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Bundesliga: Urs Fischer und Union Berlin erobern die Bundesliga

01.08.2022, Sachsen, Chemnitz: Fußball: DFB-Pokal, Chemnitzer FC - 1. FC Union Berlin, 1. Runde, Stadion an der Gellertstraße. Union Trainer Urs Fischer steht vor Anpfiff im Stadion. Foto: Hendrik Sch ...
Urs Fischer, der seit 2018 im Amt ist, ist mit Union Berlin Tabellenführer der Bundesliga.Image: keystone

Urs Fischer – mit dem Arbeiterverein erobert der «grosse Gentleman» die Bundesliga

Der Zürcher und sein Union Berlin stehen an der Spitze der Bundesliga. Ein riesiger Erfolg, der dank der Werte eines ebenso bescheidenen wie bewunderten Trainers möglich wurde, dessen Vertrag gerade verlängert wurde. Ein Porträt.
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09.10.2022, 14:0709.10.2022, 14:07
Yoann Graber
Yoann Graber
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Der FC Zürich hatte an diesem 28. Mai 2000 im Finale des Schweizer Cups Lausanne im Elfmeterschiessen besiegt. Wie es die Tradition verlangt, stiegen die Zürcher Fussballer auf die Haupttribüne des alten Wankdorfs, um die Trophäe in Empfang zu nehmen. Während es normalerweise seine Aufgabe ist, den Pokal hochzuheben, überlässt Kapitän Urs Fischer diese Ehre dem Vereinspräsidenten Sven Hotz.

Die Szene ist nicht anekdotisch. Sie zeigt die Persönlichkeit des derzeitigen Trainers von Union Berlin. Sein Altruismus und seine Bescheidenheit werden einhellig anerkannt und geschätzt. Diese Werte haben ihn nie verlassen, und sie sind es, die 22 Jahre später den Erfolg von Urs Fischer und seiner Mannschaft als unerwarteter Tabellenführer der Bundesliga zu einem grossen Teil erklären.

Als er mit dem Berliner Verein den Aufstieg in die Eliteklasse feierte, vergass er nicht, sich getreu seinem Naturell bei all den Menschen im Hintergrund zu bedanken, die zum Erfolg beitragen, «von der Wäscherin bis zur Marketingabteilung». «Vom Star in der Umkleidekabine über den Reservisten bis hin zum Steward – er hatte für alle den gleichen Respekt», sagt Germano Vailati, der Fischer beim FC Basel als Trainer hatte.

«Er nahm auf jeden Rücksicht. In dieser Hinsicht erinnert er mich an Roger Federer, der jedem gegenüber freundlich und hilfsbereit war.»
Germano Vailati, früherer Goalie des FC Basel

Der Fischer, Jürgen Klopp und Schnitzel

Der ehemalige Torhüter, der jetzt den Basler Nachwuchs auf seiner Position trainiert, hat eine enge Beziehung zu Urs Fischer aufgebaut, als sie noch Kollegen waren. Die beiden verbrachten auch ausserhalb des Spielfelds viel Zeit miteinander und hatten eine gemeinsame Leidenschaft: das Fischen. «Wir fuhren ein paar Mal in den Jura oder an einen Fluss in der Nähe des St.-Jakob-Parks», erzählt Vailati, der lieber Fische als Bälle in seinen Netzen fing. «Auch der Assistenztrainer Markus Hoffmann (Red.: jetzt in gleicher Funktion bei Union Berlin) kam manchmal mit uns. Aber wir haben nie über Fussball gesprochen, kein einziges Wort. Das Angeln war eine Beschäftigung, um den Kopf freizubekommen.»

Basler Torhueter Germano Vailati, reagierte nach der Niederlage (1-2) im Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen dem BSC Young Boys und dem FC Basel 1893, im Stade de Suisse in Bern, am ...
Germano Vailati im Trikot des FC Basel.Bild: KEYSTONE

Germano Vailati und Urs Fischer haben nicht mehr die Zeit, gemeinsam angeln zu gehen, sind aber in Kontakt geblieben. «Wir schreiben uns ab und zu über WhatsApp», sagt der 40-Jährige, der seinen ehemaligen Kollegen als «super Typ» beschreibt.

Ein Typ, der es nicht nötig hat, zu schmeicheln und zu tätscheln, um geschätzt zu werden. Nein, Urs Fischer ist für seine Offenheit und Ehrlichkeit bekannt. Er kann sich durchsetzen, wenn er unzufrieden ist. «Trotz unserer Nähe ausserhalb des Fussballs hat er mich in der Umkleidekabine wie jeden anderen kritisiert, wenn es nicht lief», erinnert sich Vailati. Aber der Zürcher wisse, wie man sich richtig verhält. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen sei er nicht der Typ, der das Maul aufreisst. Weder an der Seitenlinie noch in der Umkleidekabine. Ein Charakterzug, zu dem er voll und ganz steht. «Als Spieler hatte ich Trainer, die sehr impulsiv waren und viel redeten», erklärte er im Januar 2021 in der NZZ.

«Ich habe das nie gemocht. Diese Erfahrung habe ich mit nach Hause genommen. Als Trainer möchte ich der Mannschaft eine gewisse Ruhe vermitteln, auch wenn es hektisch zugeht.»
Urs Fischer

Ein Ziel, das erreicht wurde. Was ist der Beweis? Selbst während des hitzigen Play-off-Rückspiels gegen Stuttgart, das Union Berlin den Aufstieg im Mai 2019 bescherte, wirkte Fischer unbeeindruckt. «Er stand meist abseits, die Arme verschränkt, scheinbar ruhig», beschrieb die NZZ. «Mit Schirmmütze, Brille, Kapuzenjacke und Dreitagebart wirkte er wie die betäubte Schweizer Version des Liverpool-Trainers Jürgen Klopp.»

«Alles klar?»
«Alles klar?» Image: keystone

Er ist ein Phlegmatiker, der nach einer schweren Niederlage auch als Psychologe auftreten kann. In seinem Buch über die Hintergründe von Union Berlin «Wir werden ewig leben» erzählt der Journalist Christoph Biermann von einer Episode, in der Fischer nach einer Klatsche die ganze Mannschaft zum Bowling mit Pommes und Schnitzeln einlud, um gemeinsam den Frust abzubauen.

Ein DJ, Arbeiter und rote Hüte

Auch in Zürich erinnert man sich an die menschlichen Qualitäten des 56-jährigen Trainers. «Ich habe ihn im April beim Frauen-Cupfinal zwischen Zürich und GC wiedergesehen. Er hat mich nach Jahren wiedererkannt, auch wenn ich heute mehr Bartstoppeln als Haare habe», lacht Jérôme Thiesson. Der 35-jährige Ex-Profi spielte 2006 unter Fischer in der U21 des FCZ, als er noch bartlos war und einen langen Haarschopf trug.

FCZ Coach Bernard Challandes, left, and his assistant Urs Fischer pose, prior to a charity soccer game between FC Zuerich and Bayer 04 Leverkusen, in Zurich, Switzerland, Saturday, July 14, 2007. The  ...
Urs Fischer war in der Saison 2007-2008 Assistent von Bernard Challandes beim FC Zürich.Image: KEYSTONE

Wie Germano Vailati spricht er von einem «grossen Gentleman», wenn er über seinen ehemaligen Trainer spricht. Dank diesem habe der ehemalige Flügelspieler von u.a. Zürich, Bellinzona und Aarau verstanden, was Professionalität im Fussball bedeute. Besonders ein Moment bleibt ihm in Erinnerung. «Wir waren gerade mitten in der Videoanalyse», sagt Thiesson.

«Urs Fischer zeigte auf dem Bildschirm auf einen Stürmer, der auf dem Elfmeterpunkt stand. Im Saal sagte er ruhig zu ihm: ‹Was machst du hier? Ich habe dich mehrmals gebeten, immer auf die Flanken am ersten oder zweiten Pfosten zu warten.› Der Spieler war der DJ der Mannschaft, der in der Umkleidekabine für die Musik sorgte. Fischer sagte: ‹Ich verstehe nicht, dass du meine Anweisung nicht verstehst, wenn du dir so viele Namen von Liedern und Künstlern merken kannst.› Dieser Vergleich hat mich geprägt. Ich habe begriffen, dass es im Profifussball um Details geht.»
Jérôme Thiesson

In der deutschen Hauptstadt hat Urs Fischer einen Verein gefunden, der ihm entspricht: einfach, hart arbeitend, solidarisch, ohne grosse Stars und Glitzer. «Union Berlin lebt Werte, die auch meinen entsprechen», so der Schweizer. Sie haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit dieses atypischen Vereins, der oft als politisch links eingestuft wurde und von den Arbeitern des ehemaligen Ostberlins unterstützt wurde.

Und wenn Fischer sich in Union Berlin wiedererkennt, beruht das bei den Fans des Bundesliga-Spitzenreiters auf Gegenseitigkeit. So sehr, dass viele von ihnen, um ihrem Trainer nicht ohne Humor zu huldigen, auf den Tribünen regelmässig einen roten Fischerhut tragen.

Die Fans von Union Berlin ehren ihren Trainer.
Die Fans von Union Berlin ehren ihren Trainer.image: keystone

Im Gegensatz zu den Fans des FC Basel werfen die Berliner Fans Fischer weder seine Zürcher Herkunft vor (sie lachen höchstens über seinen schweizerdeutschen Akzent) noch den Mangel an Schwung im Spiel, das er propagiert und durchsetzt. Sein Vertrag lief 2017 aus und wurde am Rhein nicht verlängert, obwohl er zwei Meistertitel in Folge gewonnen und in seiner zweiten Saison sogar das Double aus Meisterschaft und Pokal geholt hatte. Seine relative Zurückhaltung in der Offensive hatte weder einigen Experten noch der neuen Führung gefallen.

Urs Fischer hatte sich zwar enttäuscht über das Ende der Zusammenarbeit geäussert, doch heute ist er von dieser Kritik sicherlich nicht mehr betroffen. Denn nun spielt er in der Bundesliga, einer Liga mit mehr Prestige und Attraktivität als die Schweizer Super League, ganz vorn mit. Zumal der Zürcher nicht bereit ist, seine Prinzipien aufzugeben: «Das ist die Grundlage, um Spiele zu gewinnen», erklärte er 2018 in «La Liberté» über die defensive Stabilität. «Um offensive Aktionen zu entwickeln, braucht es erstens eine gute Organisation und zweitens Kreativität.»

«So gut wie Guardiola und Mourinho»

Wie der Arbeiter, ob in Berlin oder anderswo, ist Fischer in erster Linie pragmatisch. Effizienz kommt vor Kunst. Eher Sardine als Kaviar. Und seine Spieler haben den Köder geschluckt. «Er ist unser Architekt, im Spiel ohne Ball ist er so gut wie Guardiola oder Mourinho», verehrte der ehemalige Torwart von Union Berlin, Rafael Gikiewicz. «Jeder weiss, was zu tun ist und wir werden auf dem Platz nie überrascht. Diese Mannschaft ist nichts ohne ihn.»

Urs Fischer, vom FCZ, beim Fussballspiel FC Zuerich - St. Gallen in Zuerich am Samstag, 29. Juli 2000. (KEYSTONE/Walter Bieri) === ELECTRONIC IMAGE ===
Bevor er Trainer wurde, war Urs Fischer als Innenverteidiger Kapitän des FC Zürich. Image: KEYSTONE

Aber täuschen Sie sich nicht: Trotz seines strategischen Talents und seiner ruhigen Art ist Urs Fischer kein kühler Taktiker. Er hat einen aussergewöhnlichen Siegeswillen, den er auf seine Schützlinge überträgt. Jérôme Thiesson kann davon ein Lied singen. «Wir trainierten mit der U21 des FC Zürich und er lud seinen ehemaligen, bereits älteren Teamkollegen Artur Petrosjan ein, bei uns mitzumachen, um sich fit zu halten, damit er wieder einen Verein findet», erzählt er.

«Es war eine Einheit im Winter, auf einem kleinen Kunstrasenplatz. Fischer spielte in einer Mannschaft, Petrosjan in einer anderen. Beide wollten unbedingt gewinnen, sie trieben ihre jungen Teamkollegen bis zum Äussersten. Ich hatte noch nie ein so intensives Trainingsspiel erlebt. Ich glaube, wir mussten es nur abbrechen, weil die Beleuchtung automatisch ausging. Das war verrückt!»
Jérôme Thiesson

Eins ist also klar: Urs Fischer und seine Spieler werden sich teuer verkaufen. Die Bayern, die den elften Titel in Folge anstreben, und die anderen grossen deutschen Mannschaften sind gewarnt.

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    13 Kommentare
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    TanookiStormtrooper
    09.10.2022 14:20registriert August 2015
    Ich finde es ja immer noch lustig, dass ihn die Basler rausgeworfen haben weil er Zürcher ist. 😂
    1414
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    avatar
    frank frei
    09.10.2022 15:37registriert September 2018
    Ich mag den Berlinern Fischer gönnen... Er passt super dorthin. Aber eigentlich gehört er zum FCZ.
    667
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    deepsprings
    09.10.2022 15:02registriert Februar 2015
    "eine vo öis", Urs Fischers Zeiten beim FCZ!
    546
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