Die Beobachter waren sich einig: Mit dem 7:1-Sieg im dritten Playoff-Halbfinal wechselt das Momentum vom Bernbiet ins Bündnerland. Auf einmal funktionierte das Spiel des HC Davos wieder wie ein Uhrwerk und der SC Bern verlor seinen Nimbus der Playoff-Ungeschlagenheit. Deshalb liegen trotz 1:2-Rückstand in der Serie alle Vorteile aufseiten des Titelverteidigers.
Hanspeter Gubelmann sieht die Sache differenzierter. «Jetzt sind wir wieder in der Normalität mit zwei Teams auf Augenhöhe. Beide konnten in den letzten Wochen agieren und reagieren. Ich würde deshalb nicht behaupten, das Momentum sei nun aufseiten der Davoser.» Der Zürcher Sportpsychologe erwartet heute eine ausgeglichene, hart umkämpfte vierte Partie zweier ebenbürtiger Gegner. «Psychologisch gesehen fängt es wieder bei null an.»
Doch wie genau lässt sich das Momentum erklären, beschreiben, vielleicht sogar wissenschaftlich festhalten? Der englische Begriff stammt aus der Physik und kann mit «Antriebskraft» umschrieben werden. In der Psychologie spricht man vom Momentum als kleinster wahrnehmbarer Zeiteinheit. Diese betrug in der dritten Playoff-Partie wohl ziemlich genau 61 Sekunden. So lange dauerte es, bis der HCD den frühen Rückstand in eine 2:1-Führung verwandelt hatte.
Dass ein Momentum im Sport oft als Phänomen bezeichnet wird, kommt nicht von ungefähr. Der Begriff lässt sich wissenschaftlich nicht an Indikatoren festnageln, ist nicht messbar. Aber er ist spürbar. Auch der Sportpsychologe hat vor dem Fernsehgerät gespürt, wie «entschlossen, siegessicher und total positiv die Davoser in diesem Spiel agiert haben». Die schnelle und überzeugende Reaktion auf den Rückstand sei deswegen weder Glück noch Zufall gewesen.
Den Schlüssel zum Erfolg sieht Gubelmann bei Trainer Arno Del Curto. «Er ist ein extrem erfahrener Playoff-Trainer und hat im Hinblick auf dieses Spiel wieder einmal alle Register gezogen.» Seine Intervention sei «ein Knalleffekt» gewesen. «Arno hat die Spieler wachgerüttelt, ohne sie blosszustellen. Er hat an einem Ort angesetzt, an dem der einzelne Spieler etwas damit anfangen kann.» Aber eines sei klar: «Es braucht eine Haltung, wie man mit einer Niederlage umgeht. Arno vermittelt seinen Spielern diese Haltung nicht erst seit dem Playoff-Start. Er macht dies tagtäglich.»
Diese Haltung hat viel mit dem Momentum zu tun. Es geht darum, auf dem Eis intuitiv zu agieren, nicht nachdenken zu müssen, was das Richtige und was das Falsche sei. Unsicherheit und ein Fokus auf zu vielen Details führten zu langsamen Beinen, sagt Gubelmann. Beim Begriff Momentum kommt dem Sportpsychologen spontan der Slogan «Never change a winning team» in den Sinn. Dahingehend ausgelegt, dass ein siegreiches Team eben auch wisse, wie man gewinnt. Der Gewinner habe den Vorteil, dass er nichts verändern müsse. Die Verlierer hingegen brauchen die Kunst, sich darauf zu fokussieren, was sie am besten können, und nicht darin zu verharren, welche Fehler man nicht mehr machen und was nicht passieren dürfe.
Dem HCD ist es am Dienstag gelungen, «sein Ding durchzuziehen». Aber auch der SCB bewies nach der völlig verkorksten Qualifikation die Fähigkeit, «das Alte wegzuwischen und den Fokus auf das Hier und Jetzt zu legen». In beiden Teams seien die Erfolgsbilder fest in den Köpfen verankert. Wer weiss, vielleicht entscheidet ja das Momentum?