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Riesenknall beim HC Ambri-Piotta – die Gründe für die sportliche Krise

The President of HC Ambri Piotta Filippo Lombardi, during the press conference at the ice stadium Gottardo Arena in Ambri, Switzerland, Wednesday October 08 2025. .(KEYSTONE/ Ti-Press/ Samuel Golay)
Auch Präsident Filipp Lombardi schmeisst sein Amt beim HCAP hin.Bild: keystone
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Vor dem Knall kam die sportliche Schieflage – das sind Ambris Probleme auf dem Eis

Beim HC Ambri-Piotta hat es so richtig geknallt: Präsident, Sportchef und Trainer sind weg. Der Funke an der Zündschnur war eine sportliche Misere. Das sind die Gründe dafür.
08.10.2025, 15:5308.10.2025, 17:20

In Ambri ist heute eine Ära zu Ende gegangen. Im neunten Jahr legen Sportchef Paolo Duca und Trainer Luca Cereda ihre Ämter nieder. Sie wurden – wie watson-Eismeister Klaus Zaugg als Erster berichtete – von Klub-Präsident Filippo Lombardi hintergangen, der sich ohne deren Wissen mit Christian Dubé, einem möglichen Nachfolger als Sportchef und/oder Trainer getroffen hatte. Als Duca und Cereda dies erfuhren, reichten sie den Rücktritt ein und in der Folge stellte auch Lombardi sein Amt als Präsident zur Verfügung.

Vermutlich wäre es nie so weit gekommen, wenn der HCAP sich aktuell nicht in einer grossen sportlichen Krise befinden würde. Nach zwölf Spielen hat Ambri nur gerade zwei Siege und sieben Punkte auf dem Konto, liegt auf dem zweitletzten Platz, mit bloss zwei Zählern Vorsprung auf Schlusslicht Ajoie. Der Rückstand auf die Play-Ins (Rang 10) beträgt bereits sieben Punkte.

In den letzten zwei Jahren hatten die Leventiner den Sprung in die Play-Ins jeweils geschafft. Wo liegen also die Gründe für die aktuelle sportliche Misere?

Budget und Kader

Im Gegensatz zu anderen Klubs (Zug, Biel, ZSC) konnte Ambri finanziell nicht sofort vom Einzug in ein neues Stadion profitieren. Zwar konnte in der Saison 2023/24, zwei Jahre nach dem Einzug in die Gottardo Arena, ein operativer Gewinn von 352'000 Franken erwirtschaftet werden, doch dieses Geld wurde sofort wieder verschlungen. Und nicht etwa, um in Spieler zu investieren, sondern um Schulden zu begleichen.

Wie die NZZ im Januar dieses Jahres berichtete, belaufen sich die Schulden des HCAP auf rund zehn Millionen Franken. Einerseits sind es staatliche und kantonale Unterstützungsgelder aus der Corona-Pandemie, die der Klub zurückzahlen muss. Andererseits soll es sich auch um immer noch offene Verbindlichkeiten aus dem Stadionbau handeln. Und noch schlimmer: In der vergangenen Saison machte die erste Mannschaft wieder 379'000 Franken Verlust, statt Gewinn. Der Klub nannte ausbleibende Einnahmen und gestiegene Betriebskosten als Grund für das schlechte Ergebnis.

Die Mannschaft fotografiert anlaesslich der Praesentation der Eishockey Mannschaft von Ambri Piotta, am Sonntag, 28. Juli 2024, in Ambri. (KEYSTONE/Ti-Press/ Pablo Gianinazzi)
Die aktuelle Mannschaft von Ambri genügt den National-League-Ansprüchen nicht.Bild: keystone

Kein Wunder also, bleibt das Kader der ersten Mannschaft etwas auf der Strecke. Bei den ausländischen Spielern stimmt die Qualität eigentlich. Dass die kanadischen Stürmer Nic Petan und Chris Tierney zum Saisonstart derart schlecht performen, ist sicher auch ein wenig Pech geschuldet. Es ist aber ebenso Tatsache, dass sich viele Leistungsträger – insbesondere die Schweizer – eher im Herbst ihrer Karriere befinden:

  • 🇸🇪 Tim Heed, Verteidiger, 34
  • 🇫🇮 Jesse Virtanen, Verteidiger, 34
  • 🇨🇭 Jesse Zgraggen, Verteidiger, 32
  • 🇨🇭 Dario Bürgler, Stürmer, 37
  • 🇨🇦 Chris DiDomenico, Stürmer, 36
  • 🇨🇭 Inti Pestoni, Stürmer, 34

In der Verteidigung genügt neben den beiden Ausländern wohl einzig der Youngster Simone Terraneo den hohen National-League-Ansprüchen. Im Sturm werden Bürgler und Pestoni vom Alter eingeholt und Dominic Zwerger (29) ist nach einer schweren Kopfverletzung nicht mehr auf gleichem Niveau wie vorher. So hat der HCAP ein für die National League unterdurchschnittliches Kader, was sich natürlich auch in anderen Bereichen spürbar macht. So hat Ambri die drittwenigsten Tore erzielt, und nur Servette erhält noch mehr Gegentreffer als die Leventiner.

watson-Eismeister Klaus Zaugg sah den Knall schon am Montag kommen:

Anfälligkeit auf Rush-Angriffe

Dass die HCAP-Verteidigung nicht überzeugt, zeigt die Tatsache, dass sie in der gesamten Liga die meisten Rush-Chancen (Abschluss des Gegners spätestens 5 Sekunden nach Betreten der offensiven Zone) zulässt. Im Videostudium lassen sich zweierlei Probleme beobachten.

Einerseits erhalten die Ambri-Verteidiger oft zu wenig Unterstützung ihrer Vorderleute. Zu selten gelingt es den Stürmern, die Gegner so unter Druck zu setzen oder die Passwege so zu blockieren, dass diese den Angriff nicht nach Wunsch auslösen können. Häufig reicht ein Pass oder eine Finte, um die Stürmer hinter sich zu lassen und eine Überzahl in der Ambri-Zone zu erspielen.

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Ein Pass – und die Ambri-Stürmer laufen dem Spielgeschehen hinterher.Bild: mysports

So gesehen wäre eine passivere Spielweise für die Tessiner eigentlich erfolgreicher, bei der sich die Stürmer auch tiefer Richtung blaue Linie zurückziehen. Das zeigt auch der Umstand, dass Ambri trotz defensiver Probleme das zweitbeste Unterzahlspiel nach Abwehrquote und das sechstbeste nach zugelassenen Chancen der Liga stellt. Sobald sich der Gegner in der Zone installieren muss und nicht sofort zum Abschluss kommen kann, verteidigt Ambri eigentlich recht gut.

Das zweite Problem sind die technischen und läuferischen Fähigkeiten der Ambri-Verteidiger. Bei herrenlosen Scheiben in der neutralen Zone oder in der Nähe der blauen Linie schaffen es die Tessiner oft nicht, rechtzeitig dort zu sein, um die Scheibe zu kontrollieren. Oder aber sie schaffen es nicht, hüpfende Scheiben unter Kontrolle zu bringen. Und in 1-gegen-1-Duellen in der Rückwärtsbewegung werden sie wegen ihrer läuferischen Defizite oft überlaufen. Das hat ebenfalls zur Folge, dass die gegnerischen Mannschaften viele brandgefährliche Konter fahren können.

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Jesse Zgraggen (#59) kann die Scheibe an der roten Linie nicht kontrollieren und erlaubt so einen gegnerischen Konter.Bild: MySports

Keine rettenden Goalies

Wenn ein Eishockey-Team in der Verteidigung Probleme hat, dann braucht es Torhüter, die die Kohlen aus dem Feuer holen können. Bei Ambri ist das nur selten der Fall. Gilles Senn (7 Spiele) und Philip Wüthrich (5 Spiele) haben auf den ersten Blick ähnliche Statistiken. Beide haben etwas mehr als 89 Prozent der Schüsse auf ihr Konto abgewehrt. Der Gegentorschnitt ist bei Senn (2,70 Gegentreffer/Spiel) aber deutlich geringer als bei Wüthrich (3,27 Gegentreffer/Spiel).

Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Wüthrich hat in weniger Spielen ähnlich viele Schüsse (150) halten müssen wie Senn (188). Schaut man auch noch auf die Qualität dieser Abschlüsse (Expected Goals), dann ist der Unterschied ganz weg. Wüthrich sah sich in fünf Spielen 13,78 gegnerischen Expected Goals gegenüber, Senn nur 13,69. Vergleicht man bei nummerischem Gleichstand auf dem Eis die Anzahl gegnerischer Chancen mit den tatsächlich kassierten Gegentreffern, dann hat Wüthrich bislang die besseren Leistungen gezeigt.

Am Ende ist es aber so, dass keiner der beiden Goalies bislang gut genug war, um die schwache Phase ihrer Vorderleute kompensieren zu können. Wüthrich war bislang ein durchschnittlicher National-League-Goalie, Senn sogar eher unterdurchschnittlich.

Ausblick

Es wird für den HC Ambri-Piotta auch im Rest der Saison nicht einfacher. Nach dem Abgang von Cheftrainer Luca Cereda übernehmen die bisherigen Assistenten Éric Landry und René Matte die Leitung der Mannschaft, bis ein neuer Trainer gefunden worden ist. Ein neuer Chef könnte zumindest vorübergehend neue Impulse setzen, doch die Qualität der Mannschaft bleibt limitiert.

Verstärkungen während der Saison dürften aufgrund des klammen Budgets auch kaum möglich sein. Damit Ambri noch den Niederungen der National-League-Tabelle entfliehen kann, braucht es deshalb dringend eine Steigerung des bestehenden Personals. Die Torhüter, wie auch die ausländischen Spieler, müssen bessere Leistungen zeigen. Doch auch das dürfte schwierig werden, wenn rundherum mit den offenen Ämtern des Präsidenten, Sportchef und Trainers Chaos herrscht.

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    41 Kommentare
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    yaremchuk
    08.10.2025 16:08registriert März 2022
    Ich mag diese vertieften Analysen und Sichtweisen von Bürgler immer sehr.
    Unaufgeregt, klar hergeleitet und auf den Punkt gebracht.
    good job!
    844
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    DonSpaghetti
    08.10.2025 16:56registriert Oktober 2024
    Ich bin zwar Langnau Fan, ich hoffe aber für den ganzen HCAP und seine Fans von ganzem Herzen dass der Scherbenhaufen zusammengekehrt werden kann.
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    feuseltier
    08.10.2025 16:12registriert April 2015
    Haha, hätte der scb länger gewartet, hätten sie einen Trainer und Sportchef bekommen.. :) Schade um diese zwei hoch professionelle Persönlichkeiten. Da geht ein grosses Stück DNA verloren...
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