Arbeiten, wo andere Ferien machen. Das dürfte der erste Gedanke sein, wenn man hört, dass jemand Europa verlassen hat, um sein Geld in der Südsee zu verdienen.
Timo Jankowski kennt die Klischees natürlich. Von den Traumstränden, vom Ferienparadies. Sie stimmten zwar nur teilweise, «aber uns gefällt es wirklich sehr gut hier», erzählt er im Gespräch mit watson. Der Süddeutsche lebt mit seiner Frau und mit drei kleinen Töchtern in der Stadt Ba, im Norden der Hauptinsel von Fidschi. «Es ist ein ganz anderes Leben hier, es ist viel entschleunigter», berichtet er vom anderen Ende der Welt.
Dorthin kam Jankowski vor bald zwei Jahren, nachdem er zuvor rund ein Jahrzehnt lang beim Grasshopper Club angestellt war. Auf dem Campus war er Nachwuchstrainer, unter Carlos Bernegger zeitweise auch Assistent in der Super League. «Unheimlich dankbar» sei er für diese Zeit, für ihn als Trainer ohne grosse Spielerkarriere sei die Anstellung ein Glücksfall gewesen. Als er kam und die U16 übernahm, arbeitete er im Nachwuchs Seite an Seite mit ehemaligen Nationalspielern wie Ricardo Cabanas, Johann Vogel oder Boris Smiljanic.
«Es war nicht immer einfach, aber die zehn Jahre bei GC waren top, selbst wenn manchmal ein Chaos herrschte», blickt Jankowski, der aus Dogern bei Waldshut stammt, zurück. Als chinesische Besitzer den Klub übernahmen, boten sie ihm einen neuen Vertrag an. Doch für ihn sei klar gewesen, dass er nun etwas anderes machen wolle.
«Meine Familie ist für mich das Wichtigste im Leben. Dann kommt der Fussball und drittens bin ich im Herzen ein Abenteurer. Diese drei Dinge verknüpfen zu können, war mein Ziel», schildert der 37-Jährige. Rasch sei ihm klar geworden: Die Position des Technischen Direktors eines nationalen Verbands könnte das Richtige für ihn sein.
Und so liess Timo Jankowski alte Kontakte spielen. Nach dem Abitur war er als 18-Jähriger ins ferne Neuseeland gereist, wo er ein Jahr lang in der höchsten Liga Fussball spielte. Dort lernte er Spieler verschiedener Pazifik-Inseln kennen, mit denen der Austausch nie endete. Als ihn einer dieser Kollegen darauf aufmerksam machte, dass der Verband von Fidschi einen Technischen Direktor suche, habe er sich schlau gemacht über Land, Leute und Fussball dort.
Schliesslich kam der Wechsel zustande. Die Frage, wie seine Frau auf diese Nachricht reagiert habe, beantwortet Jankowski mit einem Lachen. «Wir wollten eigentlich in ein ganz armes Land nach Afrika, aber wegen Covid brach dort eine enorme Krise aus. Als dann die Option Fidschi kam, war das deshalb eine sehr schöne Alternative dazu.»
Natürlich sei beim Umzug von Zürich in die Südsee ein Kulturschock nicht ausgeblieben. Dabei erinnert beim Blick aus dem Fenster einiges an die Heimat. «Wir leben nicht direkt an der Küste, doch es ist auch ohne Meer wahnsinnig schön hier. Wir sehen Hügel und Berge – fast ein wenig wie im Schwarzwald.»
Mehr als zuhause ist er jedoch mit Armut konfrontiert. «Viele Leute hausen in Wellblechhütten ohne Wasser und Strom.» Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf beträgt laut dem Internationalen Währungsfonds knapp 5000 Dollar im Jahr – rund 20 Mal weniger als das BIP der Schweiz.
Jankowski lebt mit seiner Familie auf einem Campus für Mitarbeiter des Verbands in Ba und geniesst es, dass ihm dort vieles abgenommen wird: «Ich kann mich ganz der Familie und dem Fussball widmen.»
Kurz nach seiner Ankunft auf Fidschi übernahm er unter anderem das U20-Nationalteam. Mit dem schaffte Jankowski gleich die Qualifikation für die WM, die in wenigen Wochen in Argentinien stattfindet.
Zwei, drei Monate habe er mit dem U20-Team vor dem Qualifikationsturnier trainiert. «Man muss realistisch sein: Fussballerisch kann man in der kurzen Zeit wenig verbessern. Man kann nicht kommen und sagen, ich will jetzt Tiki-Taka spielen.» Also stand der Plan: Fokus auf Standardsituationen, defensiv kompakt stehen, schnell umschalten, zweite Bälle erobern.
«Ich wusste: Wenn man ein bisschen Struktur reinbringt, dann kann man etwas bewegen. Denn physisch sind die Spieler unheimlich gut.» Der Fussball ist auf Fidschi stark vom Nationalsport Rugby geprägt, «manchmal fast mehr Fightball als Fussball», lacht Jankowski. 2016 und 2021 gewannen Fidschis Männer Olympia-Gold im 7er-Rugby.
Er habe wahnsinnig viel Zeit ins Üben von Standards investiert und das habe sich ausbezahlt. Fünf von sieben Toren erzielte die Mannschaft nach Standards. Die WM-Qualifikation mit der U20 sei für ihn persönlich über den direkten Erfolg hinaus sehr wertvoll gewesen, betont Timo Jankowski. Denn sie verschaffte ihm Glaubwürdigkeit. «Wenn ich nun zu den Vereinen gehe und Änderungen ankündige, dann glaubt man mir und mein Wort hat definitiv Gewicht, weil die Klubs wissen, dass ich hier schon etwas erreicht habe.»
Dank Sponsorengeldern konnten zuletzt zum ersten Mal nationale Jugendligen aufgebaut werden. Jankowski hat im Sinne der Nachwuchsförderung auch dafür gesorgt, dass jedes Team der höchsten Liga mindestens einen U19-Spieler auf dem Platz haben muss.
Die Talente scoutet er teils selber. Jankowski reist zu vielen der über 300 Inseln des Landes. Er besucht Dörfer, in denen die Jugendlichen manchmal nicht einmal einen Ball besitzen, weil niemand Geld hat. Dort hilft ihm Touch-Rugby bei der Spielerauswahl, eine Art «Fangis» mit halbgefüllten Wasserflaschen. «Wenn ich in ein Dorf gehe, schaue ich den Jungen dabei zu und kann dann erkennen, ob jemand Grundkoordination und Spielintelligenz mitbringt», erläutert Jankowski.
Den Verteidiger Fataul, einen heutigen U20-Nationalspieler, habe er beim Kicken in 30 Zentimeter hohem Gras entdeckt. «Die Eltern des Jungen sind Bauern. Aber sie wurden so krank, dass er die Schule abbrechen und auf dem Hof knüppeln musste. Nun reist er an die WM.» Bei Episoden wie dieser wird klar, wie anders die neue Arbeit Jankowskis von jener an einer Akademie bei einem europäischen Profiklub ist.
Das Abenteuer, das er suchte, scheint er gefunden zu haben. Und seine persönliche Fortbildung treibt er ebenso voran. Der Inhaber einer UEFA-A-Lizenz, der in der Schweiz die Ausbildung zum Berufstrainer absolvierte, macht zurzeit die Pro-Lizenz beim neuseeländischen Fussballverband.
Bezahlt wird Timo Jankowskis Stelle vom Fussball-Weltverband FIFA, der sämtlichen Landesverbänden jährlich Millionenbeträge überweist und den Sport so auch abseits der Top-Ligen fördert. In Ländern wie Fidschi ginge ohne dieses Geld nicht viel. «Ich kann mir kaum vorstellen, dass es eine andere Organisation gibt, die so nachhaltig Entwicklungshilfe über Fussball und Sport betreibt», meint Jankowski.
Die FIFA segnete auch deshalb seine Anstellung ab, weil sie sicherstellen will, dass qualifizierte Leute vor Ort sind. So soll das Geld sinnvoll eingesetzt werden und dort ankommen, wo es ankommen sollte. «Vorher arbeiteten drei oder vier Leute für den Verband. Jetzt können wir 18 Leute in Vollzeit anstellen. Da kann man etwas bewegen», ist Jankowski überzeugt.
Der Technische Direktor spricht von «riesigen Verbesserungen», die bereits erzielt werden konnten, gerade an der Basis. Bei ihm laufen fast alle Fäden zusammen, er beschreibt seinen Job als enorm vielseitig. «Und genau das macht mir Spass.»
Im Paradies arbeitet Timo Jankowski auch an der Erfüllung eines Traumes: jenem von einer WM-Teilnahme von Fidschi. Was zunächst unmöglich klingt, könnte durchaus Tatsache werden. Schliesslich wird für die WM 2026 das Teilnehmerfeld auf 48 Mannschaften aufgestockt und Ozeanien erhält dannzumal 1,5 Startplätze.
Da Australien dem Kontinentalverband Asiens angehört, dürfte Ozeaniens Fixplatz wohl an Neuseeland gehen. «So realistisch muss man sein», ist sich Jankowski bewusst. Aber das Rennen um Rang 2 hinter den «All Whites» sei völlig offen. «Wenn man Zweiter wird, kann man Playoffs spielen und wenn wir Glück haben und vielleicht auch zuhause auf Fidschi spielen können, liegt etwas drin für uns», glaubt Jankowski. Noch ist der Modus nicht bekannt, aber sollte Fidschi sich durchsetzen und in WM-Playoffs beispielsweise auf ein Team aus dem CONCACAF-Verband (Nord- und Mittelamerika) treffen, ist eine WM-Teilnahme der «Bula Boys» wohl kein Ding der Unmöglichkeit mehr.
«Es ist ein Traum», sagt der Deutsche, «aber eben nicht nur. Wir haben einen Plan und wir haben ein Ziel.» Er denke dabei nicht unbedingt an die WM 2026, sondern an das Turnier vier Jahre später. 2030 sei die Generation, die nun die U20-WM bestreitet, auf dem Zenit. Fidschi an der Fussball-WM – es wäre das Tüpfelchen aufs i beim Abenteuer von Timo Jankowski.
Touch Rugby, genau so wie Rugby Union, gibts übrigens auch in der Schweiz. Ist für alle Rugby-Interessierten etwas, die Respekt vor Vollkontakt haben. :)