64 Jahre alt ist Napolis Trainer, mit der AS Roma gewann er zwei Mal den Cup, Zenit St.Petersburg führte er zu Meistertiteln. Doch der Erfolg nun mit Napoli ist der grösste seiner Karriere – auch deshalb, weil vor der Saison wirklich niemand damit gerechnet hatte. Spalletti zimmerte aus vielen eher unbekannten Namen eine Mannschaft zusammen, die die Serie A dominierte.
«Diese Meisterschaft ist vor allem das Verdienst von Luciano Spalletti», lobte Fabio Cannavaro, als Verteidiger 2006 Weltmeister und gebürtiger Neapolitaner. Besonders der Spielstil, den der Taktiker einüben liess, bringt Fans und Beobachter ins Schwärmen: temporeich, mit Ballbesitz und vielen Pässen in die Tiefe. «Napoli ist ein Spektakel und auf der Spur der grossen Teams dieses Sports», sagte einer, der es wissen muss: Arrigo Sacchi, der als Milan-Trainer einst den Fussball revolutionierte.
Nur an freien Tagen reist Luciano Spalletti heim zur Familie in der Toskana. Ansonsten lebt der Trainer in einem Ein-Zimmer-Studio auf Napolis Trainingsgelände. In dieser Einsiedelei bastelte er ein Meisterteam.
Dieser Tage macht ein kurzes Video die Runde. Es zeigt, wie der argentinische Ex-Stürmer Sergio Agüero versucht, den Namen von Napolis Shootingstar zu sagen. An den Worten «Chwitscha Kwarazchelia» sind schon ganz andere gescheitert:
— LM (@M_1213_I) May 4, 2023
Es ist einerseits der Name des Georgiers, andererseits sein fussballerisches Können, weshalb er in Neapel zumeist als «Kvaradona» bezeichnet wird. Der 22-Jährige, der vor der Saison von Dinamo Batumi kam und den keiner kannte, schlägt Haken, spielt Traumpässe, schiesst Tore: 12 in dieser Saison, dazu kommen gleich viele Assists.
Sein Aufstieg ist umso verblüffender, sichern sich die Topklubs die grössten Talente doch schon als Teenager und bilden sie in ihren Akademien aus. Ein Superstar, der aus dem Nichts kam – das hat Züge eines Märchens. «Seit meiner Ankunft fühlt es sich an wie in einem Traum», sagte Kwarazchelia im März in der «New York Times». «Irgendwann musste ich mich sammeln und mich daran erinnern, dass es alles kein Traum ist, sondern Realität. Ich musste die Kraft in mir finden, das durchzustehen.»
Mittlerweile ist der Offensivspieler nicht der einzige Georgier im Stadion, wenn Napoli spielt. Zu Heimspielen fliegt jeweils eine Chartermaschine voller Landsleute ein, die ihrem Idol beim Kicken zusehen.
Im vergangenen Sommer gab es einen grossen Umbruch bei Napoli. Mit Lorenzo Insigne, Kalidou Koulibaly, Fabian Ruiz, Arkadiusz Milik oder Dries Mertens verliessen zahlreiche Stars den Klub. Übrig blieben nur wenige dieser alten Garde. Piotr Zielinski, seit sieben Jahren im Klub, ist mittlerweile der dienstälteste Profi am Fusse des Vesuv.
Der 28-jährige Pole mit der Erfahrung von 80 Länderspielen verliess den Platz nach dem entscheidenden 1:1 in Udine in Unterhosen: Fans sicherten sich Zielinskis Hose.
🩲 En paños menores.
— Fútbol en Movistar Plus+ (@MovistarFutbol) May 4, 2023
Zieliński no sabe por dónde huir... #LaCasadelFútbol #SerieA pic.twitter.com/QUzMJd6Yuq
Zielinski nahm die Anhänger virtuell mit an die erste Meisterfeier. Dort gab er ein Lied zum Besten, mit dem üblicherweise die Gegner Napoli verhöhnen: «Der Vesuv bricht aus, ganz Neapel wird zerstört.» Eine feine Spitze gegen die Grossklubs aus Mailand, Turin und Rom, die im Süden Italiens mit Sicherheit enorm gut ankommt.
Zielinski ironically singing the song that the anti-Napoletani sing every week : “Vesuvio erutta, tutta Napoli è distrutta.”
— SSC Napoli English Edition 🇺🇸🇬🇧🇨🇦 (@SSCNapoliEn) May 4, 2023
This guy is sooo Napoletano. He’s a true legend of our club 💙💙💙 pic.twitter.com/I0nXooaJNU
Noch ein Neuzugang, den nur wenige auf der Rechnung hatten und der voll eingeschlagen hat. Mit einer Grösse von 1,90 m und einer wuchtigen Erscheinung ist der Südkoreaner ein Fels in der Brandung. Kim ist der Abwehrchef, der den Laden zusammenhält. Der Bälle erobert, Zweikämpfe gewinnt, viele Ballkontakte hat. Nur 23 Gegentore kassierte Napoli in 33 Meisterschaftsspielen.
Erstaunlich ist, dass Kim trotz seiner Postur sehr flink ist. Als derzeit besten Innenverteidiger der Welt adelte ihn sein Trainer Spalletti. «Er macht pro Spiel mindestens 20 unglaubliche Dinge. Wenn er mit dem Ball am Fuss losläuft, ist er innerhalb von fünf Sekunden im gegnerischen Strafraum.»
Bei Napoli war der 26-Jährige schon kurz nach der Ankunft eine kleine Legende. Wie jeder Neuzugang musste der Einkauf von Fenerbahce vor den Kollegen ein Lied singen. Kim entschied sich für «Gangnam Style» und stiess damit auf Begeisterung:
Kims Zukunft in Neapel ist offen. In seinem Vertrag soll es eine Klausel geben, wonach er für 50 Millionen Euro ins Ausland wechseln kann. Paris Saint-Germain gilt als Hauptinteressent. Zuerst geht es für Min-jae Kim allerdings in die Heimat: Im Juni und Juli wird er für drei Wochen von der südkoreanischen Armee eingezogen.
Der Nigerianer spielt die Saison seines Lebens. 22 Mal traf er in 27 Serie-A-Einsätzen, damit führt er die Torschützenliste der Liga an. Osimhen ist ein Bilderbuch-Mittelstürmer: Der 1,86 m grosse Angreifer trifft mit links, mit rechts und mit dem Kopf. Er sei kompletter als Erling Haaland, befand kürzlich die NZZ.
Osimhen war am Donnerstagabend auch der Meisterschütze, er erzielte den Ausgleich zum 1:1 bei Udinese, der Napoli den noch nötigen letzten Punkt zum Titel bescherte. Wie immer seit einer Verletzung trug er dabei seine Gesichtsmaske – die mittlerweile Talisman und Markenzeichen zugleich ist. Beim Karneval war es unter Kindern in Neapel ein Renner, sich das Gesicht anzumalen, Napoli-Trikot und Maske anzuziehen und mit blonden Haaren als Osimhen zu feiern.
Italian kids are dressing up as their hero, Victor Osimhen during carnival (carnevale) week in Napoli.
— Africa Facts Zone (@AfricaFactsZone) February 22, 2023
This is a week where children dress up as their role models in Italy.
People have criticised some of the parents for putting black faces on them, which is viewed as offensive. pic.twitter.com/lVmNRM6ZDo
Als Teenager war Victor Osimhen nach Europa gewechselt und bei Wolfsburg als Null-Tore-Stürmer durchgefallen. Via Charleroi und Lille kam er 2020 nach Neapel – von wo aus er vielleicht in die Bundesliga zurückkehrt. Bayern München soll grosses Interesse am 24-Jährigen haben, der ein Preisschild von «mindestens 100 Millionen Euro» um den Hals hängen hat.