Sport
Eishockey

Eishockey: Wie die Schweizer NHL-Spieler die Mentalität der Nati verändern

Switzerland's forward Sven Andrighetto gestures, during a Swiss team training optional session, at the IIHF 2018 World Championship, at the practice arena of the Royal Arena, in Copenhagen, Denma ...
NHL-Spieler wie Sven Andrighetto brachten eine neue Mentalität in die Schweizer Nati.Bild: KEYSTONE

Made in the NHL: «Wir sind dran, die Schweizer Mentalität zu verändern»

Wie die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft auf dem Weg in den WM-Halbfinal von ihren Nordamerika-Söldnern profitiert hat. Und welche NLA-Spieler im Windschatten der NHL-Profis eine starke WM erleben.
19.05.2018, 15:3519.05.2018, 15:35
Marcel Kuchta / Nordwestschweiz

Wer erwartet hätte, dass die Schweizer Spieler nach ihrem Viertelfinal-Triumph gegen Finnland in Herning johlend und jubelnd durch die Mixed-Zone in Richtung Garderobe laufen, der wurde enttäuscht. Da huschte wohl hier und da ein verschmitztes Lächeln über die Gesichter. Aber grundsätzlich wirkten die Schweizer Eishockey-Cracks konzentriert, ja fast ernst.

«Wir sind mit dem Erreichen des Halbfinals nicht zufrieden.»
Sven Andrighetto

Ein Eindruck, der nicht täuscht. Stürmer Sven Andrighetto sagt: «Es ist ein wunderbares Gefühl. Aber wir sind mit dem Erreichen des Halbfinals nicht zufrieden. Dieser Sieg ist gut für die Moral. Wir geniessen ihn. Aber wir wollen weitergehen.»

Für die nicht gerade erfolgsverwöhnte Eishockey-Nation Schweiz eine bemerkenswerte Einstellung. Eine Einstellung, die ihren Ursprung in Nordamerika hat. Dort, in der NHL, in der besten Liga der Welt, spielen derzeit acht aktuelle Schweizer Nationalspieler. Dazu verfügt das Team über eine ganze Reihe weiterer Akteure, die bereits im bisweilen rauen Klima der nordamerikanischen Ligen Erfahrungen gesammelt haben.

Deshalb ist dieser Exploit an der WM in Dänemark auch ein wenig «Made in the NHL». Wenn ein junger NHL-Spieler wie Timo Meier (21) von den San Jose Sharks schon früh während des Turniers davon spricht, dass er mit dieser Mannschaft mindestens in den Halbfinal kommen will, dann hat das nichts mit Selbstüberschätzung zu tun, sondern entspricht dem Selbstverständnis eines Profis, der sich tagtäglich mit den besten Spielern der Welt messen muss und weiss, was verlangt wird, damit man dauerhaft auf höchstem Niveau bestehen kann.

Switzerland's forward Timo Meier cheers his supporters after Switzerland team beating Belarus, during the IIHF 2018 World Championship preliminary round game between Switzerland and Belarus, at t ...
Timo Meier gab schon früh den Halbfinal als Mindestziel bekannt.Bild: KEYSTONE

Euphorie versus Fokus

Wenn man hier in Kopenhagen mit den NHL-Spielern spricht, dann hört man auch immer wieder Schlagwörter wie «Wille» und «harte Arbeit». Attribute, die in Nordamerika auf dem Weg zu einer erfolgreichen Karriere unabdingbar sind. Die aber – etwas plakativ ausgedrückt – nur bedingt mit der Schweizer Mentalität kompatibel sind.

«Es braucht vor allem Wille und mentale Stärke, um sich durchzubeissen»

Das Klischee des Schweizers, der schnell selbstzufrieden ist, existiert nicht umsonst. «Uns geht es so gut in der Schweiz», sagt Andrighetto. Es wäre ein Leichtes, sich für gutes Geld bei einem Schweizer Verein zu verpflichten. Aber diese Spieler wollen mehr, haben höhere Ziele.

«Es braucht vor allem Wille und mentale Stärke, um sich durchzubeissen», erzählt Andrighetto, der sich jahrelang durch die Farmteams kämpfen musste, wo er einen Bruchteil eines NLA-Lohns verdiente, ehe er einen Millionenvertrag bei den Colorado Avalanche erhielt.

«Wir müssen uns vor niemandem verstecken.»
Mirco Müller

Aus Nordamerika bringen diese Profis auch die Mentalität mit, mehr im Moment zu leben, sich auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren, anstatt sich zu viele Gedanken um die Zukunft oder die Vergangenheit zu machen.

«Wir geniessen den Moment»

Sven Andrighetto sagt nach dem Sieg gegen Finnland: «Wir wollen nicht zu weit nach vorne, und nicht zu weit zurück schauen. Wir leben im Moment, geniessen den Moment.» Und der Verteidiger der New Jersey Devils, Mirco Müller, erklärt, auch mit Blick auf den Halbfinal-Kontrahenten Kanada: «Man muss jeden Gegner respektieren. Gleichzeitig dürfen wir aber keine Angst haben. Wir haben eine sehr gute Mannschaft mit sehr guten Spielern. Wir müssen uns vor niemandem verstecken.»

So spielten sich die Schweiz und Kanada in den WM-Halbfinal.Video: YouTube/IIHF Worlds 2018
Jetzt auf

Der Grat zwischen Demut und Selbstüberschätzung ist bekanntlich oft ein schmaler. Doch auch in dieser Beziehung hat die «nordamerikanische Schule» Auswirkungen auf die Mentalität dieser Schweizer Mannschaft.

«Guter Mix zwischen den Mentalitäten»

Mirco Müller: «Dadurch, dass wir so viele Spiele machen in der NHL, umso rationaler ist unsere Herangehensweise. Es ist manchmal schwierig, die richtige Balance zwischen Euphorie und Konzentration zu behalten. Bisher hatten wir einen sehr guten Mix zwischen diesen beiden Mentalitäten. Es ist etwas vom wichtigsten im Kopf, dass man mit Selbstvertrauen auftritt, seinen Fähigkeiten vertraut. Gleichzeitig aber auch zu wissen, was man kann und was nicht. Zu wissen: Wann muss ich einfach spielen, wann kann ich etwas riskieren?»

Russia's forward Kirill Kaprizov, left, vies for the puck with Switzerland's defender Mirco Mueller, right, during the IIHF 2018 World Championship preliminary round game between Russia and  ...
Mirco Müller überzeugt bei seinem ersten Nati-Auftritt.Bild: KEYSTONE

In der Tat ist es faszinierend zu beobachten, mit wie viel Verve, mit welcher Energie und mit welchem Selbstvertrauen diese Mannschaft in Dänemark bisher ans Werk gegangen ist. Und wie die NHL- und die NLA-Profis zu einer homogenen Einheit geworden sind, in der jeder Spieler seine Rolle übernimmt.

Roman Josi, einer der besten Verteidiger der Welt und Captain der Nashville Predators, schwärmt: «Unsere Teamchemie ist unglaublich. Ich bin erst seit drei Spielen da und wurde extrem gut aufgenommen. Es ist toll, ein Teil dieser Mannschaft zu sein.»

Jetzt liegt der Final drinWo der Weg dieser Mannschaft endet? Wer in einem WM-Halbfinal steht, der hat alle Möglichkeiten. Der kann sogar Weltmeister werden. Auch wenn der nächste Gegner Kanada heisst und den derzeit besten Spieler der Welt, Connor McDavid, in seinen Reihen weiss. Sven Andrighetto sagt: «Wir sind dabei, die Schweizer Mentalität zu verändern. Wir wollen weitergehen. Kanada wird ein harter Gegner. Aber wer gab uns Chancen gegen die Finnen?»

Diese bewährten Nationalspieler sind nicht an der WM dabei

Eishockey-Saison 2019/20
Keine Eishockey-WM – Patrick Fischers verlorener Traum
10
Keine Eishockey-WM – Patrick Fischers verlorener Traum
von Klaus Zaugg
Wegen Corona-Krise: Bleibt René Fasel ein Jahr länger Hockey-Welt-Präsident?
1
Wegen Corona-Krise: Bleibt René Fasel ein Jahr länger Hockey-Welt-Präsident?
von Klaus Zaugg
Die WM ist abgesagt – was die Folgen sind und wie es beim Verband weitergeht
4
Die WM ist abgesagt – was die Folgen sind und wie es beim Verband weitergeht
von Klaus Zaugg
Die NHL pausiert, aber «gespielt» wird trotzdem – Goalie wehrt 98 Schüsse ab
3
Die NHL pausiert, aber «gespielt» wird trotzdem – Goalie wehrt 98 Schüsse ab
von Adrian Bürgler
Profisportler kaufen für Ältere ein oder bieten sich als Babysitter an
2
Profisportler kaufen für Ältere ein oder bieten sich als Babysitter an
von Ralf Meile
Hoffnung für Hockey und Fussball – Kurzarbeit wird bald möglich sein
22
Hoffnung für Hockey und Fussball – Kurzarbeit wird bald möglich sein
von Klaus Zaugg
Simon Sterchi kommt – was für eine schauderhafte SCB-Transferbilanz
27
Simon Sterchi kommt – was für eine schauderhafte SCB-Transferbilanz
von Klaus Zaugg
Gaëtan Haas: «Das Spiel in der NHL ist nicht schneller, es sieht nur schneller aus»
9
Gaëtan Haas: «Das Spiel in der NHL ist nicht schneller, es sieht nur schneller aus»
von Philipp Reich
Solange man ins Stadion durfte, war Eishockey so populär wie nie
6
Solange man ins Stadion durfte, war Eishockey so populär wie nie
6 grosse Schweizer Hockey-Karrieren, die durch das Coronavirus vorzeitig beendet wurden
12
6 grosse Schweizer Hockey-Karrieren, die durch das Coronavirus vorzeitig beendet wurden
von Adrian Bürgler
Ein Virus beendet Jonas Hillers Karriere: «Es gäbe noch viel schlimmere Szenarien»
8
Ein Virus beendet Jonas Hillers Karriere: «Es gäbe noch viel schlimmere Szenarien»
von Adrian Bürgler
Nichts, einfach nichts – ein Wochenende ohne Sport und der Anfang einer neuen Zeitrechnung
6
Nichts, einfach nichts – ein Wochenende ohne Sport und der Anfang einer neuen Zeitrechnung
von raphael gutzwiler
Das banale Ende aller Träume – kein Meister, keine Dramen
23
Das banale Ende aller Träume – kein Meister, keine Dramen
von Klaus Zaugg
Der Star aus der Hundehütte – wie Kevin Fiala vom Mitläufer zum Teamleader gereift ist
2
Der Star aus der Hundehütte – wie Kevin Fiala vom Mitläufer zum Teamleader gereift ist
von marcel Kuchta
«Als würde man zum Geburtstag keinen Kuchen kriegen» – das sagt der ZSC zur Playoff-Absage
3
«Als würde man zum Geburtstag keinen Kuchen kriegen» – das sagt der ZSC zur Playoff-Absage
von Dario Bulleri, Lino Haltinner
So sieht der neue Gästesektor in Fribourg aus (es ist ein «Käfig»)
78
So sieht der neue Gästesektor in Fribourg aus (es ist ein «Käfig»)
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
6 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Aaron Maté
19.05.2018 15:50registriert Mai 2016
F*** yessssss, let's gooooo!!!!
Wenn geits ändlech los?!
💪💪💪💪💪
glade wiene Mondrakete!! 🚀💥
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
«SLAPSHOT»
19.05.2018 16:30registriert Mai 2017
soviele gute nhl-stammspieler für die wm zu haben ist ein glücksfall, der ausgenutzt werden muss! exploit 2!
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
mukeleven
19.05.2018 17:43registriert Februar 2014
wow - frischer wind hier auf watson - cooler bericht hier von dir @marcel kuchta.
mehr davon - da kann unser eismeister noch was lernen. wirklich.
und allne es guats spiel am 715 ll hopp 🇨🇭
00
Melden
Zum Kommentar
6
Verlorener Startplatz und Verletzungssorgen: Die Nati-Stars im Formcheck
Das WM-Ticket ist für die Schweizer Nationalmannschaft zum Greifen nah. Vor den entscheidenden zwei Partien gibt es aber einige Problemfälle in der Nati. So steht es um die Form der einzelnen Spieler.
Zuletzt mussten Gregor Kobel und Borussia Dortmund zwei herbe Rückschläge hinnehmen. Bei Manchester City kassierte der BVB in der Champions League gleich eine 1:4-Niederlage und auch gegen den Bundesliga-Aufsteiger Hamburger SV reichte es bei einem 1:1 nicht zum Sieg. Kobel traf dabei aber wenig Schuld. In der Nati war der Schlussmann zuletzt in blendender Form und blieb in den letzten fünf Partien ohne Gegentor.
Zur Story