit dem Viertelfinal-Hinspiel in der Königsklasse am 9. April gegen Manchester City hat der 25-Jährige kein Spiel mehr bestritten. Seine fünfte Knöchelverletzung in drei Jahren hat ihn zwei Monate ausser Gefecht gesetzt. «Ich fühle mich gut und bin bereit», sagt der «Spurs»-Torjäger vor dem grössten Spiel seiner Karriere. «Es gibt bisher keine Probleme. Für mich geht es darum, so fit wie möglich zu werden.»
Focused on tomorrow.#MarchToMadrid ⚪️ #COYS pic.twitter.com/O2puny6E3U
— Tottenham Hotspur (@SpursOfficial) 31. Mai 2019
Aber ist es wirklich eine gute Idee, Kane nach so langer Pause wieder spielen zu lassen? Pochettino hat auf jeden Fall die Qual der Wahl: Kane oder Lucas Moura, der Tottenham mit seinen drei Treffern erst in den Champions-League-Final geschossen hat. Oder spielen gar beide? Komplett ausgeschlossen werden kann das nicht. Bei ihren gemeinsamen Spielen in der Startelf waren sechs Partien dabei, in denen beide trafen.
Doch auch wenn Kane nicht von Anfang an spielt, ist er eine Bereicherung für die Mannschaft. Seine Anwesenheit in der Kabine ist wichtig für das Team und die Gewissheit, noch einen zweifachen Premier-League-Torschützenkönig auf der Bank zu haben, beruhigt.
We asked eight Spurs fans whether Mauricio Pochettino should start Harry Kane in the Champions League final - https://t.co/UrUvnAsb7c
— Squawka Football (@Squawka) 31. Mai 2019
The results are in. 👀
Tottenham ist in der Defensive extrem variabel und kann sich auf jeden Spielstil und Gegner einstellen. Pochettino hat während der Saison immer wieder zwischen Fünfer-, Vierer- und Dreierkette gewechselt. Zusammengehalten wird der Verbund von den beiden belgischen Innenverteidigern Jan Vertonghen und Toby Alderweireld. Insbesondere Vertonghen hat eine hervorragende Saison hinter sich. Sein langjähriger Partner Alderweireld ist nicht minder aufbaustark, kann aber ebenfalls gehörig austeilen.
Another great session done. The boys are looking sharp and feeling strong 💪🏻#COYS #UCLfinal pic.twitter.com/7yGjv4yCHG
— Alderweireld Toby (@AlderweireldTob) 30. Mai 2019
Die Aussenverteidiger Kieran Trippier und Danny Rose sind extrem schnell, was gegen Liverpool äusserst wichtig ist. Ausserdem kriegt die Abwehrkette viel Unterstützung vom defensiven Mittelfeld, das sich gemäss Pochettinos defensiver Maxime zunächst nach hinten und erst dann nach vorne orientiert.
Dass die «Spurs» zum Saisonende etwas an Stabilität verloren und weder gegen West Ham noch gegen Bournemouth und Everton zu null spielten, hat viel mit dem Fehlen von Harry Winks zu tun. Der junge englische Nationalspieler ist deutlich disziplinierter als seine Kollegen Moussa Sissoko oder Victor Wanyama. Bis zu einer Leistenoperation im April war er das defensive Gewissen der Mannschaft und hielt der Offensive mit viel Kampfgeist und Disziplin den Rücken frei.
Viel hängt in Tottenhams Angriff vom Formstand von Christian Eriksen ab. Befindet sich der 27-jährige Däne in Spiellaune, sind die «Spurs» gleich eine Klasse besser. Eriksen kann das Spiel lesen und hat den Blick für tödliche Pässe. Er kann dank seiner guten Schusstechnik aber auch selbst in den Abschluss gehen. Zudem ist er extrem schnell, selbst bei Ballbesitz. Hat Eriksen das Leder am Fuss und die flinke «Spurs»-Offensive um Son, Moura, Dele Alli und Kane schwärmt aus, wird es fast immer brandgefährlich.
Eriksens Problem sind jedoch seine Formschwankungen. Zu oft taucht er komplett ab, wie beispielsweise in den Champions-League-Duellen mit seinem Ex-Klub Ajax Amsterdam. Ob es mit seinem kolportierten Millionen-Wechsel zu Real Madrid zusammenhängt? Darüber lässt sich nur spekulieren. Jedenfalls fehlt Tottenham sofort die nötige Kreativität und das Tempo in der Offensive, wenn Eriksen nicht auf Touren kommt.
Nie aufgeben, selbst wenn die Lage noch so aussichtslos erscheint. Das ist die Devise von Pochettinos «Spurs». Dreimal war Tottenham in dieser Saison eigentlich schon aus der Champions League ausgeschieden, doch immer wieder zwang der zweifache englische Meister das Glück auf seine Seite.
"No words can describe the emotion. I can only cry again."
— Tottenham Hotspur (@SpursOfficial) 31. Mai 2019
Mauricio talks us through two remarkable moments on our #MarchToMadrid. #UCLfinal ⚪️ #COYS pic.twitter.com/P6JpOTJuTD
In die K.o.-Runde der Champions League schafften es die «Spurs» nur, weil Inter Mailand im letzten Gruppenspiel zuhause gegen Eindhoven nicht gewinnen konnte. Im Viertelfinal und im Halbfinal gegen Manchester City und Ajax Amsterdam stand man jeweils mit dem Rücken zur Wand und schaffte nur dank viel Kampfgeist und der nötigen Einstellung die Wende. Abschreiben sollte man Tottenham nie.
Trotzdem schaue ich mir das nicht an. Dieses Pay TV unterstütze ich nicht.