Am 13. November 2017 war Italiens Fussball am Tiefpunkt. Nach einem 0:0 im Rückspiel der WM-Barrage gegen Schweden verpassten die «Azzurri» die WM 2018.
Nun, etwas mehr als zwei Jahre später, hat Italien eine bravouröse EM-Qualifikation ohne Verlustpunkt absolviert. Gestern glänzte man gegen Armenien gar mit einem 9:1-Kantersieg. Höher gewann Italien in der Länderspielgeschichte nur ein einziges Mal: 1948 beim 9:0 gegen die USA.
Dank den 30 Punkten aus den 10 Qualispielen ist Italien die einzige Mannschaft neben Belgien (das heute noch gegen Zypern spielt), die ohne einen Punkt abzugeben durchgekommen ist. Besonders beeindruckend ist dabei auch das für Italien untypische Torverhältnis von 37:4 Treffern und die Tatsache, dass keines der Spiele mit dem «Lieblingsresultat» von 1:0 geendet hat.
Italiens Verwandlung vom Gespött Europas zum Quali-Monster hat mehrere Ursachen.
Die wichtigste Änderung hat Italien auf dem Trainerposten vorgenommen. Auf den völlig überforderten und uninspirierten Gian Piero Ventura folgte mit Roberto Mancini ein Coach von Weltklasse-Format.
Mancini begann sofort, die Nationalmannschaft umzubauen, ältere Spieler auszusortieren und ihr einen offensiveren Spielstil einzuimpfen. Zu Beginn noch mit Mühe – in seinen ersten sechs Partien gab es nur zwei Siege –, haben die Spieler seine Philosophie verstanden. In 14 Pflichtspielen unter Mancini gab es bloss eine Niederlage (im September 2018 beim 0:1 in der Nations League gegen Portugal), seither blieb Italien ungeschlagen. Zum ersten Mal in Italiens Fussballgeschichte hat die Nationalmannschaft nun elf Spiele in Serie gewonnen.
Mancini spielt mit den Azzurri ein konsequentes, offensiv ausgelegtes 4-3-3. Bei seinem einzigen Versuch im 4-4-2 gab es prompt die Niederlage gegen Portugal.
3,7 Tore hat Italien in der EM-Quali im Schnitt pro Partie erzielt. Das ist ungewöhnlich, der Grund dafür aber simpel: Italien hat unter Mancini damit begonnen, in Führung liegend weiter Druck zu machen, anstatt zu mauern. Diese neue Philosophie scheint die Spieler zu beflügeln.
Trotz der deutlich offensiveren Spielanlage steht Italien hinten sicher. Auch weil die Gegner selbst mit Verteidigen beschäftigt sind und so Italiens Defensive nur selten unter Druck setzen können. In den 14 Pflichtspielen unter Mancini hat Italien gerade mal sechs Gegentore erhalten, in keinem Spiel mehr als eines.
Dass Italien das Spiel dermassen kontrollieren und dominieren kann, liegt zu grossen Teilen am starken Mittelfeld. Neben den genialen Spielmachern Jorginho und Marco Verratti, den einzigen beiden im Ausland engagierten Spielern, hat sich mit Nicolò Barella ein technisch beschlagener Beisser festgesetzt.
Das Dreiermittelfeld ist zwar körperlich den meisten Gegnern krass unterlegen (Barella 1,72 m, Verratti 1,65 m, Jorginho 1,80 m), kompensiert dies jedoch mit Technik, Passsicherheit und purer Spielfreude. Das zentrale Mittelfeld funktioniert so gut, dass es stark an die kongenialen spanischen Strategen Andres Iniesta und Xavi erinnert, die ihre Körpergrösse ebenfalls spielerisch mehr als nur kompensieren konnten.
Sollte ein Mitglied des Trios ausfallen, stehen mit Stefano Sensi, Lorenzo Pellegrini und Sandro Tonali starke Alternativen bereit. Gerade Tonali, der gestern gegen Armenien zum Zug kam, bringt eine pirleske Note ins italienische Spiel. Der 19-Jährige mit dem ausdruckslosen, scheinbar uninteressierten Gesicht und der langen Mähne erinnert nicht nur optisch an Andrea Pirlo. Auch sein Spielverständnis und seine Ruhe als «Regista» erinnern an den zurückgetretenen Altmeister.
Nach jahrelanger Überalterung – einen richtigen Umbruch hat Italien seit dem WM-Titel 2006 bis vor kurzem nicht geschafft – kommen die vielen Nachwuchs-Talente endlich zu Spielpraxis. Sowohl in ihren Klubs wie der AS Roma (Zaniolo, Pellegrini) oder Inter (Barella) als auch in der Nationalmannschaft dürfen die jungen Spieler ran. Gegen Armenien waren bei Italien bloss Captain Bonucci (32) und der eigentliche Ersatz-Torhüter Sirigu (32) älter als 30 Jahre.
Italien hat nicht nur gute Jungspieler, sondern auch eine breite Masse. Unter Mancini debütierten acht Spieler in der Nationalmannschaft, die noch keine 23 Jahre alt sind.
Der Druck an der EM 2020 wird etwas kleiner, weil es für viele der Spieler nicht ihr letztes, sondern eines der ersten grossen Turniere sein wird. Sie können dadurch frei aufspielen und haben die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln. Chancen für Titelgewinne kommen noch genügend.
So dominant Italien in der Gruppe auch aufgetreten ist, muss festgehalten werden, dass es ein Stück weit auch an den Gegnern gelegen hat. Die vermeintlich stärksten Herausforderer in der Quali-Gruppe waren Griechenland und Bosnien-Herzegowina, die beide massiv enttäuschten. Bei allem Respekt: Dass Finnland den zweiten Platz geholt hat, spricht nicht für die Stärke der Gruppe, haben die Nordeuropäer die Quali doch ihrem einzigen richtig guten Spieler Teemu Pukki (zehn Tore in zehn Spielen) zu verdanken.
Italien war definitiv stark, stiess jedoch auf wenig Gegenwehr. Das wird an der EM im Sommer anders aussehen. Dann muss Italien aufpassen, dass es gegen plötzlich stärkere Gegner kein böses Erwachen gibt.
Das ist schon richtig. No Pukki no Party. Aber im Tor steht auch noch einer der besten BuLi Goalies, Hradecky, und der hatte in der Quali gar nicht so viel zu tun, dank einer sehr soliden Defensive. Und in der Kreativabteilung wird ein gewisser Kamara schon von Premier League Teams gejagt. Solange wir von Verletzungen verschont bleiben, liegen Island-mässige Überraschungen an der EM durchaus drin.