Hat Juve-Söldner Stephan Lichtsteiner als erster Schweizer Stammspieler seit Chapuisat den Champions-League-Final erreicht? Ein watson-Artikel, der das besagt, sorgt für Aufregung in der WhatsApp-Gruppe unserer Sportredaktion. Für einmal geht es nicht um Xherdan Shaqiri, der bei Bayerns Titelgewinn 2012/13 eindeutig nur Ergänzungskraft gewesen ist. Der Mann, an dem sich die Geister scheiden, ist Ivan Rakitic.
Auch die User diskutieren auf Twitter und in den Kommentarspalten eifrig mit. Doch davon lassen sich diejenigen nicht überzeugen, für die Rakitic seit der Entscheidung gegen unsere und für die kroatische Nati fussballerisch «kein Schweizer» mehr ist.
Doppelbürger gelten für Schweizer Sportjournalisten nicht mehr als Schweizer, wenn sie nicht für die CH-Nati spielen https://t.co/5uWKKPgyvI
— Nick Lüthi ✎ (@nick_luethi) 13. Mai 2015
Das ist Unsinn, finde ich! Und hier sind meine Argumente:
Ivan Rakitic wurde vor 27 Jahren im aargauischen Rheinfelden geboren und besitzt einen Schweizer Pass. Unser Bürgerrecht kann nur in extremen Ausnahmesituationen aberkannt werden. Die Entscheidung für eine andere Nationalmannschaft gehört zum Glück nicht dazu. Auch wenn das manch enttäuschter Fan mit nachtragenden Tendenzen gerne so hätte.
Rakitic sei ja «rein fussballerisch» kein Schweizer mehr, sagt nun die Gegenseite. Aus dem Grund, dass er sich undankbarerweise gegen das Land entschied, welches ihn ausgebildet und seine grosse Karriere erst ermöglicht hat. Ist das so? Gegenfrage: Was ist denn mit Spielern wie Marco Streller, die freiwillig aus der Nati zurückgetreten sind? Sind das «fussballerische» Sans-Papiers?
Auf Klub-Ebene – und darum geht es hier, ist in Fragen der Nationalität schnurzpiepegal, für welche Nationalmannschaft ein Spieler aufläuft. Wenn Ivan Rakitic sich dereinst entscheiden sollte, für seine letzte Karrierestation in die Super League zurückzukehren, dann gilt er gemäss Artikel 3 des massgebenden Reglements als Spieler Schweizerischer Nationalität und nicht als Ausländer.
Soll man einem U17-Weltmeister wie Joel Kiassumbua, der in der Schweiz geboren ist, hier wohnt und spielt und noch nie in seiner zweiten Heimat Kongo war, ebenfalls ernsthaft sagen, er sei jetzt kein Schweizer mehr? Schliesslich hat er kürzlich in Dubai sein Debüt für die «Leoparden» gefeiert, weil er sich als Goalie bei der grossen Konkurrenz im Team von Vladimir Petkovic einfach keine Chance ausgerechnet hat.
Und was ist eigentlich mit den Dutzenden mittelmässigen Spielern, welche Doppelbürger sind und nie von irgendeiner Nationalmannschaft aufgeboten werden? Die «behalten» wir weiterhin als «echte Schweizer», während wir einem internationalen Topstar den Schuh geben? Klingt irgendwie unvernünftig.
Deshalb bleibt für mich nur ein Schluss: Stephan Lichtsteiner ist ein grossartiger Kicker – aber als Nachfolger von Stéphane Chapuisat im Champions-League-Final ist ihm Ivan Rakitic bereits zuvorgekommen. Freuen wir uns doch mit ihm, wenn er an der Seite von Messi, Neymar und Suarez den ganz grossen Kübel auch ein klitzekleines bisschen in die Schweiz holen sollte.
Nationalstolz (ein saublödes Wort):
Wie kann man auf etwas stolz sein, was man nicht verdient oder erarbeitet hat, wie z.b eine Nationalität? Wenn man auf etwas stolz sein kann, was man persönlich nicht erreicht/erarbeitet hat, kann man auch jemanden verurteilen, für was er nichts dafür kann!
"Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt."
- Arthur Schopenhauer