Aline Trede und Matthias Remund sitzen artig nebeneinander. Die Nationalrätin der Grünen und der Direktor des Bundesamts für Sport mögen sich. Schliesslich setzen sich beide für die Unterstützung des Schweizer Sports ein. Aber in einer Sache vertreten sie diametral gegensätzliche Meinungen: Ist die wichtige Rolle der Armee bei der Förderung des Spitzensports richtig oder falsch?
Seit Bundesrat Adolf Ogi 1998 die strukturelle Unterstützung des Spitzensports im Rahmen des Militärdienstes in einem grösseren Rahmen initiiert hatte, nahm die Bedeutung der Armee in diesem Bereich stetig zu. Und das damalige Fördergefäss als Antwort auf erfolgreiche Profiathletinnen und -athleten aus den benachbarten Ländern auf der Lohnliste des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, präsentiert sich heute als veritable Erfolgsgeschichte.
Aktuell beziehen rund 800 Schweizer Sportlerinnen und Sportler sowie 157 Trainer Erwerbsersatz EO und Sold vom Militär, leisten jährlich bis zu 130 WK-Tage für Training und Wettkämpfe im Sporttenü und hamstern als Botschafter der Armee an Grossanlässen Medaillen zuhauf. Sieben von 13 Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio und sieben von 15 Medaillen im Winter 2022 in Peking wurden von Sportsoldatinnen und -soldaten errungen.
Trotzdem möchte die Bernerin Aline Trede dieses System fundamental ändern. Sie schlägt vor, die Förderung der Spitzensportlerinnen und -sportler beim Bundesamt für Sport (Baspo) in Magglingen anzusiedeln. Sie sagt: «Für mich passt die Kombination Armee und Spitzensport überhaupt nicht. Ich verstehe nicht, wieso Spitzensportlerinnen und -sportler einen Kämpfer tragen müssen». Und die Fraktionschefin der Grünen fragt sich: «Was wäre das Potenzial, wenn man diese Förderung des Spitzensports ausserhalb des Militärs organisieren würde?»
Doch ausgerechnet Baspo-Direktor Matthias Remund ist dezidiert gegen diesen Transfer der Schweizer Sportstars unter seine Fittiche. Er sagt: «Ich entwickle gerne Dinge aus einem bestehenden System heraus weiter. Die Geschichte der Sportförderung im Gefäss der Armee ist ein typischer Schweizer Weg, der auf der Nutzung von Synergien aufbaut. Für mich ist die Entwicklung dieses Systems so etwas wie ein Königsweg. Beide Seiten profitieren – die Sportlerinnen und Sportler, aber auch die Armee. Die Akzeptanz ist auf beiden Seiten sehr hoch.»
Remund gibt zu bedenken, dass eine Umstellung viel Zeit und noch mehr Ressourcen in Anspruch nehmen würde. Zuerst müssten die ganzen gesetzlichen Grundlagen aufgebaut werden, um beispielsweise die Finanzen zu alimentieren. Die Ausrichtung von Erwerbsersatz für geleistete Diensttage etwa ist für die Sportlerinnen und Sportler eine wichtige Finanzierungsquelle.
Und weil die Wehrpflicht (18 Wochen RS und WKs) zumindest für Männer gegeben ist, müsste die Armee auch bei einer grundlegenden Reform der Spitzensportförderung weiterhin Speziallösungen suchen. 2004 hat Sportminister Samuel Schmid beispielsweise die Spitzensport-RS in der aktuellen Form ins Leben gerufen. 2023 profitieren 120 Sporttalente von dieser Möglichkeit. 2010 wurden die heute 18 Stellen für Zeitmilitär-Spitzensportler offizialisiert.
Aline Trede stört sich daran, dass Athletinnen und Athleten, die wenig mit der Armee anfangen können, für eine professionelle Unterstützung der Karriere quasi genötigt werden, Militärdienst zu leisten. Für Frauen besteht in der Schweiz kein obligatorischer Wehrdienst. Vier Prozent betrug der Frauenanteil in den aktuellen Sommer-Rekrutenschulen. Stolze 33 Prozent waren es in der Sommer-Spitzensport-RS. Die Nationalrätin findet: «Die sportlichen Erfolge der Frauen an den Olympischen Spielen in Tokio schlicht auf die Frauenförderung in der Armee zu reduzieren, greift viel zu kurz.»
Matthias Remund sagt, er sehe keinen Mehrwert bei einer Systemänderung. Und er spricht von sehr positiven Effekten. Die Leistungsbereitschaft und das positive Denken des Spitzensports fliessen in die Armee ein. Auch Trainer können die Betreuung der Athletinnen und Athleten im Rahmen ihres Militärdienstes mit EO und Sold machen. Das sei ein Argument für Schweizer Trainer im Spitzensport.
Und zu guter Letzt sagt der Baspo-Direktor: «Der Sport fordert die Armee auch heraus – hinsichtlich der Flexibilität und Innovationskraft.» Aline Trede erwidert: «Einige Spitzensportler verändern den Wehrwillen nicht. Für die Armee ist der Spitzensport primär ein sehr gutes Kommunikationstool – es geht um Aushängeschilder, die man gerne präsentiert.»
Ein strategischer Nachteil, wenn diese Förderung ins Baspo wechseln würde, ist auch das Budget. Rund 15 Millionen Franken jährlich kostet der Spitzensport die Schweizer Armee. Im riesigen Militärbudget ein Klacks. Im Baspo wäre dies mit einer signifikanten Erhöhung der Ausgaben verbunden. Ein Steilpass für Budgetdiskussionen in der Politik?
Dass die Verlinkung zur Armee für Sportlerinnen und Sportler auch zum Nachteil werden kann, zeigt sich international. Das Internationale Olympische Komitee empfiehlt zwar, russische Athleten bei Wettkämpfen wieder starten zu lassen. Dies jedoch mit einer Ausnahme: Sportler mit einer Verbindung zum Militär sollen ausgeschlossen bleiben. Selbst wenn sie unter Umständen genauso wenig vom Angriffskrieg gegen die Ukraine halten wie zivile russische Athleten.
Der Krieg im Osten Europas ruft einmal mehr auch in Erinnerung, für was eine Armee letztlich steht. Deshalb findet Aline Trede es eine legitime Frage, die Beziehung vom Sport zum Militär in Frage zu stellen. Sie gibt zu bedenken: «Die Doktrin der Schweizer Armee verändert sich und entfernt sich von den Werten des Sports.»
Doch Trede gibt auch offen zu: «Ich bin zwar der Ansicht, das Potenzial der Spitzensportförderung in den Strukturen des Baspo wäre viel grösser. Man würde beispielsweise viel mehr junge Frauen fördern. Aber offensichtlich ist ein solcher Denkanstoss im Schweizer Sport nicht gefragt.»
Auch Matthias Remund beobachtet, dass «der Sport eher konservativ unterwegs ist und nicht gerne Veränderungen hat. Das entspricht seiner Ansicht: «Wir müssen eine Erfolgsstory nicht neu erfinden. Die Akzeptanz für das heutige System ist bei allen Involvierten so gross wie noch nie – bei der Armee, bei den Sportverbänden und in der Politik.»
Zum Schluss der Diskussion wird Remund direkt: «Ein Systemwechsel ist lediglich ein Argument von Personen, die gegen die Armee sind.» Aline Trede verneint, dass ihr Vorstoss aus diesem Motiv heraus entstanden ist: «Wir denken viel zu wenig ausserhalb des bestehenden Systems. Muss etwas wirklich so sein, weil es immer so war? Wie viel Potenzial vergeben wir mit einer solchen Haltung?» Eine Antwort darauf wird man so rasch wohl nicht kriegen.
Das könnte sogar die KK entlasten.
Die Sportler-RS ist vorallem eine ergiebige PR-Kuh für das Militär...
"Die Leistungsbereitschaft und das positive Denken des Spitzensports fliessen in die Armee ein."
Der war gut🤣🤣