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Es ist eine Randnotiz, die keine Schlagzeilen provoziert. Aber es ist ein Ereignis von sporthistorischer Bedeutung: Der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) ist ab heute offiziell von Swiss Olympic als 85. Sportverband aufgenommen worden. Die Schwinger werden dann ab dem 1. Januar 2017, nach Anpassung der ESV-Statuten, mit allen Pflichten und Rechten Mitglied der weitverzweigten helvetischen Sportlerfamilie. Sie sind ab heute Brüder von Tom Lüthi, Roger Federer und Lara Gut.
Die Integration der Schwinger in den Dachverband unseres Sportes lässt sich in den politischen Dimensionen durchaus mit einem EU-Beitritt der Schweiz vergleichen. Ein über hundertjähriger Prozess ist damit abgeschlossen. Eine jahrelange Überzeugungsarbeit ist diesem Schritt vorangegangen. Die ESV-Mitglieder haben dem Beitritt zugestimmt.
Ob Schwinger sich unter die Hoheit eines anderen Sportverbandes begeben und damit fremde Herren akzeptieren dürfen, hat die Gemüter schon in den 1920er-Jahren erhitzt. Zeitweise waren sogar die Turner-Schwinger den Grashütern des vaterländischen Hosenlupfes suspekt. Zwischen 1920 und 1948 erlebten die Ringer dank den Schwingern ihre «Belle Epoque». Schwingerkönig Robert Roth wurde 1920 Olympiasieger im Freistilringen und galt als stärkster Mann der Welt. Der eidgenössische Kranzschwinger Fritz Hagmann holte 1948 das letzte Ringergold für die Schweiz.
Die Frage, ob es statthaft sei, sich als Ringer an internationalen Wettbewerben zu beteiligen, wurde in Schwingerkreisen ablehnend beantwortet. Erst im Laufe der Nachkriegszeit beruhigten sich die Gemüter und Schwinger dürfen seither wieder ringen. Allerdings sind sie nicht mehr in der Lage, an die Erfolge der «Belle Epoque» anzuknüpfen. Zu stark hat sich das Ringen seither entwickelt.
Heute geht es nicht mehr darum, ob ein Schwinger auch an internationalen Ringerwettkämpfen teilnehmen kann. Sondern um die Probleme des modernen Sportes: Geld und Doping und nicht bloss Geld und Geist. In den 1990er-Jahren beginnt die Entwicklung, die mit einer nie erlebten Popularität des Schwingens ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Die Medien (auch das Fernsehen) haben das Schwingen entdeckt und der vaterländische Sport hat in unruhigen Zeiten der Globalisierung eine starke politische Symbolkraft. Die Werbewirtschaft schätzt die Popularität der «Bösen» und investiert inzwischen mehr als 1,5 Millionen Franken pro Jahr in persönliches Sponsoring.
Das Geld hat die Kultur des bodenständigen Brauchtums nicht verdorben. Den Schwingern ist es gelungen, die Eigenständigkeit zu bewahren. Das Werbeverbot in den Schwinger-Arenen wird durchgesetzt und auf dem bilateralen Weg arbeitet der ESV intensiv mit den Institutionen des Sportes zusammen. 1999 tritt das Dopingstatut in Kraft und schon 2001 erwischt es mit Beat Abderhalden den Königs-Bruder. Aber die Hoheit über die Kontrollen behält der ESV (die Agentur Antidoping Schweiz erledigt die Kontrollen gegen Bezahlung im Auftragsverhältnis) und die Sperren verhängt der ESV selber. Fremde Richter werden nicht geduldet. Der ESV ist nicht Mitglied von Swiss Olympic. Der ESV bestimmt, wie und wann kontrolliert und wer wie bestraft wird.
Mit dem Beitritt zu Swiss Olympic betreten nun erstmals in der Geschichte fremde Richter das Sägemehl. Wann und wie und bei wem es Dopingkontrollen gibt, bestimmt nun Swiss Olympic – was zu mehr Kontrollen führen wird. Die «Bösen» unterstehen nun den gleichen Doping-Gesetzen wie Roger Federer, Fabian Cancellara oder Lara Gut. Die Disziplinarkammer für Dopingfälle von Swiss Olympic (also fremde Richter) wird – wenn einer erwischt wird – die Sperren ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten verhängen. Es könnte im Falle eines Falles selbst den König die Teilnahme am «Eidgenössischen» kosten.
Auch wenn es keiner so sagt: Die ESV-Funktionäre sind froh, dass sie diese schwere Verantwortung nun an fremde Richter delegieren und juristisch die Hände in Unschuld waschen können, wie einst Pontius Pilatus bei der Verurteilung Jesu.
Warum diese Aufgabe der Selbständigkeit in einem so sensiblen Bereich wie Doping? Verbands-Geschäftsführer Rolf Gasser liefert eine einleuchtende Erklärung. Das Schwingen stehe heute so in der Öffentlichkeit, dass Transparenz gerade in Dopingfragen unerlässlich sei. Transparenz und Glaubwürdigkeit seien nur bei einer unabhängigen Gerichtsbarkeit gegeben. Es gehe auch nicht darum, die Verantwortung zu delegieren. Aber die ganze Doping-Problematik sei eine ethische und keine sportpolitische Angelegenheit und könne nicht durch die einzelnen Sportverbände, sondern nur im Verbund gelöst werden – also durch einen Beitritt zu Swiss Olympic.
Mit dem Beitritt zu Swiss Olympic bekommen die Schwinger Zugang zum gesamten gesammelten Wissen aus allen Bereichen unseres Sportes – ein Wissen, das die Schwinger dringend brauchen. Weil aus Brauchtum längst Leistungssport mit allen Folgeerscheinungen geworden ist. Finanzielle Folgen hat der Beitritt zu Swiss Olympic hingegen (fast) keine.
Das Schwingen ist exakt 120 Jahre nach der Gründung des ESV (1895) ein ganz normaler Sport geworden.