Die Tage ohne Spiele sind die Tage des Trainings für die Spieler und der Mühsal für die Chronisten. Wenn nicht gespielt wird, sind trotzdem Geschichten und, wenn möglich, Polemiken gefragt. Aber was thematisieren? Das war in der Vergangenheit vor allem vor einer Partie gegen einen «Kleinen» wie Österreich eine mühselige Sache.
So richtig dreinfahren konnten wir nicht. Eine Niederlage war nie auszuschliessen. Aber auch eine Polemik gegen unseren Nationaltrainer war billig. Es war vermessen, gegen einen Gegner wie Österreich Sieg oder Entlassung zu fordern. Stets war Zurückhaltung geboten. Also pflegten wir den edlen Brauch, den Gegner starkzuschreiben und uns in gutsporteidgenössischer Art in Bescheidenheit zu üben. Wir gehörten ja auch zu den Kleinen. Aber ach, wie mühselig war das.
Montag, der 13. Mai 2019, ist wieder so ein Tag vor einem Spiel gegen einen Kleinen (Österreich). Aber nun ist auf eine besondere Weise vieles anders und besser. Als Vorjahresfinalist haben wir die ersten beiden Partien gewonnen. Wir gehören zu den Grossen. Es ist wirklich so und wird jeden Tag bestätigt: Die Schweizer treten mit der Gelassenheit und dem gesunden Selbstvertrauen der Grossen auf. So war es noch nie bei einer WM.
Obwohl wir bei der letzten WM gegen die alten Habsburger erst in der Verlängerung 3:2 gewonnen haben, darf der Chronist ein wenig auf die Österreicher herabschauen. So wie die Kanadier auf uns. Das hat durchaus seinen Charme. Erst recht in Bratislava, dem alten Pressburg der Habsburger.
Die Kanadier – Trainer, Spieler, Funktionäre, Chronistinnen und Chronisten – sehen sich ja als Vertreter der ersten Hockeynation der Erde. Sie haben uns Ungläubigen in Europa das Spiel beigebracht und bringen es uns immer noch bei.
In so vielen Ländern sind kanadische Trainer tätig, um die wahre Hockeylehre zu verkünden. Ein kanadischer Akzent hat im globalen Hockey-Business immer noch so viel Marktwert wie echte Hockey-Kompetenz. Und alle träumen von der NHL, der grossen nordamerikanischen Liga, in der das «heilige» kanadische Spiel von amerikanischen Dollars gemanagt wird. Alles Kanada – oder was?
Nun sind wir gegenüber den Österreichern erstmals in der Rolle der Kanadier. In unserem Selbstverständnis sind wir schon ein wenig die Kanadier Mitteleuropas geworden. Unsere Liga zahlt die höchsten Löhne ausserhalb der NHL und der KHL. Keine andere Hockeyfirma macht in Europa so viel Umsatz und lockt so viel Publikum an wie der SCB. Nico Hischier war 2017 im NHL-Draft die Nummer 1.
Was wäre Österreich ohne uns? Ein Hockey-Entwicklungsland. Dominic Zwerger und Fabio Hofer verdienen ihr Geld bei uns in Ambri. Patrick Obrist stürmt für Kloten und Benjamin Baumgartner ist aus Davos herbeigeilt, um bei der WM zu helfen. Peter Schneider gilt als Österreichs Antwort auf Alex Owetschkin und so ist es nur logisch, dass er nächste Saison von der österreichischen Operetten-Liga ins richtige Hockey wechseln und für Biel stürmen wird.
Vor allem aber hat erst ein Schweizer die Österreicher aus der Zweitklassigkeit erlöst und auf die höchste Weltbühne zurückgeführt: Nationaltrainer Roger Bader (54).
Wir können also den spielfreien Tag nützen, um das segensreiche helvetische Hockeywirken im Ausland zu würdigen. Das mühselige Suchen nach Themen rund ums eigene Team entfällt. Roger Bader ist für Österreichs Hockey, was bei uns Stu Robertson, Ralph Krueger oder Sean Simpson waren.
Roger Bader? Selbst einem guten Kenner der heimischen Hockeyszene ist sein Name nicht geläufig. Dabei ist Bader ein Erfolgstrainer, der auf der internationalen Bühne eine schier unlösbare Aufgabe gelöst hat. Es gibt nämlich drei Gewissheiten im österreichischen Hockey: Das Leben ist endlich, wir müssen Steuern zahlen und wir steigen ab.
2005 stiegen die Österreicher ab und auf jeden Aufstieg folgte sogleich der Abstieg: 2007, 2009, 2011, 2013 und 2015.
Aber vor einem Jahr hat Bader nach dem Aufstieg dieses ewige Auf und Ab gestoppt, ein Wunder vollbracht und den Klassenerhalt geschafft. Ein Erfolg, so hoch zu bewerten wie unser WM-Final. Hier in Bratislava hat er gute Aussichten, weiterhin oben zu bleiben.
In der Schweiz hat Roger Bader ganz oben nie eine echte Chance bekommen und vom Posten eines eidgenössischen Nationaltrainers war er so weit weg wie von einem Sitz im Bundesrat.
Bader, der Zürcher, beginnt, logisch, beim ZSC. Im Hallenstadion ist er sechs Jahre lang Assistent (1988 bis 1993). Die Chefs kommen und gehen, Roger Bader bleibt. Timo Lahtinen wird gefeuert, zehn Tage lang ist Bader sogar ZSC-Cheftrainer. Dann führt der Kanadier Neil Nicholson die Zürcher im Frühjahr 1989 in die NLA zurück.
Vom nächsten Chef lernt Roger Bader ab Herbst 1990 noch mehr. Der tschechoslowakische Nationaltrainer Pavel Wohl ist einer der Grossen des Welteishockeys. Aber zum Wohl des ZSC kann er zu wenig beitragen, er wird in der zweiten Saison gefeuert und durch Arno Del Curto ersetzt – und Arno wird Roger Bader prägen. «Wir sassen oft mit dem Notizblock bei Spaghetti im Commercio und blieben, bis gegen 2 Uhr die neue Tagi-Ausgabe verteilt wurde.»
Roger Bader – ein Schüler Arno Del Curtos. Im Frühjahr 1992 sorgt das Duo aus der Zürcher Spaghettibeiz für die erste Playoff-Sensation. Der ZSC (7.) kippt Lugano (2.) aus den Playoffs. Im Oktober 1993 werden Arno Del Curto und sein Assistent trotzdem gefeuert.
Nun folgen nach einer Saison in Luzern die sieben fetten Jahre in Uzwil mit Amateurtitel (1. Liga) und Aufstieg in die höchste Liga mit den Elite-Junioren (1994 bis 2001). Mathias Seger debütiert als 16-Jähriger unter Roger Bader in der 1. Liga.
2001 zügelt der Erfolgstrainer aus dem Amateurhockey nach Kloten und wird während vier Jahren die rechte Hand von Wladimir Jursinow. Nun scheint er endlich am Ziel. Als die russische Trainerikone den Rückzug plant, empfiehlt er Roger Bader als Nachfolger. Aber nach einem schwachen Saisonstart werden die Pläne Makulatur. Beide werden im Herbst 2004 entlassen und Felix Hollenstein übernimmt die Macht – und hat sie, in verschiedenen Funktionen, bis auf den heutigen Tag behalten. Und wird sie behalten, so lange er will und mag. Aber das ist anderes Thema.
Nach zwei Jahren als Assistent bei Gottérons Trainer Mike McParland folgen ab 2007 für Roger Bader die sechs mageren Jahre in Uzwil (2007 bis 2013). «Es war ein Fehler, dorthin zurückzukehren. In den ersten sieben Jahren hatte ich den gleichen Präsidenten, den gleichen Sportchef und den gleichen Nachwuchschef. Nach meiner Rückkehr hatte ich während sechs Jahren vier Präsidenten, vier Sportchefs und vier Nachwuchschefs …» Er wird im Februar 2013 gefeuert.
Was nun? Bevor der Maschinenbau-Ingenieur an eine Rückkehr ins zivile Berufsleben nachdenken kann, kommt unverhofft eine Offerte aus Österreich. Verbandsdirektor Alpo Suhonen sucht einen Ausbildungschef und einen Trainer für die Junioren-Nationalteams. Roger Bader nimmt die Herausforderung an und wird im Herbst 2016 schliesslich Nationaltrainer.
Anfänglich arbeitete er noch im Mandat mit Hotel-Unterkunft in Wien. Inzwischen hat er einen Anstellungsvertrag mit Dienstwohnung in der österreichischen Hauptstadt. Wer hätte das gedacht: Arno Del Curto ist in diesen Tagen schon fast in Vergessenheit geraten, nach der Absage von Olten weiterhin stellensuchend und sein einstiger Assistent ein international hoch angesehener Nationaltrainer.
Ja, was wäre Österreich ohne Roger Bader, ohne die Spieler, die in unserem Hockey Gastrecht geniessen?
Ein Hockey-Entwicklungsland. Der Chronist darf sich nach mehr als 30 Jahren zum ersten Mal bei der WM den Charme der Überheblichkeit leisten und ein wenig auf die Österreicher herabschauen. Die Trainer und Spieler natürlich nicht.
PS: Die Schweiz wird am Dienstag (20.15 Uhr im watson-Liveticker) gegen Österreich nicht verlieren.
Und zu guter letzt noch ein Hinweis an den wehrten Chronisten. Nicht die unaufhaltsame Maschine aus der vermeintlichen Eishockeyhauptstadt Europas noch sonst einer der bugdetstärksten Vereine Europas (der Schweiz) stand im CHL Halbfinale. Sondern Salzburg aus einer Operettenliga.