Eigentlich ist Auston Matthews längst da angekommen, wo er schon immer hinwollte: im Olymp. Der 18-Jährige lächelt schelmisch und korrigiert: «Mein Weg ist noch ein langer.» Die geräumige Garderobe der ZSC Lions, die Olymp genannt wird, soll erst der Anfang sein. Der Anfang von etwas Grossem. Denn Matthews strebt nach dem Hockey-Olymp.
Als die ZSC Lions im Spätsommer die Verpflichtung des damals 17-Jährigen bekannt gaben, übertrumpften sich die Vorschusslorbeeren im Blätterwald. Dieser Junge aus dem Wüstenstaat Arizona soll der nächste Sidney Crosby sein. Einer, der in den Juniorenligen heillos unterfordert sei. Anders als die anderen Talente, verblüffend eben. Vier Monate später nicken wir und sagen: Ja, dieser Matthews ist ein Phänomen.
Matthews ist einer, der sich pro Spiel mindestens einen Punkt gutschreiben lässt. Tendenz steigend. Obwohl er knapp einen Drittel aller bisherigen Meisterschaftsspiele erst aus arbeitsrechtlichen Gründen, dann wegen einer Verletzung verpasste, ist er der drittbeste Skorer der Löwen.
«Für einen 18-Jährigen ist er unglaublich weit», stellt ZSC-Captain Mathias Seger fest. «Ob im technischen, taktischen oder menschlichen Bereich, dieser Junge ist einfach komplett.» Schnell lässt sich Seger zum Satz hinreissen, dass er so etwas noch nie gesehen habe.
Auch Edgar Salis, ZSC-Sportchef und jener Mann, der das Ausnahmetalent nach Zürich lotste, lobt den Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln: «Seine Bodenständigkeit ist wohl sein grösstes Talent.» Eine Tugend, die ihm seine Eltern implementierten. «Er stellt sich auf eine Stufe mit unseren Nachwuchsspielern», sagt Salis. Die Integration verlief auch deshalb formidabel. Gleichwohl sei einer wie Matthews auch etwas Grossartiges für die Nachwuchslöwen, findet ZSC-Leitwolf Seger. «Die Jungen sehen sich tagtäglich mit seinem Top-Level konfrontiert, das spornt zur Nachahmung an.»
Keine Frage, Matthews’ Weg in die NHL ist vorgezeichnet. Niemand zweifelt daran, dass er im nächsten NHL-Draft im Sommer an erster Stelle gezogen wird. Wegen seiner Personalie entfachten in Übersee gar Diskussionen über die Ausdehnung der Zulassungsbestimmungen für den NHL-Draft, weil Matthews für die diesjährige Ziehung zwei Tage zu jung war. Nur darum kommt die Schweiz in den Genuss dieser Attraktion.
«Ich bin in der Schweiz, um hart zu arbeiten und besser zu werden», sagt das Ausnahmetalent selbst. Sein Auftritt ist abgeklärt. Dass Matthews eben erst die Mündigkeit erlangte, vermag er gekonnt zu kaschieren.
Angesprochen auf die ansprechende Punkteausbeute verweist er gerne auf sein Bestreben, teamdienlich zu spielen. «Tore und Assists sind nebensächlich.» Dieses Understatement scheint echt, auch wenn der Junge aus Scottsdale grundsätzlich lieber zu interpretationsresistenten Floskeln greift. Fauxpas scheinen bei ihm in etwa so realistisch wie eine Ziehung als Nummer zwei beim kommenden Draft.
Dem Naturell des Amerikaners haftet etwas Märchenhaftes an. Matthews ist sich nicht zu schade, nach dem Training Pucks einzusammeln, und wenn Coach Crawford am Taktikbrett doziert, dann findet man den 18-Jährigen in der ersten Reihe. «Etwas, was gut ist, kann man halt nicht schlecht machen», kommentiert Sportchef Salis.
Der Rummel um den Hockeybegabten ist in der Schweiz – vor allem, wenn man ihn mit dem Echo in Übersee gleichsetzt – zwar übersichtlich, aber latent. Sportchef Salis relativiert den Matthews-Hype mit der helvetischen Mentalität: «Wir Schweizer funktionieren anders, selbst wenn wir Tina Turner im Niederdorf antreffen, verhalten wir uns so, als ob wir sie nicht kennen würden.»
Doch auch der Sportchef notiert, dass die Dichte an Matthews-Trikots rund ums Hallenstadion zunimmt. «Dass Auston im Fokus steht, kommt vor allem dem Team zugute», befindet derweil Captain Seger, «damit nimmt er uns als Mannschaft aus der Schusslinie.» Dem Druck scheint der 18-Jährige jedenfalls unbekümmert standzuhalten.
Neben dem Eis bewegt sich Matthews gerne in der Stadt, Zürich gefällt ihm. Einige Teamkollegen hätten ihm in einem Rundgang die schönsten Winkel der Limmatstadt präsentiert. «Zudem war ich schon in Luzern und kam in den Genuss von diversen kulturellen Highlights.»
Die Akklimatisierung fiel Matthews nicht schwer, da ihn seine Mutter in die Schweiz begleitete. Es ist jener Moment, indem der sonst so souveräne junge Mann erstmals etwas Jugendliches durchblicken lässt: «Ich bin erst 18 Jahre alt, mit ihr an meiner Seite ist alles ein wenig einfacher.» Sehnsucht nach der Heimat war allerdings nie Matthews’ Problem: «Bereits in den letzten Jahren in der amerikanischen Top-Juniorenliga trennten mich grosse Distanzen von zu Hause.»
Einer der triftigsten Gründe, warum Matthews das Engagement in der fernen Schweiz einging, war ZSC-Trainer Marc Crawford. Aus seinen Zeiten in Nordamerika weiss Crawford, was es braucht, um einen Begabten wie Matthews perfekt auf die NHL vorzubereiten.
Sobald der 54-jährige Trainingsleiter ein paar Worte über seinen talentiertesten Schützling verlieren soll, sprudelt es Elogen. Crawford vergleicht den 18-Jährigen mit Hockey-Koryphäen wie Peter Forsberg oder Anze Kopitar. «Das rührt mich natürlich», gibt Matthews zu, «doch diese Spieler sind keinen Qualitätsbeweis mehr schuldig. Ich schon.»
Die Vorzeichen stehen gut, dass ZSC-Fans dereinst einmal ein Matthews-Trikot aus dem Schrank fischen und sich denken: Ich habe es ja gesagt, dieser Junge wird irgendeinmal der Grösste im Hockey-Olymp.
Auch als Davos-Sympathisant kann man da nur den Hut ziehen.
Die Zusammenarbeit mit dem ZSC+Matthews und das Konzept junge, talentierte und unterforderte Spieler in die Schweiz zu holen, hat sich bewährt. Wäre doch geil, wenn sich mehrere Vereine in den kommenden Jahren um solche - für die NHL - zu jungen Spieler bemühen würden. Das wäre in jeder Hinsicht eine Bereicherung für das schweizer Eishockey!