Wenn Kanadier von ihren Eishockey-Helden erzählen, fallen gewisse Namen häufiger als andere. Bei der jüngeren Generationen beispielsweise Connor McDavid, Sidney Crosby oder Carey Price. Bei älteren Semestern werden Wayne Gretzky, Mark Messier oder Mario Lemieux genannt.
Nicht so bei Steven Ellis. Der Kanadier ist 26 Jahre alt, stammt aus Toronto und ist Eishockeyjournalist von Beruf. Er spricht beispielsweise vom Schweiz-Franzosen Cristobal Huet, der drei Jahre lang bei den Montreal Canadiens das Tor hütete. Von der norwegischen Stürmerlegende Patrick Thoresen. Und von Reto von Arx.
Warum genau Reto von Arx? Ellis erinnert sich: «Im Videospiel NHL 06 war Davos als erste Schweizer Mannschaft mit dabei. Und von Arx war der einzige Spieler, der die Scheibe hochnehmen und Volley ins Tor schiessen konnte.»
Ellis habe künftig immer wieder mit Davos und von Arx gespielt. Der Schweizer Stürmer hat es ihm angetan: «Ich habe auch eine Hockey-Sammelkarte von ihm.» Nun ist der 26-Jährige erstmals im Land seines einstigen Lieblingsspielers. An der U18-Weltmeisterschaft in Basel und Ajoie. Eigentlich reise er nicht gerne, erzählt Ellis. Und wenn er reise, dann nur für Sportevents. Doch auf den Abstecher in die Schweiz habe er sich schon lange gefreut.
An diesem Abend steht in der St. Jakobshalle in Basel ein Gruppenspiel zwischen Lettland und Norwegen an. Wahrlich kein Kassenschlager. Von den 372 gezählten Zuschauern dürften mehr als die Hälfte Funktionäre, Scouts und Journalisten sein. Wobei sich viele Scouts und Journalisten an diesem Tag einen freien Abend gönnen. Nicht so Steven Ellis. Er beobachtet das Spiel und hat einen Stream der parallel in Ajoie laufenden Partie zwischen der Slowakei und Deutschland offen. Er versorgt seine 11'500 Twitter-Follower mit Updates über beide Partien und schreibt am Ende über die herausragenden Figuren des Tages.
Dalibor Dvorsky led the way on Day 5 of the #U18MensWorlds as Slovakia and Latvia clinched spots in the playoffs.
— Steven Ellis (@SEllisHockey) April 24, 2023
More in today's @DailyFaceoff Scouting Notebook:https://t.co/LrOQzizgdH
Das Eishockeywissen des 26-Jährigen ist beeindruckend. Er erzählt mir, wie die Saisons der Spieler in der Schweizer U18-Auswahl verlaufen sind. Ich habe ausserhalb des Turniers in Basel erst einen von ihnen spielen sehen – Daniil Ustinkov, der 16-jährige Verteidiger, der in der vergangenen Saison fünf Spiele mit den ZSC Lions machen durfte. Ellis ist beeindruckt von «Stinky», wie er ihn scherzhaft nennt, und sagt: «Die Scouts haben ihn als Kandidaten für die erste Runde im NHL-Draft 2024 auf der Rechnung.»
Es ist spürbar, dass sich Ellis im Gegensatz zu vielen seiner kanadischen Kollegen für das internationale Eishockey begeistert – egal, ob nationale Ligen, Champions Hockey League oder der Spengler Cup. Besonders angetan haben es ihm aber die Länderspiele: «Ich bin fasziniert von der Idee, dass Eishockey nicht wegen des Geldes gespielt wird, sondern um das eigene Land zu repräsentieren.» Zudem finde er es spannend zu sehen, wie verschiedene Länder unterschiedliche Hockey-Kulturen haben können.
Ellis spielte, als er jünger war, selbst Eishockey. Daneben fuhr er Kart-Rennen – der Rennsport ist seine zweite grosse Leidenschaft. Doch dann zog er sich drei Hirnerschütterungen zu – zwei beim Rennfahren, eine beim Hockey – und erblindete in der Folge auf dem linken Auge. So widmet er sich fortan der Berichterstattung.
Als Social-Media- und Web-Manager beim Nachwuchsteam der Oakville Blades stieg Ellis ins Medienbusiness ein. Bald einmal schaffte er den Sprung zur renommierten Fachzeitschrift «The Hockey News» und machte sich dort einen Namen. Im vergangenen Herbst der nächste Schritt: Ellis heuerte bei «Daily Faceoff» an. Weniger Reichweite, weniger Prestige und ein etwas anderer Aufgabenbereich.
Am neuen Ort ist Ellis Hauptverantwortlicher für die Prospect-Berichterstattung und ist so eine Mischung aus Journalist und Scout. «Eigentlich habe ich den Stanley Cup gegen die U18-WM eingetauscht», sagt er mit Blick auf das wenig faszinierende Spiel zwischen Lettland und Norwegen. Aber er betont: «Ich bin lieber hier. Es fühlt sich wichtiger an. Bei Länderspielen ist noch mehr Leidenschaft und Stolz dabei.»
Und natürlich hat ihm der neue Job auch die erstmalige Reise in die Schweiz ermöglicht. Es sei wunderschön hier und die Schokolade erwartungsgemäss wunderbar. Auf die Erfüllung seines Traums wartet Ellis allerdings noch: ein Besuch beim Spengler Cup in Davos. Fast schon sehnsüchtig sagt er: «Leider ist die U20-Weltmeisterschaft immer gleichzeitig. Aber vielleicht irgendwann …»