23,30 Meter weit stiess Ryan Crouser die Kugel im Olympiastadion von Tokio. Überlegen gewann der Amerikaner mit dieser Weite Gold, den von ihm gehaltenen Weltrekord verpasste er nur um sieben Zentimeter.
Es war ein Triumph mit Ansage. Nicht weil Crouser bereits 2016 in Rio de Janeiro Olympiasieger wurde. Sondern weil er eben diesen Weltrekord erst vor eineinhalb Monaten an sich gerissen hatte, nachdem er sich zuvor Schritt für Schritt der 31 Jahre alten Marke von Landsmann Randy Barnes angenähert hatte.
Nun liegt es natürlich auf der Hand, dass solche Leistungen kritisch hinterfragt werden. Stammte der alte Weltrekord doch aus einer besonders von Doping geprägten Epoche der Leichtathletik. Die Sünden der Vorgänger lasten auf ihren Nachfolgern.
Dass man als sauberer Athlet die Kugel noch weiter stossen kann als Barnes, hielten die meisten für ein Ding der Unmöglichkeit. Ryan Crouser dachte anders. Er wollte der beste Kugelstösser der Welt werden und er wollte den Weltrekord.
Mit einer Grösse von 2,04 m brachte der Amerikaner gute Voraussetzungen dafür mit. Doch die Grösse ist nur ein Faktor für seinen Erfolg – ein anderer wesentlicher ist seine schiere Masse. Und da wird es spannend. Denn Crouser war mitnichten schon immer der kolossale Muskelprotz, der mittlerweile rund 145 Kilogramm auf die Waage bringt.
Bilder von der Jugend-WM 2009 zeigen das 16-jährige Talent, das bereits damals Gold gewinnt. Verglichen mit heute ist Crouser als Teenager ein schmaler Wurf:
Rund 50 Kilogramm schwerer als damals ist Crouser in der Zwischenzeit geworden. Zugelegt hat der Sportler aus Oregon, der in Texas Wirtschaft studierte, vor allem an Muskelmasse. Mit einem Programm, das es in sich hat. Der tägliche Gang in den Kraftraum ist für einen Kugelstösser Pflicht, und das viele Training zwingt ihn, viel und eiweissreich zu essen. «Zwei Drittel der Fortschritte machst du im Kraftraum, das restliche Drittel durch die richtige Ernährung», sagte Crouser dem Magazin «GQ».
Essen als Teil der Arbeit. Seine Belohnung bestehe nicht darin, am Samstag eine Pizza zu verdrücken, erzählte er deshalb einst, sondern am Wochenende vielleicht einmal eine Mahlzeit auszulassen. Bei fünf Mahlzeiten am Tag nimmt der Kugelstoss-Olympiasieger täglich zwischen 5000 und 6000 Kilokalorien zu sich – das doppelte des Grundumsatzes eines «normalen» Menschen. Zum Znacht gibt es bei ihm «mindestens ein halbes Kilogramm Fleisch» und nach jeder Mahlzeit spült Crouser mit einem halben Liter Milch nach.
«Ich versuche, fünf Mal am Tag zu essen und dazu hie und da einen Snack zu mir zu nehmen», verriet er «GQ». Sein Ziel sei es, nie mehr als drei Stunden zwischen einer Mahlzeit verstreichen zu lassen, «so dass mein Körper stets die Nährstoffe hat, die er braucht, um Muskeln aufzubauen und um zu regenerieren.»
Ein typischer Tag bei Ryan Crouser sieht so aus: Nach dem Aufstehen gibt es Frühstück. Um 12 Uhr folgt ein erstes Mittagessen, etwas später ein zweites. Um 17 Uhr gibt es den ersten Znacht und um 19.30 Uhr einen zweiten. «Es ist ein 24-Stunden-Job.»
Einen so durchstrukturierten Essensplan zu haben, sei nicht immer toll. «Es gibt viele Mahlzeiten, bei denen ich mich hinsetze und zuerst eine Weile auf den Teller vor mir starre. Ich muss mich fast schon motivieren, es in mich hineinzustopfen, das Essen einfach irgendwie durchzuziehen.»
Er versuche, täglich 300 Gramm Eiweiss zu konsumieren. Primär kommt das Protein von Poulet und Fisch, rotes Fleisch steht seltener auf dem Speiseplan. Und: «Das Wichtigste, was ich mit zunehmendem Alter gelernt habe, sind Kohlenhydrate direkt nach dem Training. Zudem hilft es mir auch, am Morgen ein paar gesunde Fette zu mir zu nehmen. Ich spüre, wie sich Gelenke und der Körper generell dann besser anfühlen.»
Man müsse als ambitionierter Profi das essen, was der Körper brauche – und könne nicht einfach das auswählen, worauf man Lust habe. «Die Leute denken immer, dass Sportler essen können, was und wann sie wollen, weil sie so viele Kalorien verbrennen. Aber wenn man wirklich Fortschritte machen und seinen Körper perfektionieren und an seine Grenzen bringen will, muss man sich penibel an den Speise- und den Zeitplan halten.»
Ryan Crouser hat seinen Körper über die Jahre optimiert und im Kugelstossen eine Grenze verschoben. Was er nicht wegschieben können wird, sind trotz bisher stets negativer Tests die Erinnerungen daran, dass seine Vorgänger ihre Rekorde nur dank Doping geschafft hatten. Schliesslich wachsen Muskeln nicht nur, wenn man viel Poulet isst, sondern auch, wenn man dies mit Pillen und Pülverchen kombiniert.
Experten schwärmen hingegen von seiner Drehstosstechnik, die er beinahe perfektioniert habe. Sven Lang, der deutsche Bundestrainer, sagte bei «Sport1», Crouser habe für sich eine Technik gefunden, mit er seine physischen Vorteile optimal auf das Gerät bringe. «Er ist auf einem äusserst hohen Niveau so stabil, dass es nur eine Frage der Zeit war, dass der alte Rekord überboten wurde.»
Crouser selber sagt, ihn sporne das Duell mit seinem Landsmann Joe Kovacs (Silber in Rio und in Tokio) an. «Im Winter trainiere ich hart, weil ich weiss, dass Joe auch hart trainiert. Wir treiben uns gegenseitig an. Ohne ihn würde ich nicht so weit stossen.»
In Tokio sei der richtige Umgang mit Hitze der Schlüssel zum Erfolg gewesen, sagte er NBC. «Meine Einstellung stimmte, ich war im Kopf voll bereit.» Den Erfolg widmete er Grossvater Larry, der ihn als Kind mit dem Kugelstoss-Virus infizierte und der einen Tag vor der Abreise an die Olympischen Spiele verstarb.